Montag, 24. Oktober 2016

Kinderzigaretten

Ich erzähle ein Beispiel aus meinem erziehungsfreien Erleben. Aus meinem Forschungsprojekt zur Erkundung der Amication. Wie jedes Verhalten wird auch die erziehungsfreie Praxis von den Persönlichkeiten der Handelnden geprägt. Und was für den einen erziehungsfreien Erwachsenen möglich ist, ist es für den anderen noch lange nicht. Wieviel man zuläßt oder untersagt ist nicht das Kriterium für erziehungsfreies Verhalten, sondern es kommt wie stets auf die innere - erziehungsfreie - Haltung an. Diese lebt allerdings in mir und meinem Tun. Ich folge dabei dem Insgesamt meines Wissens, meiner Erfahrung, meiner Gefühle, der Situation: Aus all diesem komponiert sich der Impuls, der mich handeln läßt.

Ich bin Nichtraucher aus Überzeugung und habe nie geraucht.

"Uns fehlen noch 50 Cent." Doris und Bärbel (beide 13 Jahre alt) wollen sich Zigaretten kaufen. Wenn sie erwachsen wären, wäre es kein Problem für mich, ihnen die 50 Cent zu geben. Ab 16 dürfen sie offiziell rauchen - machen drei Jahre den Unterschied? Ich bin froh, dass ich mit ihnen allein bin und gebe ihnen das Geld. Ich erfülle eine Bitte, und dies ist selbstverständlich.

"Können wir die Zigaretten bei Dir lassen? Wenn zu Hause gemerkt wird, dass wir welche haben, kriegen wir Ärger." Sie vertrauen mir ihre Zigaretten an. Als sie zu Hause sind, sehen mich die Zigaretten auf der Fensterbank an. Mache ich mit, wenn sie sich ihre Gesundheit ruinieren? Sie haben mir etwas anvertraut, und ich habe ihnen geholfen. So, wie ich meinen erwachsenen Freunden auch helfe. Natürlich kennen sie das Raucherrisiko, das ist überhaupt nicht das Problem. Es geht um ihre eigene Lebensführung, und da unterstütze ich sie. Das Gerede von "gesundheitsgefährlich" mit dem Ton "aber ihr müßtet doch..." mißachtet ihre Würde.

"Spendierst Du uns eine Schachtel Zigaretten?" Doris und Bärbel haben Lungenschmacht. Aber ich habe keine Lust, ihr Rauchen so massiv zu fördern. Eine ganze Packung - da mache ich nicht mit. Ist das anders, als wenn ich ihnen das fehlende Geld für eine Packung gebe oder ihre Zigaretten bei mir zu Hause aufbewahre? Mein Gefühl signalisiert mir einen Unterschied, auf den ich mich verlasse. 50 Cent zuschießen ist eine freundschaftliche Geste, Zigaretten aufheben ist Vertrauenssache. Eine ganze Packung kaufen ist mir zu viel. Ich find meine Grenze willkürlich, aber ich akzeptiere mein Gefühl. Und sie verstehen mich.



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