wenn wir uns
Schule – ein wirklich weites Feld. In der Schule passiert viel Gutes. Und in der Schule passiert viel Schlechtes: Es gibt so etwas wie Schuldemoralisierung und das Schultrauma. Ich sage: Wir leben in einer schultraumatisierten Gesellschaft. Darüber habe ich einmal ein Bild gemalt.* (Vor langer Zeit – und deswegen kommt nicht "Indigene" vor, sondern "Indianer".)
*
New Mexico, im Sommer. Sie machen Ferien in Amerika. Und da Sie sich schon immer für die indianische Kultur interessiert haben, besuchen Sie die Navajos in der Four-Corners-Region und halten sich nun schon drei Wochen bei ihnen auf, in der Reservation am Mount Taylor. Sie haben viel gesehen und unternommen und neue Freunde gewonnen.
Eines Tages fragt Sie Ihr indianischer Freund Tatanga, ob Sie sich nicht einmal das Museum anschauen wollen. „Ihr habt ein Museum? Klar, das interessiert mich!“ Sie sind gespannt und erwarten neue Einblicke in die Lebenswelt der Indianer.
Nach einer Weile Fahrt durch die faszinierende Landschaft kommen Sie zu einem schlichten Holzhaus. Es ist schon älter, wirkt aber gepflegt. Niemand ist da, der Sie und Ihren Freund begrüßt, aber die Tür ist offen, und Sie gehen hinein. Der Raum, den Sie zunächst betreten, sieht wie das Klassenzimmer einer Schule aus. Bänke, Stühle, eine Tafel, einige Bücher. Wahrscheinlich werden hier Vorträge zur Geschichte der Indianer gehalten. Nach einem kurzen Blick in die Runde wollen Sie den Raum verlassen, denn es gibt nichts besonderes zu sehen.
Aber Tatanga macht keine Anstalten hinauszugehen. Er steht mit ernstem Gesicht in der Nähe der Tafel und sieht aus dem Fenster. „Lass uns hier weggehen, das ist doch nur der Raum für Vorträge. Wo sind die Exponate?“, sagen Sie. Doch Ihr Freund verzieht keine Miene und rührt sich nicht. „Was ist los?“, fragen Sie. „Wir sind im Museum“, sagt er. „Na klar“, antworten Sie, „aber hier ist doch nichts. Zeig mir die richtigen Räume.“
Tatanga dreht sich zu Ihnen um und sieht Sie voll an. „Du bist im Museum. Es ist hier, dieses Haus, auch dieser Raum. Unser Museum ist eine Schule.“ „Wieso – eine Schule?“ Sie sind enttäuscht. Was ist an einer Schule interessant? Ihr Gesicht spiegelt Unverständnis. Tatanga lächelt. „Ich weiß, dass Du jetzt enttäuscht bist. Aber dies hier ist wirklich unser Museum. Weißt Du, in diesem Haus wurden die Eltern meiner Großeltern, meine Großeltern und auch noch meine Eltern unterrichtet. Von weißen Missionaren und Lehrern. Sie sollten 'zivilisiert' werden. Mit Eurer Kultur. Mit Eurer Denkweise. Sie mussten Eure Buchstaben lernen. Eure Art, die Welt zu sehen. Ihre kulturelle Identität - ihre Persönlichkeit ...“ Er schweigt, und dann sagt er leise: „Zumindest haben sie es versucht.“
Sie stürzen in einen Strudel voller Gefühle. Ihr abstraktes Wissen vom kulturellen Imperialismus der Weißen wird hier konkret, an diesem Ort: Hier, in diesem Raum fand das alles statt. Die Präsenz dieser Ungeheuerlichkeit nimmt Ihnen den Atem. Empörung, Wut, Hilflosigkeit und tiefe Scham branden auf. Sie fühlen das Leid, das Entsetzen, die Ohnmacht dieser Menschen. Sie hören die Kommandos der Lehrer, das unbeugsame leise und laute Nein der Kinder, die verzweifelten Schreie der Mütter, denen die Kinder von den Soldaten aus den Zelten gerissen werden, und Sie spüren den unendlichen Zorn und die bodenlose Hilflosigkeit der Väter. Sie sehen den Kampf dort und das Niederringen der Seelen hier.
