Montag, 11. März 2019

Greta und die Lehrer







Die Kommentare der Lehrerschaft und ihrer Vasallen zu Greta Thunberg und Fridays for Future lassen kalte Wut in mir aufsteigen, wieder mal. Und wieder mal meißel ich in die Welt die Wahrheit über die Lehrer und alle Erwachsenen, die hinter ihnen stehen. Klar doch, es ist meine Wahrheit, und ich habe keinen Besserwisseranspruch. Keinen Anspruch. Aber sehr wohl habe ich Recht - aus meiner Sicht. Hier also mein Text, geschrieben schon vor 20 Jahren:


Lieber Lehrerin! Lieber Lehrer!

Mit welchem Recht legen Sie fest, was ein anderer Mensch zu denken und was er nicht zu denken hat? "Schlag Dein Buch auf, lies den zweiten Absatz von oben!", "Wiederhole, was ich gerade gesagt habe!", "Gib den Text mit eigenen Worten wieder!", "Wie viel ist sieben mal acht?", "Wo fließt der Amazonas?", "Wann, warum, womit, weshalb, wodurch, weswegen, wohin, wie lange, wozu, wie oft, wie gut, wie schnell, mit wem, mit wem nicht, mit welchem Recht, ...?" Mit welchem Recht setzen Sie sich grandios über das Recht eines anderen Menschen hinweg, zu denken, was er will? Warum missachten Sie das Menschenrecht auf Gedankenfreiheit? Permanent, ohne auch nur irgendeinen Impuls des Innehaltens, des Ahnens, dass da etwas Ungeheuerliches passiert? Mit welchem Recht greifen Sie so ohne jeden Skrupel in die innere Souveränität eines anderen Menschen ein? Mit welchem Recht zelebrieren Sie in geradezu religiösem Fanatismus diesen kulturellen Imperialismus? Mit welchem Recht behandeln Sie die Kinder wie die Nigger, denen der Missionar die Religion und Zivilisation beizubringen hat? Warum haben Sie wie die kommunistische Partei immer Recht? Was treibt Sie in diesen unreflektierten Chauvinismus, in diesen überbordenden Adultisms?

Was hindert Sie eigentlich, in Kindern Menschen zu sehen, die ihre eigenen Gedanken und ihre eigene innere Welt haben, mit denen man von Gleich zu Gleich in Austausch treten kann? Was treibt Sie in den "pädagogischen Bezug", der Ihnen die Führungs- und Formungsrolle gibt, wie progressiv sich das heute auch ausnimmt? Wozu ist es gut, dass Sie selbst nach und nach versteinern, weil Sie immer dieselben Fragen stellen und ohne wirklichen geistigen Austausch leben - den Sie verfehlen, wenn Sie Kinder nicht als vollwertige Menschen mit einer eigenen souveränen inneren Welt sehen, sondern als Behälter, die mit Ihrem Wissen und Ihrer Kultur gefüllt werden müssen? Warum sind Ihre Augen verschlossen vor dem Leid, das Sie diesen Menschen psychisch, intellektuell und spirituell zufügen? Und vor dem Leid, das Sie sich durch die dadurch bedingte Isolation selbst zufügen?

Warum verschließen Sie sich dem kulturellen Paradigmenwechsel von Oben-Unten hin zur Gleichwertigkeit und zur Achtung vor der Identität des anderen? Wie er längst gelungen ist in den Lebensbereichen Schwarz-Weiß, Mann-Frau, Mensch-Natur, Kultur-Kultur, Religion-Religion und vielen anderen? Mit welchem Recht setzen Sie den historisch überholten Totalitarismus im Klassenzimmer fort? Mit welchem Recht verordnen Sie im Machbarkeitswahn gottgleicher Sendung anderen Menschen Ihre kulturelle und zivilisatorische Vorstellung vom Menschen?

