Freitag, 29. Juni 2018

Ende?





















Eine gute Freundin ruft an, sie kann nächste Woche nicht zum
Geburtstagsbesuch meiner Mutter kommen. Na gut, denke ich,
o.k., ring mich aber durch, nachzufragen: "Warum?" "Na, weil
ich im Krankenhaus bin." Spärliche Mitteilung. "Was gibts denn?"
"Herzinfarkt, gestern reingekommen, aber jetzt ist alles gut."

Ich bin sprachlos und sehr berührt. Das sagt sie so nebenbei,
und wenn ich nicht nachgefragt hätte... Wir reden dann eine
ganze Weile darüber. Aber erst am nächsten Tag, als ich mich
berappelt habe und denke, dass ihr mein Nachfragen und mein
Mitfühlen gut tun könnte. So war es dann auch. Ich wollte
schon die drei Stunden hinfahren und Wiesenblumen mit-
bringen. Aber ich kenn sie ja und weiß, dass ihr soviel Auf-
hebens nicht gefällt. Das Gespräch kam aber gut.

"Das kann ruck-zuck vorbei sein. Das wars dann." Sie sieht
das nüchtern. Und ich? Na ja, recht hat sie ja. So kann es
schon sein. Ich blicke auf und in den Sommer, mein Joggen,
die Wiesengänge, meine immer wieder neuen schönen All-
täglichkeiten. Meine Lieben. Mein Lebensprojekt Amication.
Und meine Sternennächte.

Dahin wird die Reise gehen, ins Unendliche, zu den Sternen
eben. Wenn es soweit ist. Ist es aber noch nicht! Kann aber
passieren, jederzeit. Ja klar. Soll dann so sein. Jetzt aber eben
nicht. Jetzt höre ich beim Schreiben die Amsel singen. Und
sehe das nachlassende Sonnenlicht in der Abendzeit. Und
weiß, dass der Vollmond (war gestern) gleich über den Wie-
sen stehen wird. Ich bin hier, in dieser bunten Welt,  mit ihren
Geheimnissen. Nachher will ich in den Wald und Glühwürm-
chen suchen. Es ist halt so viel los und alles ist so voll. Es
soll nicht zu Ende sein.

Das Ende all dieser Dinge kann dann kommen, wenn es denn
zu kommen hat. Das seh ich auch nüchtern. Aber schade ist
es dann doch ...

Montag, 25. Juni 2018

Kinderforschung: Bericht (8) - Forscher im Urwald




                                      




 In unregelmäßigen Abständen poste ich Texte aus meiner Dissertation, meiner "Kinderforschung".


*


Es gehört viel dazu, um wirklich mitzubekommen, um genießen zu können, was Junge Menschen so sehr an sich haben und was sie ausstrahlen. Es muss ein großer Preis gezahlt werden: Bei sich selbst muss man aufhören, die Jungen Menschen zu beherrschen, sich FÜR sie verantwortlich zu fühlen, sie als irgendwie noch nicht vollwertige Menschen anzusehen. Das Anerkennen ihrer eigenen, selbständigen und fremd-fantastischen Lebensweise gehört dazu - es ist nicht so einfach.

Wie kommt es, dass ich Zugang zu dieser fremden Welt gefunden habe? Nun, erst einmal habe ich davon gelesen. Und dann habe ich Ausschau gehalten danach. Und ich hatte Achtung vor dieser verborgenen Welt. Ich habe aufgehört zu interpretieren (was es denn zu bedeuten hat, was Kinder tun) - ich habe in mir aufgenommen, geschaut und gestaunt. Die Krankheit des Interpretierens ist so verbreitet, vor allem bei den "Fachleuten" (Psychologie und Pädagogik). Und ich hatte Zeit (zwei Jahre Forschen). Und niemand machte mir Vorschriften, ich konnte alle Kraft auf das "Mitbekommen" konzentrieren. Und ich hatte die tiefen Erfahrungen des Encounterprogramms aus La Jolla in mir - das Horchen in mich, das Horchen zum anderen hin, das Zeithaben für die Stille.

Und ich hatte einen Satz von Carl Rogers, der mir riesigen Mut gemacht hat: Ich sagte ihm, dass ich mir wie ein Forscher früherer Jahrhunderte vorkomme, der in den Urwald geht, um Unentdecktes zu erforschen. Ihm gefiel dieses Bild. Und er sagte mir, dass man bei so einer Forschungsreise keinen falschen Schritt tun könne - wer will denn sagen, welcher der richtige ist? Es war doch noch niemand dort. In unbekanntes Land gehen nur tastende, erkundende Schritte - aber nie richtige oder falsche. Ich verstand: Ich konnte nichts "richtig" oder "falsch" machen. Ich kann nur mir selbst vertrauen und gehen. Und dies habe ich getan.

