Montag, 24. Juni 2019

Was erwarte ich denn?








"Was hattest Du denn erwartet??" Klares Statement. "Weiß ich nicht so genau." Klare Antwort. Und dann noch: "So was jedenfalls nicht." Was ist passiert?

Wieder einmal ist es nicht so gelaufen, wie gedacht, wie ich es erwartet hatte. Es ging um irgendwelche Alltagsdinge, und es war auch alles nicht so wichtig. Aber der Kommentar meines Freundes schwingt in mir nach. Jetzt, nachts, lass ich das mal laufen und sehe hin: Was erwarte ich? Eigentlich? Grundsätzlich? Was ist mit mir, wenn ich etwas erwarte? Was für eine Überhaupt-Erwartungshaltung habe ich, was für ein Erwarter bin ich?

Nicht in Bezug auf die kleinen Dinge des Alltags, sondern als Hintergrundrauschen. Warte ich auf etwas? Warten Menschen auf etwas? Gehört das Wartenauf zum Menschen wie das Atmen? Ich leg mal los mit einer klaren Sache:

Es ist angesagt, dass mein Leben irgendwann zu Ende ist. Das habe ich als Information von sehr klein auf gespeichert. Und sehe ja auch rechts und links, dass es stimmt: Menschenleben enden. Das wird denn wohl auch mir passieren. Erwarte ich. Warte ich drauf? Eher nicht, das kann warten, diese Lebensenderei. Aber es gehört dazu, so wie der Sonnenaufgang morgen früh. Den erwarte ich, da habe ich eine klare Position. Kein Sonnenaufgang? Unvorstellbar. Warte ich auf ihn? Nein, wieso sollte ich.

Ich habe zig Erwartungen. Ich gehe davon aus, dass. Ich denke nicht darüber nach - ist doch selbstverständlich. Dass. Endlose Dasse. Dass das Auto anspringt, die Vögel singen, das Wasser läuft, das Messer schneidet, das Radio spricht, der Apfel nach Apfel schmeckt, der Vollmond abnimmt, die Kinokarte da ist. Aber Achtung: Dass Du da bist, da bleibst...Tja, da wird es schwierig. Da kommt die Sorge dazu, dass es doch nicht so ausgehen könnte. Wer bist Du? Klar erwarte ich da etwas, dass Du so bist, wie Du bist  - in meiner gewachsenen Wahrnehmung von Dir.

In meiner Beziehung erwarte ich, Du mich liebst. Vom Gestern zum Jetzt und Gleich und Hintergleich. ? Gehört sich das? Muss ich da nicht dankbar sein, dass/wenn Du mir Deine Liebe schenkst? Liebe erwarten? Gar noch Anspruch drauf haben? Erwarten, dass Deine Liebe bleibt... Ja, warum nicht, ist doch Hintergrundmusik, reines Herz.

"Das habe ich von Dir nicht erwartet!" Auch so ein Statement. Was soll ich auf so eine Vorhaltung antworten? So ein Statement ist schon übergriffig. Gehört nicht in eine Beziehung, wie ich sie leben will. Erwarte ich. Dass so ein Satz nicht fällt.

Ich mach mir mit meinen Erwartungen auch keinen Stress. Ich erwarte. Nicht sie mich. Ich bin nicht die Marionette meiner Erwartungen. Fragt sich. Nach amicativer Auffassung  gehöre ich mir, niemandem sonst. Auch nicht Erwartungen. Die Erwartungen sehen das etwas spöttisch. Na ja.

Ok, sage ich mir. Erwartungen wuseln um mich herum. Seis drum. Ich kann das schon beeinflussen. Oder sie einfach geschehen lassen. "Ja, das habe ich erwartet." "Nein, erwarte ich nicht." Erwartungen sind ein weites und mächtiges Feld.

Montag, 17. Juni 2019

Zumutungen, meine







Was mute ich mir zu? Was will ich mir zumuten? Was muss ich mir zumuten? Mir geht diese Zumuterei durch den Kopf. Banaler Anlass: beim Joggen vorhin gings ziemlich bergauf, ich war in fremdem Gelände unterwegs. Will ich da rauf? Echt jetzt? Was mute ich mir da zu...

Jedenfalls bin ich rauf und habe dabei über die Zumutungen nachgedacht. Und was mir da alles einfiel! Ist das Leben nicht eine reine Zumutung? Wie dieser Berg? Der ganze Klimakram? Mein aktueller Partnerschafts-KO? Dies und das und noch viel mehr.

