Montag, 29. Juli 2024

Sommerpause

 


Ich bin in den Sommerferien, der nächste Post kommt Mitte September. 

Habt alle eine schöne Zeit!

 

 

 

 

 

Montag, 22. Juli 2024

Universumsangestellter

 

 

„Es geschieht doch alles sowieso so, wie es geschehen soll. Da kann ich doch gar nichts beeinflussen.“ Ein Statement auf einer Vortrags-Aussprache, als es darum ging, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist und dass jeder sein eigener Chef ist.

Na ja, dachte ich, bin ich nun die Marionette des Schicksals/Universums/höherer Mächte oder gehöre ich mir selbst? Die Amication ist da eindeutig: Ein jeder gehört sich selbst und ist für sich verantwortlich. Und Punkt.

Aber. Man kann es sich ja auch so zurechtlegen: Kann schon sein, dass alles so geschieht, wie es geschehen muss. Ich bin dann eingewoben in diesen Sowieso-Prozess. Meine Entscheidungen, mit Chefgefühl vor mir und für mich verantwortet, quellen irgendwie, auf geheimnisvolle Weise aus dem Universum hervor, „es“ durchdringt mich und dann handele ich so, wie ich handle (geht zum Beispiel rechts herum zum See). 

Ich hätte auch anders entscheiden können (links herum), habe ich aber nicht. Die Wahl habe ich schon, Chefgefühl. Aber kommen muss es so, wie es kommen muss, egal ob rechts oder links herum. Wenn rechts herum, dann eben rechts herum (meine Entscheidung), wenn links herum, dann eben links herum (meine Entscheidung).

Ich bin mir sicher, dass ich entscheide, und dass ich es bin, der entscheidet. Und wenn mein Entscheidungen (meine Chef-Entscheidungen) in Übereinstimmung mit irgendeinem großen Plan stehen, ok, egal, dann eben. Irritiert mich nicht, wenn das so sein sollte. Bricht mir keinen Zacken aus der Krone.

„Spielt es wirklich eine Rolle?“ habe ich geantwortet. Und gemerkt, dass es für mich keine Rolle spielt, ob ich Universumsangesteller bin oder Universumschef. Ich tu eh, was ich vor mir verantworte. Wenn sich dann irgendwann einmal rausstellen sollte, dass ich da nur machte, was sowieso gemacht werden musste - ja mei! Dann soll es so sein und stört mich nicht.

„Aber dann ist so ein amicatives Chefgefühl doch pure Illusion!“ Puh – und wenn schon. Wer will das denn wissen? Überhaupt, was für ein merkwürdiges Gedenke. Muss ich das haben? Muss ich nicht. Bin halt auf dem Vortrag drauf angesprochen worden. Und das will ich ja auch nicht schlechtreden und steig mal drauf ein.

Jedenfalls bin ich gerne mein eigener Chef und genieße meine Selbstverantwortung. Und wenn meine Entscheidungen in irgendeinen großen Plan passen oder mir von dort rübergereicht werden: Auch gut, ändert nichts an meiner Zufriedenheit. Sitze ich einer Illusion in Sachen freie Entscheidung, Chef und Co auf? Wenn man keine anderen Probleme hat! Ich mach mich da ein bisschen lustig drüber, über die Universumsspürer und spirituellen Pfadfinder, bei allem Respekt. „Bleiben Sie auf dem Teppich“ habe ich gesagt, „das spielt doch für unser kleines konkretes Leben im Hier und Jetzt keine wirkliche Rolle.“ Ist es so? 

So einfach? Warum denn nicht.

 

Montag, 15. Juli 2024

Gruni

 



Mit lauten Knall wachte Gruni auf. Er rieb sich die Augen und sah an sich herab. Sein Fell war schwarz, und seine fünf Füße waren gelb. Das war nichts Besonderes. Gruni sah aus wie eine Mischung aus Fuchs und Eichhörnchen, und er hatte fünf Beine und drei Ohren. Die Ohren waren rot, blau und orange.

Sein Freund, der grüne Prachtkäfer, war erschreckt hochgefahren, als Gruni mit dem Knall aufwachte. „Was ist los?“, fragte er verschlafen. „Es ist Mogudazeit“, antwortete Gruni. Er sprang von seinem Schlafast und huschte über die Höhle zur Quelle. Er tauchte ein, trank und spritzte den Prachtkäfer nass. Sie rannten über die Lichtung, und in der Radkappe machten sie halt.

 Das Wetter ist schön“, stellte Gruni zufrieden fest. Der Prachtkäfer nickte. Sie warfen den Stemmmast, und als er in die Richtung der Schwäne fiel, sahen sie sich bedeutungsvoll an. Sie klopften an die Radkappe, und schon flogen sie zu den Schwänen. Sie landeten bei Hofua, dem sechsten Schwan, und sie schenkten ihm rosa Farbe von dem vierten Ohr Grunis, das er im Rucksack bei sich führte.