Und - um einem möglichen Einwand zu begegnen - VERANTWORTET waren alle meine Schritte, oh ja, da habe ich viel zugelegt. Verantwortet vor mir und vor den Menschen vor mir. Und auch vor der Notwendigkeit, die ich in mir spüre: Neue Wege für die Beziehungen zwischen Erwachsenen Menschen und Jungen Menschen zu finden - um zu überleben, um glücklich zu überleben. Wir, mit unserer Atombombe...


Fortsetzung folgt (unregelmäßig)


Donnerstag, 21. Juni 2018

Friedenskraut ins Chaos!
























Die Weltläufte sind grade mal wieder anstrengend. Bei all dem 
verrückten Zeug, was zur Zeit abläuft, hat mir das mit dem Weg-
reißen der Babys und Kinder von ihren Eltern echt gereicht. Trump, 
spinnst Du endgülig? Schlauerweise hat er diese monströse Gruselig-
keit ja jetzt selbst kassiert - aber es war sein Ding und das geht gar 
nicht. Über 2000 Babys und Kinder ...

Nur: Immer nur aufregen ist mir da zu wenig. Ich hab mich angefasst 
gefühlt, bei meiner Ehre/Anstand/Wertigkeit gepackt gefühlt: Da muss
ich was tun, das kann ich nicht mehr nur mit ansehen. Einfach nur das 
alles blöd/daneben/ungehörig finden ist mir zu wenig. Also was tun. 
Aber wie und wo und was?

Ich könnte an die us-mexikanisch Grenze fahren und ... Blödsinn. Ich 
mache hier etwas. Etwas, das geht. Etwas, das ich als meinen kleinen 
oder großen Beitrag in dieses Chaos werfen kann. Mein Beitrag ist der 
Tropfen oder Funken Konstruktivität/Engagement/Liebe, den ich habe 
und wachrufen und abrufen kann.

Ich laufe also aufmerksam durch die Gegend und den Tag und lass 
meinen Einsatz auf mich zukommen. Keine Hektik, keine überkandi-
delten Aktionen, kein heldenhaftes Gutmenschentum. Einfach mal 
sehen, was kommt und was ich kann. Also Mitmischen beim Großen-
ganzen und Meinemkleinen, Friedenskraut in die Chaossuppe!

Vorzeiten habe ich mal so etwas erlebt, es hat mir viel gesagt und 
mich begleitet. Ich hols hervor und machs auch so. Da gab es einmal 
in einem Geschäft eine lautstarke agressive Aktion des Geschäftsin-
habers gegenüber einem Kunden. Der Kunde schlich irgendwie still 
aber auffällig durch den Laden, und das passte dem Inhaber nicht. 
Keine Ahnung, ob der eine Klauerei befürchtete oder sonstwas. Jeden-
falls warf er den sich nicht wehrenden Mann mit Theater, deftigem Ge-
schubse lautstark aus dem Laden, blaue Flecken garantiert. Ich war 
gebannt, starrte auf die Szene, mir verschlugs die Sprache. Es war  
so unangenehm. Nichts wie raus hier!

"Das hätten Sie doch nicht tun müssen. Das kann man doch auch 
anders regeln. Was haben Sie denn befürchtet?" Ein Paar hatte wie 
ich alles mitbekommen. Sie sprach den Inhaber ruhig an, ohne Vor-
wurf, aber deutlich in ihrer Position. Der Mann unterstütze sie. Der 
Inhaber zog sich nach hinten ins Geschäft zurück, sagte nichts. Ich 
war - ja was? Verblüfft, überrascht. Ein gutes und warmes Gefühl 
stieg in mir auf, ein Stück Himmel über der Hölle. Die beiden zeigten 
mir einen Weg. Einen gangbaren Weg. Sie machten Frieden, hier 
und jetzt, ohne zu bösisieren. "Der Weg zum Frieden kann nur der 
Friede selber sein." (Gandhi). Sie brachten Wärme in die Kälte. Fand 
ich echt vorbildlich.

