Montag, 27. Juni 2022

Amication leben, Rita


 

Ich lebe bewusster als je zuvor im Jetzt und Heute und der Umgang mit anderen Menschen fällt mir leichter. Ich kann klarer „meine Sachen“ sehen und sagen. Ich weiß, was ich möchte und kann es sagen ohne schlechtes Gefühl (Gewissen). Wenn andere dann Schwierigkeiten mit mir haben, kann ich es schon ertragen und sie trotzdem akzeptieren. 

Ich sehe jetzt deutlicher als früher, dass ein „Misserfolg“ ganz alleine von mir beurteilt werden kann und es alleine an mir liegt, alles zu revidieren. Dies nimmt mir die Angst vor neuen Situationen, vor dem Umgang mit neuen, fremden Menschen (hoffentlich sage ich nichts falsch). Es nimmt mir auch die Angst vor meiner eigenen Spontaneität. Ich mag es, wenn sich jemand mit meinen Problemen anzufreunden versucht, auseinandersetzt und eventuell eine Idee hat, die mir eine Entscheidung erleichtern könnte. Entscheidend bin jedoch immer ich selbst. Das ist mir im Laufe der letzten Zeit bewusst geworden.

Miriam, meine älteste Tochter, ist 4 Jahre alt. Miriam ist der Meinung, dass ich ihren Vorstellungen entsprechend ihre Sachen regeln kann. Früher war ich oft sauer und gekränkt, wenn ich alles tat, was ich konnte, und sie schimpfte und tobte. Heute versuche ich ihr zu helfen, solange ich mag und kann. Ich rede nicht mehr auf sie ein und versuche nicht mehr, ihr die Unmöglichkeit der Durchführung ihrer Vorhaben zu erläutern. Miriam ist, wie sie ist, und ich will sie nicht mehr ändern.

Denke ich an den täglichen Umgang mit meinen beiden Kindern, ist mir klar, meine pädagogischen Vorkenntnisse (Erzieherin und Lehrerin) waren eher hinderlich als förderlich im aktiven, spontanen Zusammensein. Da kamen Vergleiche wie „Mutter = Autorität", „Mutter = Vorbild“, „Mutter = immer für die Kinder da“, und ich verschwendete noch viel Zeit mit dem „Was wird wenn?“ Heute kommen mir nur in extremen Situationen solche Gedanken; ich kann meist über sie lächeln und sie vergessen.

 

Montag, 20. Juni 2022

Amication leben, Jutta

 

 

Als ich zum ersten Mal von Amication hörte, war ich 42 Jahre alt und lebte in einer kritischen Lebensphase. Voll Unsicherheit und Zweifel war mein Leben. Meine 22 Jahre andauernde Ehe drohte kaputt zu gehen, die ersten 3 Kinder waren bereits aus dem Haus – nach anstrengenden Auseinandersetzungen während ihrer Pubertätsjahre –, mein jüngster Sohn, der noch zu Hause lebte, war schwierig und verschlossen. Ich war damals auf der Suche nach Sicherheit für mich.

Ich erzählte auf einem Amications-Seminar von den Schwierigkeiten, die ich mit einem meiner Söhne hatte, und von meinen Schuldgefühlen und von dem Vorwurf an mich, vieles an der Erziehung dieses Sohnes falsch gemacht zu haben. Als Antwort bekam ich sinngemäß, dass ich gar nichts falsch oder richtig gemacht haben könnte, sondern sicher das getan habe, was in meiner Macht stand, dass ich das gemacht habe, was ich machen konnte. Diese Botschaft saß bei mir! Die tiefe Erkenntnis erreichte meine Gefühle – die Last der Schuld wich plötzlich von mir ab. Ich hatte ja wirklich immer nur das getan, von dem ich annahm, dass es richtig wäre.

Damals wusste ich so genau noch nicht, was es bedeuten würde, von meinem alten Anspruch abzulassen, zu erziehen und für andere zu wissen, was gut für sie sei. Ich wusste nicht, wie schwer es ist, die alten Gewohnheiten abzulegen, wirklich zu akzeptieren, dass nur jeder selbst für sich weiß, was für ihn gut ist. Es begann also ein langer Prozess des Lernens und des Übens der neuen Beziehung ohne Erziehung.

