Als
ich zum ersten Mal von Amication hörte, war ich 42 Jahre alt und
lebte in einer kritischen Lebensphase. Voll Unsicherheit und Zweifel
war mein Leben. Meine 22 Jahre andauernde Ehe drohte kaputt zu gehen,
die ersten 3 Kinder waren bereits aus dem Haus – nach anstrengenden
Auseinandersetzungen während ihrer Pubertätsjahre –, mein
jüngster Sohn, der noch zu Hause lebte, war schwierig und
verschlossen. Ich war damals auf der Suche nach Sicherheit für
mich.
Ich erzählte auf einem Amications-Seminar von den
Schwierigkeiten, die ich mit einem meiner Söhne hatte, und von
meinen Schuldgefühlen und von dem Vorwurf an mich, vieles an der
Erziehung dieses Sohnes falsch gemacht zu haben. Als Antwort bekam
ich sinngemäß, dass ich gar nichts falsch oder richtig gemacht
haben könnte, sondern sicher das getan habe, was in meiner Macht
stand, dass ich das gemacht habe, was ich machen konnte. Diese
Botschaft saß bei mir! Die tiefe Erkenntnis erreichte meine Gefühle
– die Last der Schuld wich plötzlich von mir ab. Ich hatte ja
wirklich immer nur das getan, von dem ich annahm, dass es richtig
wäre.
Damals wusste ich so genau noch nicht, was es bedeuten
würde, von meinem alten Anspruch abzulassen, zu erziehen und für
andere zu wissen, was gut für sie sei. Ich wusste nicht, wie schwer
es ist, die alten Gewohnheiten abzulegen, wirklich zu akzeptieren,
dass nur jeder selbst für sich weiß, was für ihn gut ist. Es
begann also ein langer Prozess des Lernens und des Übens der neuen
Beziehung ohne Erziehung.
Mir war intellektuell klar, dass ich
nicht in anderer Leute Köpfe sehen kann, also keinesfalls für einen
anderen Menschen entscheiden kann, auch nicht für meine Kinder. Von
dieser Grundhaltung überzeugt fing ich an, mich in einer Gruppe von
Gleichdenkenden mitzuteilen, von den Versuchen, Erfolgen und auch
Misserfolgen im Umgang mit anderen Menschen zu reden.
So ganz
allmählich wurde mir immer klarer, dass es hier nicht um eine „noch
bessere, liebevollere Erziehung“, ein noch geschickteres Umgehen
mit Kindern geht – also um etwas für andere Menschen –, sondern
dass ich es bin, die hier in Beziehung zu jemandem steht, dass ich es
bin mit meiner ganzen Person, mit meinem Fühlen und meinem Denken.
Ich begriff, dass ich es bin, die hier im Mittelpunkt allen
Geschehens steht. Ich fing an, mich erstmalig wahrzunehmen, mich
ernst zu nehmen, zu merken, was mit mir geschieht. Zu merken, was
passiert, wenn ich meine Interessen nicht richtig vertreten kann, zu
merken, was ich mache, wenn ich mich durchsetze, zu merken, wie das
ist, wenn ich wütend werde, mich freue ...
Ich begriff, dass
es auch mit mir als „erzogenes Kind“ zu tun hat, mit meinen alten
anerzogenen Mustern aus meiner Kindheit, meinen schmerzvollen
Enttäuschungen, meinen Vorurteilen von dem, was sich gehört und was
nicht, meinen Beschränkungen und auch mit meinen sinnvollen, alten
Konditionierungen, die ich durch meine Eltern und Kulturbedingungen
erfahren habe. Ich bekam Klarheit über das, was sich in mir
abspielte.
Ich konnte mir nun mit diesen wahrnehmenden
Kenntnissen über mich neu überlegen, was ich von den vielen
anerzogenen Gesetzen, die mich leiteten, behalten wollte, weil sie
sinnvoll und hilfreich für mich sind, und was ich an Gesetzen heute
nicht mehr für mich will, weil sie mich behindern. Mir wurde klar,
dass ich mich jederzeit neu entscheiden kann, das eine oder andere zu
tun. Die Entscheidung liegt bei mir. Das war eine wichtige Erkenntnis
für mich. Sie gab mir das Wissen, dass ich einmalig und selbständig
meine Dinge bestimmen kann, also meine Entscheidung habe, was ich
tue, ob ich z.B. abhängig sein will oder nicht. Es war eine weit
reichende Erkenntnis für mich, festzustellen, dass mich niemand
wirklich zwingen kann und ich immer der Meister meiner Belange
bin.
Ich übernehme die Verantwortung für mich. Das geht bis
in alle Bereiche meines Lebens hinein. Es betrifft meinen Körper,
meine Seele, meine politischen Auffassungen, überhaupt alles. Ich
komme mir wie aufgeweckt vor. Ich bin von einer grauen Maus, die
leidensfähig immer nur für andere sorgte, zu einer selbstbewussten,
aktiven und munteren Frau geworden, die sich ihres Lebens freut,
aufmerksam mit sich und anderen Menschen umgeht, die etwas über
Körpersprache lernt, ein Gefühl für Energien bekommt, die
Traurigkeit und große Freude erlebt, kurzum, die sich rundum wohl
fühlt. Und das alles, obwohl meine Ehe inzwischen nicht mehr
besteht, ich also alleine lebe.
Ich kann „Ja“ sagen zum
Leben, mit allem Rauf und Runter. Mein altes Kindheits-Ok-Gefühl
habe ich wieder gefunden, nachdem ich so mancherlei Gerümpel, was
durch Erziehung darüber lag, beiseite schaffen konnte. Ich kann mich
so akzeptieren, wie ich gerade heute bin. Ich habe nicht mehr den
Zwang, mich bessern zu müssen, dieser alte pädagogische Anspruch
ist Gott sei Dank von mir gewichen. Wann immer ich mit Menschen zu
tun habe – besonders mit jungen Menschen –, gehe ich von ihrer
Souveränität aus, möchte ich sie sehen, wie sie sind, von ihnen
lernen, mit ihnen leben, mit ihnen lieben.