Gestern habe ich mich dann getraut. Ich will ein Paket beim Hermes-
dienst zurückgeben. Im Spielwarengeschäft, die Welt der Kinder, ich 
freue mich. Doch beim Betreten des kindzentrierten Geschäfts beginnen 
Trump und das Chaos in mir zu rumoren: Babys und Kinder, wegreißen.
Dann: Eine junge Frau mit Kind sind im Laden. Als ich reinkomme, 
ist ein unguter Kriegston im Raum. Sie beschuldigt den Inhaber laut-
stark, er hätte ihr Paket verlegt oder sonstwas. "Ich rufe jetzt die 
Polizei!" "Dann tun Sie es doch!" Krieg im Alltag. Er geht nach hinten 
ins Lager. Jetzt bin ich dran!

Ich bin davor, mich zu blamieren. Ich schäme mich schon mal bevor es
losgeht. Ich merke, dass mir warm wird und ich zu schwitzen anfange 
und dass ich rotwerde. Ich mache - egal - den Mund auf: "Ist ja alles 
nicht so einfach!" Ich sprech sie an und seh sie an. Volles Risiko. Dass 
sie mich anfaucht. Dass ich mir Ihre Wut rüberziehe. Dass ich als unver-
schämter Einmischer/Grenzüberschreiter/Anmaßer gleich beim YouTube-
Pranger aller Welt vorgeführt werde. Außerdem als Mann einer fremden
Frau auf die Pelle rücke, nogo in Meetoozeiten. Also: echt anstrengend!

Sie dreht sich zu mir rum. Ein temperamentvolles Rumdrehen, blitzende
Augen. "Ja, ich rege mich schrecklich auf. Wie kann er das nur machen?
Er hat ..." Redeschwall. Freundlich!!! Ihre Anspannung kommt rüber, aber 
auch ihre Entspannung. Ich sage etwas. Sie sagt etwas. Blumen, Friedens-
lächeln. Ich fühle mich beschenkt. Von meinem Mut, dem Leben, und,
natürlich, von der Frau vor mir. 

So soll es sein. Mein Beitrag. Mal sehen, wie das weitergeht. Und ich
bin ja auch nicht allein, Dein Engagement steckt an, Christa.



 

Mittwoch, 20. Juni 2018

Kinderforschung: Bericht (7) - Gefängnisrisiko

  








In unregelmäßigen Abständen poste ich Texte aus meiner Dissertation, meiner "Kinderforschung".

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Gefängnisrisiko: So ein Gefühl hatte ich oft - etwas tun oder mittun oder dabeitun, was mit Geldbuße(oder
anders gerichtlich) bestraft werden könnte. Ich habe
da aber nicht viel drüber nachge­dacht. 

Dies - Aufsichtspflicht, Haftungsfrage, Verantworlich-
    Gemacht-Werden, möglicher Ordnungsverstoß mit Bestra-
fungsrisiko war für mich immer etwas, das nur behin-
dern konnte, zu den Jungen Menschen zu kommen. Ich
kannte das von der Schule als Lehrer her. Ich schob das einfach weg. Aber erst ein Jahr nach dem Schulaustritt  war ich soweit, dass ich mich diesem Problem stellen  
konnte und überhaupt eine Haftpflichtversicherung ab-
schloss - bis dahin wollte ich mit all diesem Erwach-
senenkram nichts zu tun haben.

Ich wollte mir den Weg zu den Jungen Menschen nicht
durch das In-den-Bann-Ziehen dieser Dinge verstellen.
Ich hatte genug mit anderen "Bremsern" zu tun: Das
Gefühl, einfach etwas zu tun, das Erwachsenen (zusammen
mit Kindern zu tun) schlicht "verboten" war (und dabei
eine formale Bestrafung gar nicht das Problem ausmach-
te). Dauernd, dauernd tauchte das auf. Die Eingreif-
schwelle, der Punkt, wo ich als dabei anwesender Er-
wachsener hätte eingreifen müssen, war dauernd im Hin-
tergrund. Ich habe im Laufe der Zeit immer mehr Kraft
und Gelassenheit bekommen, die Jungen Menschen tun zu 
lassen (in meiner Anwesenheit), was sie tun wollten.
Aber es fiel mir schwer - dennoch kam ich da weiter.
In mir gab es die üblichen Erwachsenennormen - heute
bin ich da ganz woanders.
 
Heute entferne ich mich, wenn sie etwas tun, was mir
selbst Risiken bringen kann (wie ich bei erwachsenen
Freunden auch nicht mit­mache, ein Auto zu klauen, sie
aber auch nicht unbedingt daran hindern muss bzw. kann.
Und wenn ich das Risiko für mich als zu groß einstufe,
dann interveniere ich, um mich nicht zu gefährden. Ic
bin da heute mit mehr Übersicht dabei. 

Fortsetzung folgt (unregelmäßig)