Montag, 26. Oktober 2020

Geschenke




Finn wird zwei, ich will ihm etwas zum Geburtstag schenken. Nach einigem Überlegen zwischen Stofftier, Auto und Holztier vom Bauernhof bleibe ich beim Bilderbuch hängen. Neulich habe ich mit dem zweijährigen Johann ein Bilderbuch angesehen, das war prima. Also: ein Bilderbuch für Finn.
 

Schenken – ein weites Feld. Was passiert mir beim Schenken? Ich will eine Freude machen. Aus gegebenem Anlass oder einfach so. Ich habe etwas gefunden, ich habe etwas gesucht, etwas hat mich gefunden, und das will ich Dir geben, Dir schenken. Damit es Dich freut, erfreut. Und mir dann ein schönes Gefühl macht. Weil Du dich freust. 

Es gibt Bereiche, wo ich mich gut auskenne und wohlfühle, wenn es ums Schenken geht. Natur zum Beispiel, Blumen und Co. Aber die richtigen, die zu Dir passen, wie ich meine. Sonnenblume, Lilie, Gänseblümchensträußchen, Kornblumen, Wildblumenstrauß. 

Zu Weihnachten suche ich kleine Besonderheiten auf dem Weihnachtsmarkt und in den Weihnachtsregalen der Baumärkte. Dabei gibt es ein „das passt zu dem“, ist stimmig. 

Bei der Anlass-Schenkerei (Geburtstag, Weihnachten, sonst) ist eine gewisse Mühe dabei, es soll ja auch gut kommen, so ein Geschenk. Da bin ich froh, wenn ich mit der Sucherei fertig bin und was Passendes gefunden habe. Und dann wird es schön verpackt und geht auf die Reise. Heute: zu Finn. 

So ein spontanes Geschenk ist von leichterer, von leichter Art. Es stellt sich ein, aus heiterem Himmel, und will getan sein. Und wird getan: „(Das ist) Für Dich“. Schön und leicht. Und es könnte mir gern mal öfter über den Weg laufen. 

Dann gibt es noch Zweckgeschenke. Die sollen etwas bewirken. Gute Laune, offenes Ohr, Bitte erhören, listig, hinterlistig, aus Not, verzweifelt. Damit passiert, was passieren soll. Von vergifteten Geschenken ganz zu schweigen. Aber diese zwielichtige und dunkle Schenkewelt ist nicht meine Art. Meine Schenkerei kommt aus dem Sonnenland. Habe ich ein gutes Herz beim Schenken? Habe ich. 

Ich bin der Chef dieser Lebenswelt Schenken. Ich kann es tun oder es lassen. Ich gehöre nicht dem Schenken, ich gehöre mir. Die Weihnachts-Schenkerei hat schon Lust, mir zu zeigen, wo es langgeht. Da wehre ich mich dann und behalte die Oberhand. Aber ich mach den ganzen Schenkezirkus doch mit. Mach ich das? Ich sag dem Schenkezirkus, dasss er gar kein Zirkus ist, jedenfalls nicht für mich. Wenn ich Weihnachten etwas schenke, dann weil ich das will, ohne Zirkus. Ich muss nichts schenken, ich kann. Und ich werde. Und schmeiß mich frohen Mutes ins weihnachtliche Schenkegetümmel. 

Klar, Geschenke werden von mir auch erwartet. Kinder, die in meinem Leben sind, bekommen Geschenke. Erwarten sie das von mir? Schon, irgendwie. Sie wären enttäuscht, wenn zum Geburtstag nichts kommt. Konvention, die mich im Griff hat? Bin ich der Schenkedackel? Na ja, so hoch hänge ich das nicht. Es ist eine schöne Konvention, die ich mitmache. Betonung liegt auf ich: ich mache mit, weil ich das will. Und weil ich Enttäuschungsleid nicht will.  

Bin ich ein Geschenk? Tja – jeder ist ein Geschenk des Lebens. So kann man das sehen. Schenkt mir das Leben etwas, einiges, vieles, immer mal wieder was, selten, nie? Fühle ich mich vom Leben/Schicksal/Gott/Universum beschenkt? Nun, ich habe durchaus ein Beschenktseingefühl. Ganz allgemein, fühlt sich gut an. Aus dieser allgemeinen Beschenktseinwohlfühlwelt kommt immer wieder mal Konkretes. 