Der Schwan nahm die rosa Farbe, bestrich damit eine alte Feder und hörte hinein. Die Feder berichtete ihm, dass hinter dem Glasberg ein Schwan abgestürzt sei und auf Hilfe wartete. Der Schwan bedankte sich sich bei Gruni und dem Prachtkäfer und flog fort.

Gruni warf die Radkappe in die grüne kleine Pfütze, und der Prachtkäfer zählte die Worte, die aus der Pfütze kamen. „Es sind siebenundvierzig“, sagte er zu Gruni. Sie spannen aus den siebenundvierzig Worten ein Floß und segelten mit ihm durch vier Zeitwinde. „Das liegt an der Mogudazeit“, vermutete der Prachtkäfer. Deswegen kamen sie nicht so rasch vorwärts. Es wurde dunkel, und als der dritte Mond untergegangen war, legten sie sich zum Schlafen.

Gruni wachte wieder mit einem lauten Knall auf. Sein Fell war schwarz und seine fünf Füße waren gelb. Seine Ohren leuchteten rot, blau und orange. Nur der grüne Prachtkäfer war nicht mehr da. „Suchst Du ihn?“, fragte die Eule. „Nein“, antwortet Gruni, „ich habe ihn.“ Er drehte sich immer schneller um sich selbst, und als sein Schlafast anfing, sich mitzudrehen, fiel er in den Ast und begegnete dem Prachtkäfer in seinem Gang. „Komm“, sagte der Prachtkäfer, „lass uns diesen Ausgang nehmen.“

Sie gelangten auf eine rosa Wiese, und sie sahen, dass der Schwan seinem kranken Artgenossen den Flügel verbunden hatte. Gruni gab wieder etwas rosa Farbe ab, und die Gräser der rosa Wiese begannen vor Freude zu niesen. Gruni setzte sich neben den grünen Prachtkäfer, und ihre Morgenquelle hielt die beiden Schwäne im Arm. Sie sahen zu, wie die Sonne den zweiten Mond ablöste, und sie begannen mit ihrem Frühstück. Sie verschenkten Tee an die Halme, und sie lachten im Morgenwind.

 

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Aus meinem Buch „Fuchs Schneeflocke. Zauberhafte Gute-Nacht-Geschichten“


 

Montag, 8. Juli 2024

Nicht erziehen - das soll das!



 

Mein Freund Bogdan, Pädagogik-Professor an der Universität Lodz in Polen, wird zu seinem 70. Geburtstag mit einer Festschrift geehrt. Ich kann mit einen Beitrag mitmachen. In meinen Texten finde ich etwas, das ich den dem Fachpublikum gern vorstellen möchte. 

Den ersten Teil meines Beitrags habe ich in den letzten Post gestellt. Hier der zweite Teil. 

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Nicht erziehen - das soll das!

Interpretationen, Bilder vom Menschen, können sich als überholt erweisen.

Zum Beispiel die Sicht, dass jemand mit schwarzer Haut ein nicht so richtiger und wertvoller Mensch ist wie jemand mit weißer Haut und dass er sich zum Sklaven
eignet. Oder die Sicht, dass Männer die richtigeren und wertvolleren Menschen sind, und dass man deswegen den Frauen das Wahlrecht nicht zubilligen darf. Oder die Sicht, dass nur der König die Staatsgeschäfte richtig führen kann, nicht das Volk. Oder, oder, oder. Menschenbilder gibt es viele, doch stets sind sie Hypothesen, Bilder – niemals jedoch bewiesene Tatsachen des Lebens.

Die pädagogische Sichtweise auf das Kind ist auch nichts anderes als eine solche anthropologische Hypothese. Sie ist nicht wirklich zu beweisen, aber sehr wohl als Grundlage für den Umgang mit Kindern geeignet und bewährt.

Bis eine neue anthropologische Hypothese auftritt und das alte Bild und die vertraute Basis in Frage stellt. Bis jemand kommt, der die pädagogische Sicht vom Kind nicht mehr akzeptiert und einen nicht pädagogischen Weg zu den Kindern sucht. Und findet. Und entsprechend seiner neuen Hypothese zu leben beginnt. Und nicht scheitert, sondern Erfolg hat. Und genau solche Menschen gibt es heutzutage.

Diese Menschen kommen aus der konstruktiven Postmoderne, in der die Gleichwertigkeit aller Phänomene als Grundlage erkannt wird. Niemals steht etwas wirklich über dem anderen, Weiße nicht über Schwarzen, Männer nicht über Frauen, Regierende nicht über Regierten, Menschen nicht über der Natur, Philosophien nicht über Philosophien, Religionen nicht über Religionen, Kulturen nicht über Kulturen. Und auch nicht Erwachsene über Kindern.