Mir war intellektuell klar, dass ich nicht in anderer Leute Köpfe sehen kann, also keinesfalls für einen anderen Menschen entscheiden kann, auch nicht für meine Kinder. Von dieser Grundhaltung überzeugt fing ich an, mich in einer Gruppe von Gleichdenkenden mitzuteilen, von den Versuchen, Erfolgen und auch Misserfolgen im Umgang mit anderen Menschen zu reden.

So ganz allmählich wurde mir immer klarer, dass es hier nicht um eine „noch bessere, liebevollere Erziehung“, ein noch geschickteres Umgehen mit Kindern geht – also um etwas für andere Menschen –, sondern dass ich es bin, die hier in Beziehung zu jemandem steht, dass ich es bin mit meiner ganzen Person, mit meinem Fühlen und meinem Denken. Ich begriff, dass ich es bin, die hier im Mittelpunkt allen Geschehens steht. Ich fing an, mich erstmalig wahrzunehmen, mich ernst zu nehmen, zu merken, was mit mir geschieht. Zu merken, was passiert, wenn ich meine Interessen nicht richtig vertreten kann, zu merken, was ich mache, wenn ich mich durchsetze, zu merken, wie das ist, wenn ich wütend werde, mich freue ...

Ich begriff, dass es auch mit mir als „erzogenes Kind“ zu tun hat, mit meinen alten anerzogenen Mustern aus meiner Kindheit, meinen schmerzvollen Enttäuschungen, meinen Vorurteilen von dem, was sich gehört und was nicht, meinen Beschränkungen und auch mit meinen sinnvollen, alten Konditionierungen, die ich durch meine Eltern und Kulturbedingungen erfahren habe. Ich bekam Klarheit über das, was sich in mir abspielte.

Ich konnte mir nun mit diesen wahrnehmenden Kenntnissen über mich neu überlegen, was ich von den vielen anerzogenen Gesetzen, die mich leiteten, behalten wollte, weil sie sinnvoll und hilfreich für mich sind, und was ich an Gesetzen heute nicht mehr für mich will, weil sie mich behindern. Mir wurde klar, dass ich mich jederzeit neu entscheiden kann, das eine oder andere zu tun. Die Entscheidung liegt bei mir. Das war eine wichtige Erkenntnis für mich. Sie gab mir das Wissen, dass ich einmalig und selbständig meine Dinge bestimmen kann, also meine Entscheidung habe, was ich tue, ob ich z.B. abhängig sein will oder nicht. Es war eine weit reichende Erkenntnis für mich, festzustellen, dass mich niemand wirklich zwingen kann und ich immer der Meister meiner Belange bin.

Ich übernehme die Verantwortung für mich. Das geht bis in alle Bereiche meines Lebens hinein. Es betrifft meinen Körper, meine Seele, meine politischen Auffassungen, überhaupt alles. Ich komme mir wie aufgeweckt vor. Ich bin von einer grauen Maus, die leidensfähig immer nur für andere sorgte, zu einer selbstbewussten, aktiven und munteren Frau geworden, die sich ihres Lebens freut, aufmerksam mit sich und anderen Menschen umgeht, die etwas über Körpersprache lernt, ein Gefühl für Energien bekommt, die Traurigkeit und große Freude erlebt, kurzum, die sich rundum wohl fühlt. Und das alles, obwohl meine Ehe inzwischen nicht mehr besteht, ich also alleine lebe.

Ich kann „Ja“ sagen zum Leben, mit allem Rauf und Runter. Mein altes Kindheits-Ok-Gefühl habe ich wieder gefunden, nachdem ich so mancherlei Gerümpel, was durch Erziehung darüber lag, beiseite schaffen konnte. Ich kann mich so akzeptieren, wie ich gerade heute bin. Ich habe nicht mehr den Zwang, mich bessern zu müssen, dieser alte pädagogische Anspruch ist Gott sei Dank von mir gewichen. Wann immer ich mit Menschen zu tun habe – besonders mit jungen Menschen –, gehe ich von ihrer Souveränität aus, möchte ich sie sehen, wie sie sind, von ihnen lernen, mit ihnen leben, mit ihnen lieben.