Tausenderlei. Aber solche Geschenke wollen auch erkannt, bemerkt sein. Dann stiften sie Freude in mir. Kleine Geschenke: Abendrot, Nachtigall, Pilzmesser wiedergefunden, Geschäft grad noch offen, gute Grußkarte gefunden. Große Geschenke: Meine Begabungen. Mein Frohsinn. Diese Kinder. Diese Frau. Diese Freunde. Diese Gesundheit. Dieses lange Leben. 

Bin ich ein Geschenk? Für andere Menschen? Für Dich? Zur Freude? Zur Unterstützung? Ja,das kommt eben auch vor, da kann ich nichts für. Macht ja nix, ich bin auch gerne ein Geschenk.





 

Montag, 19. Oktober 2020

Honig, pures Glück II

 


(Fortsetzung des Posts vom 12.10.)
 
Wenn wir unsre Geheimnisse, unsere Heiligkeiten, unseren Honig und unsere Rosenwelten leben – wie wird das Echo sein, das da kommt, kommen kann, kommen könnte? Gibt es dunklen Donner oder lichtes Mitsein?

Was gebe ich von mir preis, was vertraue ich an: den Menschen um mich herum? Erzähle ich von meiner Liebe? Von meinen geheimen Entschlüssen? Von meinen erkundenden Gedanken? Von meinen aufsteigenden Melodien? Von meinem Naschen am Lebensglück?

Teil mit mir meinen Frieden.“ So voll ist mein Herz. So viel Freude und Glück ist in mir. „Willst du auch“ - teilhaben an dem, was mir geschenkt wird? In Deinen Augen sehe ich den Glanz meiner Augen. Und Du spürst, wie süß der Honig ist.

Wir haben früh gelernt, wie das mit dem Anvertrauen der Honigwelten ist. Wir gehen vorsichtig durch die Welt und durchs Leben. Wir wissen, wen wir mitnehmen können. Und vor wem wir auf der Hut sein sollten. Und oft folgen wir lieber dem Misstrauenspfad, als dass wir uns den Honig verbittern und die Rosenwelt verwüsten lassen. Und verstecken die süßen Gläser unseres Herzens. Doch ab und zu geschieht auch das Wunder, dass der andere nicht dunkel ist, sondern hell und liebevoll, und ich kann davon erzählen, wie viel Glück und Licht in mir ist.

Ein jeder kennt da sein eigenes Maß, und wo der eine ganz vorsichtig ist, ist der andere robust. Was erzählen Kinder noch ihren Eltern, was erzählen sich noch die Partner? Wie gefährlich ist das Mich-Zeigen ? Für meinen Frieden? Wo der eine ganz ins Versteck geflohen ist, hat der andere ein überströmendes Herz und gerät immer wieder in Gefahr.

Vielleicht können wir ab und zu innehalten, wenn wir die Kinder beim Honigschlecken überraschen, und uns zurückziehen, die Küchentür leise schließen, überwältigt von ihrem Glück in Resonanz geraten.

Vielleicht können wir Rosen schenken, wenn wir ein süßes Seelengeheimnis aus der Erwachsenenwelt mitbekommen. Zeuge werden ohne Dunkelwolken zu verbreiten, so angebracht sie auch sein mögen. Die Dunkeltür leise schließen, überwältigt vom Glück des anderen in Resonanz geraten

Die Achtsamkeit im Zusammensein mit den anderen und ihren Heiligkeiten, mit den Kindern oder mit dem Partner, will immer wieder neu bedacht werden. Es ist ein so weites Feld.



Montag, 12. Oktober 2020

Honig, pures Glück

 


„Hast Du genascht?“ Das Honigglas steht auf dem Tisch vor mir, es ist offen, der Deckel liegt auf dem Tisch. Der Finger, der eben noch süß im Mund war, ist blitzschnell verborgen in der anderen Hand. Ich bin gelähmt, erstarrt. Die Sonne, das Licht, die Bienen, der Garten draußen mit all den Blumen und den Düften, die klangvolle Sommerwelt: aus. Eine dunkle Wolke dringt von der Stimme hinter mir in die Küche.