Mit welchem Recht verstoßen Sie gegen das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit? Warum können die Kinder nicht sagen, was sie wollen und wann sie es wollen? Was heißt "Ihr seid zu laut!", "Du bist nicht dran!", "Rede vernünftig!", "Das passt nicht hierher!" eigentlich? Mit welchem Recht maßen Sie sich an, anderen Menschen über den Mund zu fahren? Warum machen Sie die Kinder mit Ihrem "Ruhe jetzt!" zu Duckmäusern? Mit welchem Recht sind nur Ihre Gedanken und Ihre Worte verbindlich, und warum haben die Kinder keine wirkliche Möglichkeit zum Widerspruch, zum Vortragen eigener Meinungen, zur Vertretung ihrer Interessen? Mit welchem Recht hängt alles grundsätzlich und im Detail immer wieder von Ihrem Wohlwollen ab, wie in der Leibeigenschaft? Mit welchem Recht üben Sie im Klassenzimmer Diktatur aus und missachten die Grundwerte der Demokratie? Mit welchem Recht gilt für Sie nicht "Die Würde des Menschen ist unantastbar"? Mit welchem Recht tasten Sie die Würde der Kinder an, denken und sagen zu können, was sie selbst denken und sagen wollen?

Mit welchem Recht sperren Sie Menschen ein? Warum sind Sie die Person, die Kinder in engen Räumen gefangen hält? 30 Personen in einem einzigen, wenige Quadratmeter großen Raum, 45 Minuten um 45 Minuten, 4, 5, 6, 7, 8mal am Tag, 5 Tage in der Woche? Warum müssen die Kinder durch Sie 10 Jahre lang erleben, dass sie viele Stunden am Tag in ein Gefängnis gehören, in das "Teilzeitgefängnis Schule"? Mit welchem Recht missachten Sie die "Freiheit der Person" des Grundgesetzartikels 2? Warum lassen Sie zu, dass die Kinder Ihnen hinter verschlossenen Türen ausgeliefert sind? Mit welchem Recht fördern und garantieren Sie tagtäglich diese umfassende Kindesmisshandlung? Warum geben Sie sich für etwas her, für das die Bezeichnung "Gehirnwäsche" milde, "Seelenmord" drastisch ist? Warum lassen Sie sich dafür einspannen, in einem gigantischen Umerziehungslager, das Menschen ihre Identität bricht und neu justiert, den Vorsitz dieser Barbarei zu übernehmen? Mit welchem Recht lassen Sie zu, dass Menschen in Not nicht bei denen Schutz und Trost finden können, denen sie vertrauen und die sie brauchen? Wenn eine Siebenjährige in der dritten Stunde nach Hause zu ihrer Mutter will - was verführt Sie zu der Unmenschlichkeit, das nicht ohne Wenn und Aber zuzulassen?

Mit welchem Recht greifen Sie in die grundgesetzlich garantierte körperliche Unversehrtheit anderer Menschen ein, indem Sie mit tausenderlei Anordnungen ein bestimmtes körperliches Verhalten verlangen und ein anderes verbieten? Nicht nur im Sport-, Schwimm- und Musikunterricht, sondern den ganzen Schultag über auf Schritt und Tritt?

"Setz Dich! Steh auf! Steh still! Sitz ruhig! Sitz gerade! Sitz ordentlich! Hampel nicht! Wackel nicht! Kippel nicht! Füße runter! Knie zusammen! Zeig auf! Finger runter! Finger weg! Schreib schneller! Andere Hand! Hand geben! Hand auf! Zeig her! Gib her! Leg weg! Komm her! Geh weg! Geh langsam! Trampel nicht! Schlurf nicht! Renn nicht! Schlag nicht! Box nicht! Tritt nicht! Kratz nicht! Beiß nicht! Spuck nicht! Spuck aus! Kaugummi weg! Puste nicht! Mund auf! Mund zu! Iss nicht! Iss jetzt! Trink nicht! Trink jetzt! Schmatz nicht! Schlürf nicht! Sieh her! Sieh weg! Lach nicht! Grins nicht! Sing nicht! Pfeif nicht! Kreisch nicht! Kicher nicht! Nase putzen! Schnief nicht! Jetzt nicht aufs Klo! Schrei nicht! Heul nicht! Rede lauter! Rede leiser!"