Die Brutalität und Demoralisierung dieser „Zivilisierung“ springen Sie an. Wie in Trance starren Sie in den Raum, und als Sie endlich zu Tatanga sehen, ist er nicht da. Sie verlassen das Museum, dieses Mahnmal gegen die Unmenschlichkeit, setzen sich unter einen Baum und überlassen sich erschöpft Ihren Gefühlen. Und Sie verstehen.
Als Sie Welten später aufblicken, sehen Sie die stolzen Indianerkinder von damals vor sich stehen. Sie schauen sich an. Und auf einmal verstehen Sie wirklich: „Das stolze lndianerkind – das bin ja ich!“ Tränen schießen Ihnen in die Augen. „Auch ich wurde in ein solches Haus geschafft. Auch vor mir stand ein Lehrer. Auch ich wurde gebeugt und gebeugt und gebeugt. Subjekt, Prädikat, Objekt. (a + b) x (a + b). Schule. Jeden Tag.“ Und Sie halten sich selbst fest. Ganz fest.
* H.v.S., Schule mit menschlichem Antlitz, 2001, S. 78 ff.
Was ist Amication? Wie wird man ein amicativer Mensch? Wie kommen amicativ aufwachsende Kinder mit der Welt zurecht? Was bedeutet Amication für die Partnerschaft? Wie sieht eine amicative Schule aus? Gibt es Vorläufer der Amication? Worin liegt der Gewinn der Amication? Wie steht Amication zur Gewalt? Ist Amication egoistisch? Woher nehmen amicative Menschen ihre Sicherheit? Ist Amication nur etwas für Privilegierte? Wem dient Amication? Welche Quellen hat Amication? Was ist für Amication Wahrheit? Wie sieht die amicative Gesellschaft aus? Können amicative Menschen Fehler machen? Wie lernt man Amication? Wer sagt, was Amication ist? Gibt es keinen Hass mehr in der Amication? Gibt es in der Amication Werte? Ist Amication autoritär? Wieso ist Amication keine Erziehung? Gibt es konkrete Auswirkungen amicativer Kommunikation? Wie merken die Kinder die amicative Einstellung? Was sind die Eckdaten amicativer Ethik? Hat es Korrekturen innerhalb der Amication gegeben? Gibt es Essentials für die Amication? Sind die Aussagen der Amication Ziele? Lassen sich die Aussagen der Amication hier und heute realisieren? Was muss man mitbringen, um amicativ leben zu können? Wie kann man Amication gut erklären? Wieso kommen nicht mehr Menschen auf amicative Gedanken? Welchen Einfluss hat Amication auf die Selbstliebe des Kindes? Welche gesellschaftlichen Auswirkungen hat die amicative Sicht? Gibt es neue Entwicklungen in der Amication? Gilt Amication schon bei Säuglingen? Wie würden amicative humanwissenschaftliche Institute der Universitäten aussehen? Welche gesellschaftliche Utopie entwirft Amication? Benötigt Amication Strafgesetze? Gibt es in anderen Kulturen amicatives Gedankengut? Gibt es im abendländischen Kulturkreis amicative Nischen? Was sagt Amication zu Krankheiten? Zu Krebs? Zu Aids? Welche Einstellung hat Amication zum Tod? Welchen Stellenwert hat für Amication der alte Mensch? Welche Bedeutung haben für amicative Menschen Verabredungen und Treue? Demut und Dienen? Warum engagieren sich Menschen für die Verbreitung der Amication? Wie lange wird es Amication noch geben? Ab welchem Alter kann man mit Kindern über die amicative Theorie reden? Worin sind die Widerstände gegen Amication begründet? Ruft Amication Ängste hervor? Mit welchen Argumenten kann Amication Andersdenkende überzeugen? Welche Argumente haben Andersdenkende gegen Amication? Muss sich der Erwachsene ändern, um amicativ leben zu können? Wem nutzt die Sicht der Amication, dass der Mensch konstruktiv ist? Wieso gibt es in der Amication keinen wirklichen Gegensatz von Gut und Böse? Haben Kinder ein amicatives Bewusstsein? Welche Fragen sind für amicative Menschen nicht mehr wert, dass über sie nachgedacht wird? Haben gesellschaftliche Faktoren Einfluss auf die amicative Position? Müssen erst gesellschaftliche Strukturen geändert werden, um amicativ leben zu können? Ist Amication ein gesellschaftlicher Faktor? Wird die amicative Erkenntnis bei ihrer Umsetzung in die Praxis verschlissen? Wieso ist Amication eine kulturelle Auswanderung? Welche Macht hat Amication? Kann Amication Ängste befrieden? Was ist amicativer Frieden?
