Auf dem Seminar vorige Woche ging es mal
wieder um die Verantwortung, die Eltern für ihre Kinder haben. Mein
„Ich bin nicht für Kinder verantwortlich“ kam nicht so gut. Ich
stand als jemand da, der sich nicht um Kinder kümmert. Lieblosigkeit
und unrealistisches Hängenlassen standen im Raum. Da habe ich dann
klar gemacht, wie ich das meine und was es mit der Verantwortung und
der Selbstverantwortung so auf sich hat.
Die Zuhörenden sind bei der
Verantwortungsthematik in einem anderen Nachdenken unterwegs als ich,
wenn ich vom „Ich bin nicht für Kinder verantwortlich“ spreche.
Zwei Nachdenk-Räume also. Das kann ich
thematisieren, aussprechen, klarmachen, und das tue ich auch,
damit das Gespräch überhaupt richtig funktioniert.
„Ich erziehe Kinder nicht“ – auch so
ein Satz, der in die Irre führt, wenn ich seinen konstruktiven
Hintergrund nicht gleich mit vermittele. „Unrealistisch,
antiautoritär, der spinnt doch“ ist dann ein schnelles Urteil.
Dabei ist es weder unrealistisch noch antiautoritär noch gesponnen,
sondern etwas sehr Sinnvolles. Wie bei der Verantwortungsthematik.
Für eine Klarstellung gebrauche zwei
verschiedene Vor-Worte:
Die
Kümmer-Verantwortung
Die Kümmer-Verantwortung: Ich kümmere
mich um alles möglich. Die Kinder, das Fahrrad, den Arzttermin, die
Katze, endlos. Da passt das „Ich bin verantwortlich für“ gut:
Ich bin für die Kinder verantwortlich (kümmere mich um sie), damit
sie sich wohl fühlen. Ich bin für das Fahrrad verantwortlich
(kümmere mich um es), damit es sicher fährt. Ich bin für den
Arzttermin verantwortlich (kümmere mich um ihn), damit ich ihn nicht
verpasse. Ich bin für die Katze verantwortlich (kümmere mich um
sie), damit sie was zu futtern hat. Ich bin für Endlos
verantwortlich (kümmere mich darum), damit es gut endet. – Hier
gehen alle mit.
Die
Missions-Verantwortung
Sie ist nicht leicht zu verstehen und zu
erfühlen. Sie taucht nicht auf am Horizont der Wahrnehmung, wenn es
um die Kinder geht. Sie enthält nämlich einen versteckten,
untergründigen Machtwillen und einen gutgemeinten,
gouvernantenmäßigen Herrschaftsanspruch, beide so
selbstverständlich, dass sie nicht bemerkt werden. Es gibt keine
Sensibilität dafür, dass im „Ich bin für Kinder verantwortlich“
etwas Übergriffiges, Verletzendes, Herabsetzendes stecken kann.
Diese Missions-Verantwortung gehört in unserer Kultur ganz
automatisch zu unseren Umgang mit Kindern, und sie wird nicht als
Anmaßung erlebt – sondern als sinn- und liebevolle Fürsorge.
Was meine ich mit der
Missions-Verantwortung? Ein Beispiel für eine solche Anmaßung und
ihre Überwindung: „Männer sind für Frauen verantwortlich, weil
die Frauen das nicht selbst sind. Männer sind in bester Absicht und
voll Fürsorge für die Frauen unterwegs. Männer wissen, was für
Frauen gut ist.“ Diese patriarchalische Missions-Position ist heute
von den Männer erkannt und überwunden. Nicht bei allen, aber
immerhin. Männer haben verstanden: Frauen sind selbstverantwortlich.
Was ja ein Sorgen und Kümmern ohne
Missionshaltung nicht ausschließt.
Wenn das „Ich weiß, was für Dich gut
ist“ mit einem Macht-, Missions- und Herrschaftsimpuls daherkommt,
wie richtig ein solches Wissen und Kümmern auch sein mag, dann ist
so etwas vergiftet. „Ich weiß, was für Dich gut ist, denn ich bin
für Dich verantwortlich und kümmere mich um Dich“ – wenn diese
Denkwelt mit einem missionarischen Darüberstehen über dem anderen
daherkommt, dann kann man sagen: das geht ja auch nicht anders.
Jedenfalls in Bezug auf Kinder geht es nicht anders. Oder man kann
sagen, und das sage ich: das geht sehr wohl anders, auch im
Zusammensein mit Kindern. Und dann beginnt meine Argumentationswelt:
Jedes Lebewesen trägt für sich selbst
Verantwortung, von Anfang bis Ende. Wer das nicht so sieht, wird von
dem Lebewesen, von dem er das nicht sieht, als Übergriffiger,
Mißachter, unguter Missionar, Herabsetzer und Unterdrücker erlebt.
Wenn jedes Lebewesen
eine solche Selbstverantwortung denn hat – was aber meine Position
ist. Ich sage: Jedes Lebewesen hat diese Selbstverantwortung –
mithin auch menschliche Lebewesen, von Beginn (Zeugung) bis Ende
(Tod). Mithin auch Embryos, Neugeborene, Säuglinge, Kleinkinder,
Kinder, Jugendliche, Heranwachsende, Erwachsene, Senioren,
Pflegebedürftige, Sterbende.
Und von daher ist ein „Ich bin für Dich
verantwortlich“, bei dem das „Du bist es nicht (noch nicht, nicht
mehr)“ mitschwingt, ungut und destruktiv. Was ich nicht mitmache.
Von daher kommen Respekt vor und Achtung für die Selbstverantwortung
des Kindes. Ich bringe das mit dem Statement „Ich bin nicht für
Kinder verantwortlich“ zum Ausdruck, und füge gleich zum Verstehen
hinzu: „Weil die Kinder das selbst sind.“
Ich kümmere mich um Kinder, bei allem und
jedem, was gekümmert sein will. Von der Windel bis zur
Hustenmedizin. „Ich bin für Dich verantwortlich – Deine
Windelhygiene, Deine Lungengesundheit.“ So weit, so klar: Die
Kümmer-Verantwortung.
„Ich bin nicht
für Dich verantwortlich – Deine
Windelhygiene, Deine Lungengesundheit“. Auch klar. Die
Missionsverantwortung wird mit diesem Statement abgelehnt. Somit:
„Ich bin nicht für Kinder verantwortlich, weil die Kinder das
selbst sind.“ Menschenkinder sind selbstverantwortliche Wesen wie
alle lebenden Organismen, von Anfang an.
Wie sie das dann alles so hinbekommen,
diese Selbstverantwortlichen? Sie nutzen – in ihrer Verantwortung –
ihre Ressourcen: Plazenta, Mama, Papa, Gesellschaft. Und Plazenta,
Mama, Papa, Gesellschaft geraten in Resonanz und geben den Kindern,
was diese brauchen und einfordern. Oder verweigern, stoppen, begrenzen das, was die Kinder wollen. Sie kümmern sich, aus ihrer
Kümmer-Verantwortung heraus. Und das können sie tun ohne
Missions-Verantwortung. Wenn sie es denn schaffen … und diesen
subtilen Adultismus überwinden.