 

Montag, 13. Juni 2022

Jenseits der Erziehung

 


 Fortsetzung vom vorigen Post


Jetzt muss ich klarmachen, was ich denn für das - gefährliche - erzieherische Element halte. Ich lege los: Es geht um eine Haltung, Einstellung, Grundgefühl. Wie dies deutlich machen?

Nun, ich fang das ein mit dem allbekannten Statement "Sieh ein, ich habe recht" - als objektive Aussage. Dabei lässt der, der das sagt, denkt, fühlt, die Sichtweise eines anderen - Kind oder Erwachsener - nicht (psychisch) gelten. Vorsicht: Wenn ich die Sicht des anderen gelten lasse – und dies ist das fundamental Andere: ich lasse seine Sicht (psychisch) gelten – so heißt das nicht, dass ich meine Sicht hintanstelle. Ich lasse die Gegensätze als gleichwertig nebeneinander bestehen. 

Ein Paradox? Nicht wirklich: Ich folge meiner Sicht, im (psychischen) Nachdenken und im (handlungsmäßigen) Tun. Aber ich stelle mich dabei (psychisch) nicht über die Sicht des anderen, zum einen, und schwinge mich - zum anderen - nicht dazu auf, ihm meine Sicht der Dinge per "Sieh das ein" (psychisch) verbindlich zu machen. Ich fasse das zusammen in dem Satz "Ich erziehe nicht." 

Steckdose oder Schweineschnauze? Atomkraftwerk oder Windkraft? Die Standardbeispiele dazu. Wer mit acht Monaten behauptet, eine Schweineschnauze vor sich zu haben (und keine Steckdose), der hat aus seiner (Kleinkind)Sicht recht. Wer mit 50 Jahren behauptet, Atomkraft sei der Windkraft vorzuziehen, der hat aus seiner (Erwachsenen)Sicht recht. Wenn man das so nicht gelten lassen kann, auf der psychischen Ebene des Erkennens und Bewertens, setzt man den anderen herab - nicht mein Ding. 

Achtung aber: auf der Handlungsebene des konkreten Tuns lasse ich oft nicht gelten, dass geschieht, was der andere will. Kein Kind fasst mir in die Steckdose. Nur – bei allem Durchsetzen in der äußeren Welt – mache ich dem anderen nicht noch obendrein seine für ihn gültige Sicht schlecht, Motto „Sieh das ein, ich habe recht“. Auf der psychischen Ebene lasse ich hingegen uneingeschränkt die Sicht das anderen gelten. 

Ich wiederhole: Wer aber daran geht, nicht nur für die eigene Sicht zu werben, sie verständlich und nachvollziehbar zu machen, sondern sie mit "Sieh das ein" dem anderen (psychisch) verbindlich zu machen - der: ja was? Der missioniert, der "erzieht". So nenne ich das. Er trägt den missionarischen, den erzieherischen Virus, Impuls aufgrund seiner Einstellung in sich. Den gefährlichen Keim.  

Der wirkt in tausenderlei Nuancen. In Gesprächen, Liedern, Büchern, Zeitschriften, Internetforen, Wissenschaften, Examensarbeiten, Vereinen, Gesetzen, Richtersprüchen, Kinderzimmern, Klassenzimmern, Schullandheimen, Gefängnissen, Zoos, Kirchen, Kreuzfahrtschiffen, Flugzeugen, Arztpraxen, Kneipen, am Nord- und Südpol, weltweit und immerdar. Es gibt keinen weißen Fleck. Fast keinen. Denn da gibt es ja doch dieses unbeugsame amicative Dorf...

Und das alles ist es, was mich stört. Wenn jemand unter Missionieren und Erziehen etwas anderes als diese gefährliche Keimerei versteht, stört es mich nicht. Aber nicht mogeln: Bist Du keimfrei? Wirklich? Oder meinst Du nicht doch, wirklich recht zu haben? Und der andere müsse aber doch einsehen .. insbesondere, wenn es ein Kind ist.