Mit welchem Recht geben Sie eigentlich Noten? Haben die Menschen vor Ihnen Sie darum gebeten? Mit welchem Recht verlangen Sie Auskunft über die Gedanken anderer Menschen? Mit welchem Recht verlangen Sie, dass andere Menschen ihre Gedanken auf Ihr Papier schreiben, das Sie hochtrabend "Klassenarbeit" nennen? Mit welchem Recht beurteilen Sie Kinder, mischen Sie sich in das Selbstwertgefühl anderer Menschen ein, stiften Sie Unfrieden in den Familien, treiben Sie Kinder in den Selbstmord aufgrund Ihrer Schulzeugnisse? Wissen Sie eigentlich, was Ihre Noten in den Familien bewirken können? An seelischer Grausamkeit und körperlicher Misshandlung?

Mit welchem Recht traumatisieren Sie die jungen Menschen vor Ihnen? Warum tun Sie das alles? Sind Sie nicht intelligent, Akademiker, können Sie nicht Zusammenhänge analysieren, Wirklichkeit erkennen? Was verschließt Ihre Augen? Sind Sie nicht angetreten, Menschen zu helfen, ihre Entwicklung zu fördern? Haben Sie nicht Sympathie für die Kinder? Lieben Sie nicht die Kinder? Warum erheben Sie sich nicht gegen dieses System? Warum sind Sie der Garant für diese Inhumanität? Warum sind Sie so unsensibel? Liegt nicht alles offen vor Ihnen? Sagen Ihnen die Kinder nicht jeden Tag die Wahrheit, wortlos und immer wieder auch mit Worten? Warum sehen Sie nicht in die Gesichter der Kinder? Und warum achten Sie nicht auf ihre Mimik, Gestik, auf all die nonverbalen Signale? Sind vor Ihnen keine Menschen?

Und Ihre Erinnerung? Waren Sie nicht selbst Schulkind? Wurde mit Ihnen nicht ebenso verfahren? Waren die damaligen Schmerzen und psychischen Verletzungen denn berechtigt? Haben Sie nicht gelitten? Ist das Leid von damals zu groß, um heute zu erkennen, dass Sie selbst derjenige sind, der dies den heutigen Kindern zufügt? Ist das alles Wiederholungszwang, Wahnsinn, Schicksal? Mit welchem Recht...? Mit welchem Recht...?

aus: H.v.S., Schule mit menschlichem Antlitz, 2001, S. 26ff

Montag, 4. März 2019

Das Leid der anderen







Im Zuge der Vatikan-Konferenz zum Missbrauch las ich einen Kommentar von Tassilo Forchheimer, ARD-Studio Rom vom 24.2.Um diese Passage seines Kommentars geht es mir jetzt:

"Ganz offensichtlich leben viele Kirchenobere in einer Art Paralleluniversum, das es ihnen schwer macht, Gefühle anderer Menschen richtig einzuschätzen...Wie kann es sein, dass diese Kirchenmänner so lange blind waren für das große Leid im eigenen Haus?"

Blind für das Leid anderer? Da tut sich eine sehr große Tür auf, die Tür zum Leid der anderen. Das Öffnen der Tür wird hier garniert mit dem erstaunt-entrüstet-bigotten "Wie kann es sein?" Ja mei! Leute, wo lebt ihr eigentlich? Es gibt dermaßen viel Leid auf dieser Welt, dass es eher an ein Wunder grenzt, dass Leid seiner Selbstverständlichkeit und Allgegenwart entrissen wird, bemerkt wird, erkannt wird, benannt wird. Wir sind heute offener und kundiger in der Leidwahrnehmung als in früheren Zeiten, und das ist gut so. Aber dieses "Wie kann es sein?" finde ich anmaßend.

Beispiele gefällig für Leid, konkretes, das nicht erkannt und thematisiert wird? Bitte sehr: Das Leid jedes Kindes an der Schule. Schultraumatisierung des einzelnen, Schultraumatisierung der Gesellschaft. Dieses tabuisierte Leid habe ich als Lehrer bemerkt und mich drum gekümmert, seit über 40 Jahren - wer zieht mit und merkt was? Wenige, sehr sehr wenige. Das Leid der Tiere, die wir einsperren, dahinvegetieren lassen, umbringen und auffressen: Immerhin, es gibt seit einiger Zeit mehr und mehr Vegetarier. Das Leid der Bäume, die wir zerstören, um Bücher und Zeitungen daraus zu machen: Sieht keiner. Das Leid der Mikroorganismen, die wir bei jedem Schritt durch die Welt mit den Füßen zerquetschen: sieht keiner. Abertausend Beispiele. Und: Das Leid der Kinder, die sexuell konsumiert werden: ja, das ist grade dran, große Glocke. Die neue Leid-Sau, die durchs Dorf getrieben wird.