Wenn das Paradigma der Gleichwertigkeit ernst genommen und zur Grundlage gemacht wird, dann gibt es den Unterschied von einem vollwertigen Menschen (dem Erwachsenen) und einem noch nicht vollwertigen Menschen (dem Kind) nicht mehr – sondern es wird gesehen, dass beide auf einer gleichen Plattform stehen, der Plattform des vollwertigen Menschen. 

Und dann hat eine missionarische Haltung, wie sie jeglicher Erziehung zugrunde liegt, keinen Platz mehr. Dann werden Kinder nicht mehr erzogen, dann lebt etwas anderes als Erziehung zwischen Erwachsenen und Kindern: personale Beziehungen, wie bei allen anderen Menschen auch.

 



Montag, 1. Juli 2024

Nicht erziehen - was soll das?

 

 

Mein Freund Bogdan, Pädagogik-Professor an der Universität Lodz in Polen, wird zu seinem 70. Geburtstag mit einer Festschrift geehrt. Ich kann mit einen Beitrag mitmachen. In meinen Texten finde ich etwas, das ich dem Fachpublikum gern vorstellen möchte. 

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Nicht erziehen - was soll das?

Die Kinder sind da, die Erwachsenen sind da, die Gesellschaft ist da, voller Werte, Orientierungen, Grenzen, Herausforderungen. Es ist alles bereitet und bereit, wenn ein Kind geboren wird. Das Abenteuer Leben kann beginnen. Eltern lieben ihre Kinder, sind Ressource und Trost, Unterstützung und Stützpunkt, wozu um alles in der Welt braucht es da noch Erziehung?

Nun, Erziehung ist eben mehr als das Selbstverständliche. Erziehung ist etwas Besonderes. Erziehung ist die Aufgabe und der Auftrag, dafür zu sorgen, dass die Kinder gelingen. Dass sie richtige, vollwertige Menschen werden. Erziehung ist Sendung, eine kulturelle und zivilisatorische Mission: aus Kindern Menschen zu machen; sie zu bilden, formen, lenken, ihnen die richtigen Werte mitzugeben und sie an ein Verhalten zu gewöhnen, das sie überlebenstüchtig macht.

Erziehung ist unverzichtbar, ohne Erziehung gibt es Chaos und Unglück. Es braucht heutzutage mehr und vor allem bessere Erziehung, bessere Methoden, bessere Bücher, bessere Seminare. Sind daran Zweifel erlaubt? Jeder weiß, was passiert, wenn zu wenig erzogen wird ... wenn überhaupt nicht mehr erzogen wird – so etwas ist außerhalb des Vorstellbaren.

Wer sollte auch ernsthaft auf die Idee kommen, mit der Erziehung aufzuhören? Dieser Gedanke ist abwegig und ein schlechter Witz. Gegen diesen Gedanken stehen nicht nur die pädagogische Wissenschaft, die zigtausend Erziehungsbücher, das Engagement der unzähligen pädagogischen Professionellen, sondern auch die Lebenserfahrung und der Blick in die Geschichte. 

Aber genau dieser Gedanke soll hier gedacht werden. 

Nein, nicht der Gedanke vom Ende der Erziehung, der ins Chaos führt. Sondern ein anderer Gedanke vom Ende der Erziehung: ein Gedanke, der einen neuartigen und konstruktiven Weg für Erwachsene und Kinder öffnet.

Es beginnt mit einem Nachsinnen über das Bild vom Kind. Woher wissen Erwachsene, was Kinder sind und wie sie mit ihnen umgehen sollen? Wer kennt sich aus und wen kann man fragen?

Als die Erwachsenen selbst Kinder waren, haben sie von ihren Eltern gelernt, was es für ein Bild vom Kind gibt: das Bild von einem jungen Menschen, der Erziehung braucht, um ein richtiger Mensch zu werden.

Aber – und hier setzt das Nachsinnen ein – dies ist nur ein Bild, eine Vorstellung, eine Vermutung, eine Hypothese. Gewiss, diese Hypothese hat sich bewährt, alles läuft darauf hinaus, dass Kinder Erziehungsmenschen sind und Erziehung brauchen, und jeder verhält sich so. Aber Kinder tragen kein Schild auf der Stirn mit der Aufschrift »Ich brauche Erziehung«. Erwachsene sehen diese Aufschrift, aber sie ist nicht real da, sondern nur im gewohnten Blick, in der gewohnten Interpretation vom Kind.

Und Interpretationen, Bilder vom Menschen, können sich als überholt erweisen.

 

 

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Fortsetzung des Texts im nächsten Post.