Leichte Entrüstung machte sich breit. Wer bin ich eigentlich? Was soll das? Muss ich das haben? Irgendwie war ich in Kontakt mit zig Anforderungen, kleinen und großen, die so am Tag an mich ranschwappen. Die ich annehme, nicht als Zumutung erlebe, die ich abarbeite, erledige, vergesse. Aber! Jetzt beim Bergauf hab ich das mal gemerkt. Was tu ich mir da an?

Ich halte mich eigentlich für einen offenen und großzügigen Menschen. Ja – anderen gegenüber! Mit mir bin ich da nicht zimperlich, stelle mich hinten an und finde das richtig. Nein, kam da am Berg, übertreibs nicht, lass das mal, stell Dich mehr nach vorn, die anderen in die zweite Reihe. Wem gehöre ich? Richtig: mir. Und von da lässt sich gut erkennen, wenn ich denn hinschaue, was als Zumutung an mich, als Zumutung, meine daherkommt. Und das ist viel.

Was soll so ein Berg? So ein Klimakram? So eine Partnerschaftsrempelei? Muss ich doch alles nicht mitmachen. Mach ich aber: jogge brav weiter, zerbrech mir den Kopf übers Klima, sinne permanent über mein Partnerschafts-KO nach. Das (unreale) Gefühl, Chef im eigenen Haus zu sein, ist dann auch noch dabei! Wie blöd bin ich eigentlich? Als Chef meines Lebens, meiner Lebenszeit, meiner Lebensminuten, -stunden, -tage kann ich das in Wirklichkeit auch alles ganz anders handhaben.

Nix Berg rauf, lasst mich mit dem Klima in Ruhe, weg mit dem Partnerschaftskram. Den Zumutungen die Tür weisen, rauswerfen aus meiner Lebenszeit. Schwelgen im realen Chefgefühl: Ich muss da ja nichts wirklich. Ich kann, aber ich muss nicht. Und so nehme ich Witterung auf zu meinen Zumutungen und zu meiner Zumutungswehr.

Da atme ich durch, krieg mich wieder ein. Bin oben angekommen, bisschen keuchen, tieeeef durchatmen. Die Kühe nebenan auf der Weide: die sind echt Zumutungen ausgesetzt. Ich fühl mich ihnen verbunden. Ich kann (genauer: will) ihren Zaun nicht aufmachen. Aber meine Zäune sind ein ander Ding. Es ist natürlich auch immer eine Frage der Konsequenzen, die eine Zaunöffnen, also das Zurückweisen von Zumutungen, mit sich bringt. Wo sollen die Kühe denn hin? Was wird aus mir, wenn ich diese oder jene oder überjene Zumutung beende?

Das wird sich ja zeigen. Ich verfall mit meinen Überlegungen ja auch nicht dem Zumutungen-Zurückweisewahn. Ich merke ja nur mal was. Etwas von der Wahrheit, die mich umgibt. Sehen die Kühe den Zaun? In seiner Bedeutung? Sehe ich meine Zäune? In ihrer Bedeutung? Ich habe grad einen offenen Blick dafür. Fühl mich gut dabei und stark. Ich kann meine Zumutungen in die Schranken weisen, in meine Schranken. 

Nachmitags dann die Aufmutungen. Ich fahre im Sessellift hoch auf die Alm. Dort blühen alle Frühlingsblumen durcheinander. Welche schöne Zumutung! Voll Freude schicke ich ein paar dieser fröhlichen Lebenszeitdinge per Whatsup an einen lieben Menschen. Auch so eine Zumutung: Will sie sowas jetzt haben? Schon, denke ich, ich bin eben auch eine Zumutung. Aber eine schöne!   

Montag, 10. Juni 2019

Selbstliebe - du mieser Verräter







Seminar "Ich liebe mich so wie ich bin". Eine Teilnehmerin : "Ihre Botschaft ist also, sich in Ruhe zu lassen, nach dem Motto, dass man sich ja auch nicht lieben muss. Weitere, besonders konkrete Hilfen bieten Sie nicht an. Richtig verstanden?"

"Mach, dass es aufhört. Dass der Selbstzweifel, der Mangel an Selbstliebe geht." Mit diesem Wunsch kommen die Teilnehmer in meine Seminare. Großer Wunsch, große Erwartung. Ich merke das und sehe ihr Leid. Und ich weiß, dass ich ihnen etwas anbiete, mit dem sie nicht gerechnet haben. Und das für die einen viel zu wenig, für die anderen genau das Richtige ist.

Ich nehme sie nicht mit in das Land des Handauflegens, der Pülverchen, der Kopf- und Handstände, Atem-, Feuer-, Wasser-, Licht- und aller sonstigen stofflichen und nichtstofflichen Übungen. Da habe ich nichts zu bieten. Da bin ich nicht kundig. Wär ichs, würde ich ihnen genau so helfen: mit Handauflegen, Pülverchen und Co. Nur kann ich das eben nicht.