„Ich seh doch, dass Du genascht hast!“ Ich will all das schützen, bewahren, bergen. All das, was gut, heilig, schön, prächtig, liebevoll ist. Den Honig im Glas, die zigtausend Bienen, die mir ihr Geschenk gemacht haben, die Freude, die vom Mund aus in mich hineinzieht, der erfüllte Wunsch, die Verheißung: Du kannst glücklich sein. Honig, pures Glück.

„Nein.“ Ich will mir das nicht entreißen lassen, wegstehlen lassen, schlechtreden lassen. Ich bin im Rosenland unterwegs, im Honigland, im Lichtland. Diese verhexende Dunkelheit in meinem Rücken, ich spür ja, wie sie stärker wird, der Schicksalstornado rast heran. Ich kenne das ja, ich werde mitgerissen werden, zerschellt irgendwo stranden, zerschlagen, gedemütigt, herabgesetzt, vertrieben.

„Zeig her!“ Die Finger der Bergehand werden aufgestemmt, der Honigfinger triumphierend hochgerissen, Beweis meiner Unartigkeit, Türöffner für die folgende Seelenfingerei. Grenzüberschreitung, Willkür, Gehirnwäsche. Ich bin chancenlos, ich bin ausgeliefert, mein Herz, meine Seele, meine Liebe: beiseite gestoßen, Pech und Schwefel über mich. 

 

***

 

 „Hast Du genascht?“ Das Honigglas steht auf dem Tisch vor mir, es ist offen, der Deckel liegt auf dem Tisch. Der Finger, der eben noch süß im Mund war, ist blitzschnell verborgen in der anderen Hand. Ich bin gelähmt, erstarrt. Die Sonne, das Licht, die Bienen, der Garten draußen mit all den Blumen und den Düften, die klangvolle Sommerwelt: aus. Eine dunkle Wolke dringt von der Stimme hinter mir in die Küche.

„Hast Du genascht?“ Ich bin erschrocken, fahre hoch... und weiß mich doch geborgen. Klar habe ich genascht, wie die Großen das nennen. Ich bin dem Honig gefolgt, der Einladung der Bienen, des Lichts und des Lebens, des Sommers und der Blumen. Er steht uns Kindern zu, dieser Honig, ein Finger voll, viele Finger, das ganze Glas. Die Wucht der Richtigkeit meines Seins und die Wahrheit des Honigs tragen mich. Die Stimme hinter mir schwingt ein, sie ist so süß wie der Honig im Glas.

„Willst Du auch?“ Schnelle Schritte, Einverständnis der Herzen, leuchtende Augen, wir lachen, und es tut gut. So viel Friede, so viel Freude. So viel Vertrauen, so viel In-die-Seele-Sehen. Ja, wir sind auch verschmitzt. Wir wissen schon, was die Großen davon halten. Aber sie sind fern, wir sind geschützt durch die Macht des Honigs und durch unseren Glauben an uns selbst. Wir schließen das Glas, klettern durchs Fenster und laufen in unser Glück.





Montag, 5. Oktober 2020

Schoko und Vanille II

 


In einer Zeitschrift * las ich zum Thema Antidiskriminierungsarbeit die Überschrift eines Interviews: „Wir wurden alle rassistisch sozialisiert“, und die Unterzeile endete mit „ – und was ist mit uns ganz persönlich?“ Mir fielen sofort die Zehn kleinen Negerlein, Negerküsse und der Mohrenkopf ein. Aber das kam hier doch wuchtig gesellschaftlich daher:

Diskriminierung gibt es bei Polizei, Justiz und Standesämtern, im Bildungs- oder Freizeitbereich oder auf dem Wohnungsmarkt: Hier brauchen wir uns nichts vorzumachen – das ist auch Alltag hier bei uns in NRW, da muss dringend etwas passieren. Wichtig sind hier nicht nur unabhängige Beschwerde-stellen, sondern etwa auch eine rassismussensible Aus- und Weiterbildung von Landesbediensteten oder die Entwicklung von Diversitätskonzepten in der Verwaltung, auf dem Wohnungsmarkt, im Bildungsbereich oder bei Gewerbetreibenden wie Clubs oder Fitnessstudios. Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen: Rassistische Erfahrungen gehören für viele Menschen zum Alltag. Rassismus ist in Deutschland gesellschaftlich tief verankert.“ **

Beim Stichwort „Bildungsbereich“ hat es bei mir Klick gemacht und ich habe das ganze Szenario übertragen auf „Wir wurden alle adultistisch sozialisiert.“ Ich habe das Wort und den Inhalt „Neger“ auf das Wort und den Inhalt „Kinder“ übertragen. Es sind Menschen – keine Neger. Es sind Menschen – keine Kinder. Es sind People of Color, es sind junge Menschen. Die ganze Diversitätsdebatte zeigt die verschiedensten Ecken und Winkel, Blickwinkel, in denen Menschen auf gleichwertige Beachtung und Behandlung warten. Junge Menschen sind da eine Gruppe von vielen, die nicht aus ihrer eigenen Welt heraus wahrgenommen werden. Sondern aus der Welt und der Sicht und dem Handlungsgeschehen der Anderen, aus den Fremdzuschreibungen der Erwachsenen-Dominanzgesellschaft. Was Adultismus genannt wird und was ich seit 1980 in meinen Publikationen so benannt habe.

Im Forschungsprojekt meiner Doktorarbeit hatte ich mich zu den Jungen Menschen aufgemacht, jenseits adultistischer Positionen und Befindlichkeiten. Ich bin diesen Menschen in ihrer eigenen Weltsicht und ihrer eigenen Identität begegnet und habe mit ihnen so gelebt. Wie ein Weißer das heute mit einem Schwarzen hinbekommen kann, wenn und soweit er sich vom eingeimpften, sozialisierten Rassismus löst, zu lösen beginnt. Wenn er darum weiß und sich auf neue Begegnungspfade begibt.

Ich nehme das Statement von Frau Valdés mal als Vorlage. Mein Interwiew-Statement geht dann so:

Adultistische Diskriminierung gibt es überall, im familiären Bereich, im Bildungs- und Freizeitbereich, bei Polizei, Justiz und Standesämtern oder auf dem Wohnungsmarkt. Hier brauchen wir uns nichts vorzumachen – das ist Alltag, da muss dringend etwas passieren. Wichtig sind hier nicht nur adultismusfreie Fakultäten und Lehrstühle an den Hochschulen und entsprechende Forschungen, sondern auch Adultismus-Beschwerdestellen und Adultismus-Beauftragte in Stadt, Land und Bund. Ebenso brauchen wir eine adultismussensible Aus- und Weiterbildung aller Fachkräfte in Kindergarten, Schule und Verwaltung, eingebettet in die Entwicklung von Diversitätskonzepten im Kommunikations- und Handlungsbereich von erwachsenen und jungen Menschen. Auch wenn wir es nicht wahrhaben – oder nicht wahrhaben können: Adultistische Erfahrungen gehören für junge Menschen zum Alltag. Adultismus ist in Deutschland gesellschaftlich tief verankert.“

Adultismus ist ein strukturelles Problem, schon klar – aber auch etwas ganz Persönliches. 

Martínes Valdés: "Wir müssen bei uns selber anfangen! ... Auch wenn wir es uns nicht gerne eingestehen: Wir selber sind wenn auch oft unbewusst ein Teil der Reproduktion von Rassismen und Diskriminierungen, beispielsweise durch Sprache." ***

Dazu kann jeder einmal in sich hineinhorchen. Und meinen letzten Post "Schoko und Vanille" lesen.


* Forum, Zeitschrift des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes NRW, Nr. 3/2020, Seite 4

** Carmen Martínez Valdés, Der Paritätische NRW, Fachgruppenleiterin Migration, Frauen, Psychosoziale Beratung und LSBT*, aaO 

*** ebd, Seite 5