Montag, 6. Juni 2022

"Was stört Sie eigentlich an der Erziehung?"

 


"Was stört Sie eigentlich an der Erziehung?" Eine einfache und klare Frage. Wie ist es mit einer einfachen und klaren Antwort? Bei einer solchen Frage sehe ich mich sofort gefordert, die ganze erziehungsfreie Philosophie in einen Satz zu packen. Und weiß zugleich, dass ich das nicht kann. Das Verlassen, Überwinden der Erziehungssicht ist halt eine komplizierte Angelegenheit, und so ein Unternehmen in einem Satz zu fassen - geht eben nicht.

Also sage ich etwas, das sofort die nächste Frage zur Folge hat. Und dann beginnt ein Gespräch, das länger oder kürzer dauert und das die amicative Weltsicht vor Augen führt. Zum Beispiel sage ich: "Mich stört das Missionarische". Kurz und knapp. Aber klar? "Was meinen Sie damit?" Und schon geht es los. Vielleicht geht es nach Afrika zu Albert Schweitzer. Oder zum Klassenzimmer um die Ecke. Oder zum Selbstverständlichen "Sieh das ein", "Weil ich recht habe". Oder zum Fundamentalen "Weil ich Deine Mutter bin. Weil ich Dein Vater bin".

Ich mache schnell klar, was ich alles nicht meine, wenn ich gegen die Erziehung bin. Sonst wird das nichts, so ein Gespräch. "Ich kümmere mich um mein Kind. Ich bin da. Ich helfe, tröste, erkläre, spiele. Ich bin Orientierung. Überlasse mein Kind nicht sich selbst. Ich bin nicht antiautoritär." Ich mache deutlich, dass ich alles das mache, was ein normaler Vater auch macht, dass ich den Alltag mit den Kindern realistisch sehe und nicht irgendwie ideologisch verbräme. "Aber dann erziehen Sie doch." Schon wieder so eine klare Ansage.

"Es sieht so aus – aber es ist ganz anders." Mehr Verwirrung geht nicht. Was soll das heißen? Erziehen - und doch nicht erziehen, oder was? Jetzt wird es mühsam. Jetzt kommt die Sache mit den zwei Dimensionen. Dass wir – erstens – in der physikalischen Welt, der Welt des Anfassens und Handelns, der Welt der Dinge unterwegs sind. Und dass wir – zweitens – in der psychologischen Welt, der Welt des Unsichtbaren, des Bewertens und der Gefühle unterwegs sind, auch unterwegs sind. In beiden Welten gleichzeitig. Dass wir bei allem, was wir tun, immer auch etwas fühlen. 

Die Welt der Gefühle, Interpretationen, Einstellungen lebt in uns. Und dort, im Unsichtbaren, aber sehr wohl Vorhandenem, im real existierenden Unsichtbaren, da sind die Menschen entweder per Erziehung unterwegs oder eben nicht. Das unsichtbare Element der Erziehung muss man nicht in sich tragen. Ich jedenfalls habe es nicht in mir. Und ich rede davon, dass niemand das in sich haben muss. Und dass ich es für ungut und gefährlich halte. 

Und dass ich mich aufgerufen fühle, dieses erzieherische Element, dieses psychische gefährliche Elementarteilchen, in der Welt zu verringern. So wie Ärzte die Pockenviren bekämpfen, auf dass sie in keinem Menschen mehr leben und ihre destruktive Wirkung entfalten. Pocken ausrotten: ein großes Ziel, Mission accomplished (1980). Erziehung ausrotten: ein großes Ziel, Mission impossible (2022 ...). Aber: Ich arbeite dran.

Jetzt muss ich klarmachen, was ich denn für das - gefährliche - erzieherische Element halte. Ich lege los: Es geht um eine Haltung, Einstellung, Grundgefühl. Wie dies deutlich machen?


Fortsetzung im nächsten Post!