Da sind dann schon einige enttäuscht und drehen ab. Andere sind eher erstaunt, dass ich eine lange Geschichte über Kindheit und Co erzähle. Aber sie hören zu, geraten in Resonanz und sie sehen die Tür, die ich ihnen zeigen will.

Die Tür: Wie denke ich über mich in diesem Selbstliebe-bitte-wachse-Szenario? Wie bin ich da unterwegs? Was treibt mich an? Warum macht mir die mangelnde Selbstliebe zu schaffen? Hänge ich an einer Ich-muss-besser-werden-Strippe? Marionette des seelischen Gesundheitszeitgeists? Oder tut es einfach nur weh und ich will, dass es aufhört? Auf dass ich strahle jeden Tag?

So ein ungutes Unterwegsgefühl kommt dann zum Selbstliebe-Mangelgefühl noch oben drauf. Erstens mag ich mich zu wenig. Und zweitens strengt mich das Abschaffen des Zuwenigs an. Und drittens nervt es obendrein, dass ich nicht vorankomme. Und viertens nagt da was: Ob ich zur Selbstliebe überhaupt geschaffen bin, egal, wie ich mich strecke. Und fünftens und schlussendlich: Ich bin eben nicht fürs Licht gemacht.

Tja. Diesen Gang in die Unterwelt wie bei Dante Richtung Hölle seh ich mir vom Kraterrand an und strecke die Hand aus: Schau mal, sage ich, Du kannst Dich in Ruhe lassen. Du hast die Selbstliebemasern. Mach Dich nicht verrückt. Du bist nur krank. Schlimm genug. Aber mehr ist es nicht. Ich habe keine Selbstliebemasern-Medizin zu bieten. Aber ich kann Dir ein Gelassenheitskraut zu kauen geben. Komm mal wieder rauf, niemand zwingt Dich, die Selbstliebe finden zu müssen. Ist nicht schön, wenn man an sich zweifelt, schon klar. Aber hau Dich deswegen nicht in die Pfanne, auch nicht, wenn es da nicht vorangeht.

Ungefähr so.

Ich zeige den Teilnehmern etwas anderes als Heilung von ihrem Selbstliebemangel. Ich zeige ihnen, dass sie überhaupt damit umgehen und wie sie konkret damit umgehen (ich muss eine Verbesserrung erreichen). Und welchen Vorschlag ich hier habe, beim Damit-Ungehen. Nämlich: Sich nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen, sondern sich vom Besserwerden-Müssen zu emanzipieren, sich vom Selbstliebe-Erziehen zu lösen. Chef im eigenen Haus zu sein: Selbstliebe, Du mieser Verräter, wenn Du nicht in meine Seele kommen willst - dann eben nicht. Ich freu mich, wenn Du angezottelt kommst. Aber ich leg Dich jetzt mal zur Seite und kümmer mich um den Tag.

Also entdramatisieren. Kein Streß, selbstliebfündig weden zu müssen. Ja, zu wenig Selbstliebe tut weh. Und dieser Mangelschmerz kann auch der ständige Begleiter für die nächsten 100 Jahre sein. Aber: das muss mir nicht den Tag versauen. Ein erfülltes Leben mit/bei/trotz Schmerz lässt sich anpeilen.

"Weitere Hilfen bieten Sie nicht an?" "Biete ich nicht an." "Danke", sagt sie, "aber darüber so zu denken ist mir eine große Hilfe." 



Montag, 3. Juni 2019

Ich glaube an Leben und Tod







"Ich glaube weder an Gut noch Böse, ich glaube an Leben und Tod". In einem Brief schrieb mir neulich eine Freundin diesen Satz. Er hat mich beschäftigt.

Ich glaube an das, was ich für wahr halte. Was real ist, für mich, was wirklich existiert in meiner Welt. Liebe zum Beispiel. Oder die Sonne, mein Auto, die Tastatur, mit der ich schreibe. Tausend Sachen, dingliche und nichtdingliche, sind von meinem Glauben an sie umgeben und getragen. Sie sind mir so nah und verbindlich wie was. So wie das, dass ich eben an sie glaube.

Klar, diese Glaubensgeschichte hat viele Ebenen. "Ich glaube an Dich" ist anders gestrickt als mein Glauben an die Tastatur vor mir. Whatever. Der Gedanke meiner Freundin ist aber von besonderer Qualität.