Alltag mit Kindern, Wohnzimmer. „Was machst Du denn da? Wie sieht's denn hier aus? Das glaub ich nicht!“ Kerstin sieht entgeistert zu ihrer Dreijährigen und ist sprachlos. Bis auf das, was gerade ausbrach.
Melanie, mit sich und ihrem Spiel in Harmonie, kniet auf dem Teppich, steht auf. Langsam, sie nimmt die Magie ihrer Königsaura mit nach oben, sie steht und sieht ihre Mutter voll an. Die rechte Hand erhoben, Handfläche nach vorn. Und sanft, klar, majestätisch: „Nicht in diesem Ton.“ Stille. „Mama, nicht in diesem Ton.“
Melanie spricht von innen. „Du könntest doch auch mal sehen, was ich hier geschafft habe.“ Hand und Arm machen einen Bogen. „Das ist der Teppich. Und das ist der Pudding. Und das ist die Autobahn. Zwei Spuren. Langsamspur, Überholspur, Ausfahrt, Einfahrt. Und da ist die Tankstelle.“ Melanie steht königlich da. Kerstin ist gebannt.
Melanie
bleibt online: „Okay, ich seh ja, dass Dich das nervt. Schon gut. Ich
helf auch, dass es wegkommt. Ich hol den Eimer und den Lappen.“ Melanie
macht ein etwas besorgtes Gesicht, Kerstin rührt sich noch immer nicht.
„Mama, ich mach's auch nicht nochmal.“ Kleines Nachdenken. „Jedenfalls
nicht mit Schoko. Vanille muss ich noch mal sehen.“
*
Parallelwelt, zeitgleich: „Nicht in diesem Ton.“ Stille. „Mama, nicht in diesem Ton“. Melanie erklärt ruhig, freundlich und geduldig: „Ich weiß ja, dass Du nicht anders kannst. Und ich habe das drei Jahre mitgemacht. Aber jetzt ist es mal gut. Ja, wir leben in einer Schimpfkultur. In der Menschen herabgesetzt werden. Kinder sowieso.“
„Aber Du könntest ja auch mal sehen, was ich hier geschafft habe. Und was auf meinem Kopf ist: eine Krone. Meine Krone. Würde. Ich bin ein Mensch, mit Würde. Und ich möchte diese Töne nicht mehr. Kannst Du das lassen, einfach weglassen, hinter Dir lassen, ins Museum bringen? Du bist doch selbst mit diesem Tönen groß geworden. War doch auch für Dich nicht schön. Okay, Du lässt sie weg? Das kannst Du.“
Kerstin schießen Tränen in die Augen. Sie fühlt es wieder, diese Herabsetzungswucht ihrer eigenen Kinderzeit. Aus erstarrter Tiefe bricht es auf. „Auch ich wurde so angefaucht.“ Schmerz überwältigt sie. Sie weint heftig. Sie nimmt Melanie in den Arm, kurz.
Sie
muss ihren Tsunami loswerden. Stürzt zum Handy, ruft Irene, ihre beste
Freundin an. „Weiß Du, was mir gerade passiert ist?“ Sie erzählt. Und
Irene versteht. Auch sie weint. Und telefoniert ins Land. Es gibt eine
Telefonlawine. Rund um die Welt. Am nächsten Morgen gibt es keine
Schimpfe mehr.