Durchs Dorf der Rechtschaffenen. Die sagen, wo es lang geht. Die Deutungsmacht beanspruchen und ausüben und den Ton angeben. Die sich entrüsten: "Wie kann das sein..."

Ich sehe dieses Leid der missbrauchten Kinder. Ich sehe auch anderes Leid, so viel Leid... Ich sehe, dass dieser Planet von Leid und von Freud gezeichnet ist. Was dem einen seine Nötigkeit und Freude ist, ist dem anderen sein Missbrauchtwerden und sein Leid. Das sehe ich als Realität, und eine Besserwisserei, ein Moralisieren finde ich in dem ganzen Szenario daneben.

Wenn ich Leid erkenne, bin ich gefragt, gefordert. Wegsehen. Hinnehmen. Eingreifen. Verringern. Vorbeugen. Es gibt viele Möglichkeiten. Ich bin in meiner Verantwortung für mich und meinen Weg durchs Leben gefragt: wie will ich mit dem Leid vor mir umgehen? Der Leid der Schulkinder? Der Ess-Tiere,? Der Papier-Bäume? Der Mikros? Der Beute-Kinder?

Und, nächste Frage: wie soll ich mit den Leidzufügern umgehen? "Täter" sagen, diese Menschen diskreditieren, Mühlsteine um den Hals? Diese destruktiven Hassorgien der "Guten" nerven wirklich. Wer so mit dem Leid der anderen umgeht, sich nicht nur kümmert um die Leidenden und die Leidzufüger stoppt, sondern wer die Leidzufüger als Monster brandmarkt, fügt gleich wieder Leid zu, vermehrt das Leid der Welt, steigt nicht aus dem Leidstrudel aus. Der Weg zum Frieden kann nur der Frieden selber sein.

Es gibt nur Ebenbilder Gottes. Was immer sie tun. Wenn aus ihrem Tun Leid entsteht, dann kann ich ihnen Einhalt gebieten. Wenn das in meiner Macht steht. Aber ich muss sie nicht - bei allem Leid, dass dann durch mein Eingreifen entsteht - noch obendrein ihrer Würde berauben: "Täter" ist so ein würderaubender Begriff. "Missbrauch" ist so ein würderaubender Begriff. Das führt doch keinen Schritt weiter!

Ich kümmere mich um das Leid der anderen. Aber ich vergrößere nicht das Leid der Welt durch die Verteufelung des Leidzufügers. Ich achte ihn - auch wenn ich ihn ausschalte. Bischöfe, die das Leid der Kinder nicht sehen - Fleischesser, die das Leid der Tiere nicht sehen - Zeitungsleser, die das Leid der Bäume nicht sehen -
Wir Normalos, die wir das Leid der Mikros nicht sehen. Ja, wenn wir ihnen etwas von dem vermitteln können, was wir sehen, dann gelingt etwas. "Einige Bischöfe scheinen tatsächlich erst jetzt verstanden zu haben, was in Missbrauchsopfern vorgeht" schreibt Forchheimer. Das ist doch super! Mehr geht doch gar nicht!

Das alles lässt sich auch ganz klein verhandeln. Wenn ich meine Partnerin verlasse - sehe ich das Herzeleid, das dann bei ihr entsteht? Wenn sie mich verlässt - sieht sie  dann mein Leid? Wenn ich ein Kind ermahne - sehe ich das Leid, wenn seine Krone fällt? Wenn ich eine Bitte abschlage - sehe ich das Leid des Bittenden? Wenn ich einem "Nein", "Komm", "Geh", "Bleib" nicht folge - sehe ich das Leid des anderen?

Und dann: Wieviel Leid will ich auf mich nehmen, um das Leid des anderen zu verringern? Wie sehr will ich auf mich verzichten und mich hintanstellen, damit Du an mir nicht leidest? Mein Leid ist das Leid der anderen. Das Leid der anderen ist mein Leid.