Gut und Böse sind mir ja bekannt. Die beiden soll es geben, steht in zig Büchern und begegnet mir als Fixpunkt bei zig Menschen. Ich kenn dieses Paar. Nur: es hat für mich keine wirkliche Substanz. Kann ich in meiner Welt nichts mit anfangen, wohnt dort nicht. Klar kann ich mitreden, wenn es um Gut und Böse geht, ich bin ja nicht aus der Zeit gefallen und schließlich katholisch groß geworden. Nur. bei mir wohnen sie nicht, Gut und Böse. Sind einfach nicht zu finden in meinem Kosmos, wenn ich mich mir zuwende. Ich glaub nämlich auch nicht, dass es sie wirklich gibt.

Sie sind Fantasie, Interpretation von irgendwas, Hirngespinste. Spinnertes kann man sich alles Mögliche ausdenken, wie immer ist da jeder sein eigener Chef. Und in der Kreation seiner eigenen Welt allemal. Wo dem einen Gut und Böse dazugehört - gehörts bei anderen, wie bei mir und dieser Freundin, eben nicht dazu.

Aus gutem Grund. Ich finde es unangemessen, achtungslos, überheblich, unterdrückerisch, wenn man irgendwohin das Etikett Gut oder das Etikett Böse klebt. Das hat so einen Absolutheitsanspruch, der mir echt unangenehm ist. "Find ich gut" oder "find ich blöd (böse)" als subjektives Freude- oder Ärgerstatement, das kann ich gelten lassen und praktizier es. Aber Gut und Böse als Tatsachen des Lebens? Überkandidelt, fehl am Platz. Jedenfalls kann ich an das Pärchen nicht glauben. Wiewohl, um es noch einmal zu sagen, ich sehe, dass andere dies Pärchen als real existierende Geschichte erleben. Ich nicht. Gut und Böse gibts nicht, nicht für mich. Da steckt das ganze schaurige 10.000 Jahre alte patriarchalische Herschaftsdenken drin. Weg damit! Postmodern und amicativ durchgeatmet.

Leben und Tod? Das ist eine andere Nummer. Der Falter, der hier nachts um mich rumflattert: Pralles Leben. Die mausetote Maus, die ich heute nachmittag bei der Radrunde gesehen habe: voll die Wahrheit. Da kann ich dran glauben, und da glaube ich dran. Leben und Tod gehören zu meiner Welt. Im Leben bewege ich mich, schwimme drin wie im See heute Nachmittag, kenn ich, kann ich. Tod? Ist mir fremd, aber habe ich auch erlebt, vorhin bei der Maus, oder bei den verschiedensten Beerdigungen, oder vor Jahren bei dem überfahrenen Kind. Schön wars nicht, aber real existierend. Was zum dran glauben eben.

Diese Gut-und Böse-Geschichte ist ein Grusel. Als Kind wurde ich, wurden alle wir Kinder, damit in Acht und Bann geschlagen, unseres eigenen Pfads beraubt, beherrscht. Ich war niemals böse, ich war niemals gut, ich war, fand statt, und aus. Was sollte das? Diese Einstufung meines Tuns, meines Ichs, als "gut", als "böse"? Die spinnen doch, die Großen. Und sie spinnten ja auch. Laberten mich voll mit ihrem in ihrer Kindheit aufgesaugten Quark, überliefert seit Urzeiten hinein in die Kinder in die Kinder in die Kinder. Schaurige Tradition. Schauriger Zeitstrang. Echt, und was es da alles für Schreckliches gibt. Nur ein Beispiel: Hieronymus Bosch, Die Versuchung des Heiligen Antonius, besonders "gelungen" in der Version von Joos van Craesbeeck. Leute, gehts noch?

Ich kann nichtüberheblich und liebevoll mit diesen Fantastereien der anderen umgehen. Nach dem Motto: Wenn sie es denn brauchen - dann sollen sie doch an ihr Gut und Böse glauben. Bittesehr. Bescheidene Frage: Macht das glücklich? Ist das Frieden? Ist das Liebe? Glaub ich eher nicht. Und dann spür ich all das Leid, das durch dieses Unglückspaar über die Leute kommt, in die Herzen der Kinder, auch in die Herzen der kleinen Kinder.

Ich habe neulich einen Dreijährigen verstrickt in die Gut-und-Böse-Wucht erlebt. Das hat so eine Macht. Wenn ich da die Macht hätte, wie würde ich dazwischen gehen! Ich bin ja dabei gewesen, und mit mir mein unausgesprochenes "Das gibt es nicht, gut und böse, und Du bist ein Ebenbild Gottes, ich glaube an Dich, nimm meine Kraft". Mehr kann ich nicht machen, aber das schon. Er sah zu mir hin - und ich sah zu ihm hin. Ich hielt dieses Kind im Paradies.