Montag, 25. Mai 2020

Unbesorgt

.





Bin ich besorgt? Bin ich unbesorgt? Corona lässt diese Frage an mich ranschwappen. Man kann mit dem Virus besorgt oder unbesorgt umgehen. Besorgt ist klar, das war die ganze Zeit so. Unbesorgt ist neu, jedenfalls dass so viele neuerdings Corona abtun und runterspielen. Bergamo gabs nicht? New York auch nicht? Brasilien? Wenn ich beim Einkaufen bin, sehe ich die Leute schon besorgt. Sie sind nicht ängstlich, sie sind umsichtig.

Aber zu "Unbesorgt": Ich habe mir den Zuruf "Sei unbesorgt!" mal vorgenommen und spüre ihm nach. Ein schöner Spruch! Ich denke ihn groß: "Sei unbesorgt!", sagt das Leben zu mir. Ein richtiger Wohlfühlspruch. Schönreden wird alltagstauglich. Es ist so ein Glanz dabei, eine Freude.

Wo das "Sei unbesorgt!" aber auch alles passt! Wenn ich mit dem Rad losfahre: es wird keine Panne geben. Ich lass das dann mal, dieses "Es könnte aber doch passieren". Ja, könnte. Ja, passieren. Ich habe Flickzeug dabei, es beruhigt. Ich bin unbesorgt unterwegs und habe auch mein Flickzeug dabei. Beides geht. Unbesorgt mit Mundschutz.

Passieren kann jede Menge. Großkrank, Unfall, Garnichtgut, Schlamassel bei den Lieben, was weiß ich. Das lässt sich ja nicht ausblenden. Ich habe mal wieder, wie immer, die Wahl, durch welche Lebenstür ich gehen will: durch die Besorgt-Tür oder durch die Unbesorgt-Tür. Wer sagt, was ich tun soll, wer drängelt? Ich bin mein eigener Chef, und ich gehe zum "Sei unbesorgt!" Das mache ich nicht so, dass ich realitätsfremd werde, das mache ich mit Augenzwinkern. Ich weiß schon, was da alles lauert, aber das darf es auch. "Ist schon gut."

Ich hätte gern dieses und jenes. Was nicht passiert. Lottogewinn... Ja, da könnte ich drüber grummeln und betrübt sein. Aber so ein fröhliches "Sei unbesorgt!" ist doch einfach besser.

Corona: Ich bin da unbesorgt. Aber ich bin handfest unbesorgt, mit Mundschutz und Abstand und Händewaschen. Die Unbesorgtheit von so einigen der Coronaszene finde ich einfach nur leichtsinnig. Unbesorgt ist etwas Achtsames und Mächtiges. Kann aber umkippen in "Mir doch egal", Leichtsinn eben, oder Borniertheit. Nicht mein Ding. Ich passe schon auf, wo ich mir "Sei unbesorgt!" zurufe. "Sei unbesorgt", sage ich zum Unbesorgt, "ich mache das schon richtig." "Wirst Du", sagt Unbesorgt zu mir.














Montag, 18. Mai 2020

Die Leiter im Kirschbaum






Mitten aus meinem Vortrag:


Ich zeige Ihnen einen kleinen Film. So, Licht aus, Film ab. Sie sehen eine Leiter im Kirschbaum, 20 Sprossen. 10 Dreijährige kommen zur Leiter, mit ihren Müttern. Die Kinder fangen an, die Leiter hochzuklettern. Die Mütter reagieren unterschiedlich. Die eine holt ihr Kind bei Sprosse 3 von der Leiter, die andere bei Sprosse 5, die dritte lässt es bis nach oben klettern und die vierte nimmt die Leiter weg. Also unterschiedliche Reaktionen.

Nächste Szene: Derselbe Kirschbaum, dieselbe Leiter. Aber 10 andere Dreijährige, andere Mütter. Aber dieselben Reaktionen wie vorhin: die Mütter holen ihre Kinder von der Leiter bei Sprosse 3 oder 5, oder nicht, eine schleppt die Leiter weg.

*

Die Müttergruppen sind unterschiedlich: die einen fühlen sich für ihre Kinder verantwortlich, haben also ein Verantwortungsgefühl – die andern nicht. Frage an Sie: Welche Müttergruppe hat ein Verantwortungsgefühl, die erste oder die zweite? Das können Sie nicht erkennen, denn die Handlungen sind dieselben. Sie können es erst erkennen, wenn Sie diese besondere Brille aufsetzen, die ich Ihnen jetzt gebe. Und ich Ihnen die beiden Filme noch einmal zeige.

Brille auf, Film ab. Sehen Sie jetzt bei der ersten Müttergruppe einmal zu den Herzen der Mütter. Sie erkennen mit Hilfe der Brille, dass Strahlen aus den Herzen herauskommen. Viele. Rote, blaue, grüne, gelbe, alle möglichen. Das sind Gefühle, die mit Hilfe Ihrer psychologischen Erkenntnisbrille sichtbar werden. Um besser sehen zu können, halten wir den Film jetzt an und machen ein Standbild. Schauen Sie zu den roten Strahlen. Rote Strahlen sind Ausdruck der Liebe der Mütter zu ihren Kindern. Vergleichen sie die Mütter. Die Mütter lieben ihre Kinder unterschiedlich stark. Wir können nachmessen. Die eine Mutter liebt ihr Kind 45 Zentimeter, die andere 3 Meter achtzig, die dritte 15 Meter und so weiter.

Jetzt schauen sie nach den grüngelben Strahlen. Im Handbuch für Gefühle können Sie nachlesen: Grüngelb seht für das Verantwortungsgefühl. Sie erkennen, dass die Mütter sich unterschiedlich stark für ihre Kinder verantwortlich fühlen. Die eine Mutter 1 Meter zwanzig, die andere 6 Meter siebzehn, die dritte 18 Meter und so weiter. Sie haben aber alle bei aller Unterschiedlichkeit grüngelbe Strahlen, sie fühlen sich für ihre Kinder verantwortlich. Wir wissen also: Die erste Müttergruppe ist die Gruppe mit dem Verantwortungsgefühl für Kinder. „Ich fühle mich für Dich verantwortlich.“

*

Film weiter, zweite Müttergruppe. Anhalten, wieder ein Standbild. Schauen Sie sich bitte die zweite Müttergruppe an. Sie sehen wie bei der ersten Gruppe viele bunte Gefühlsstrahlen aus den Herzen kommen. Alle Mütter haben wie eben rote Strahlen, sie lieben ihre Kinder, unterschiedlich intensiv wie eben. Halten Sie nun nach den grüngelben Strahlen Ausschau. Sie finden nichts? Nehmen sie die Lupe! Wir vergrößern. Wieder nichts? Ja, sie können auch nichts finden, denn diese Mütter haben ein anders gebautes Herz als die Mütter eben. Sie haben kein Grüngelb! Alle Mütter der zweiten Gruppe tragen kein! Verantwortungsgefühl in sich. Sie fühlen sich nicht für ihre Kinder verantwortlich. Die Mütter unterscheiden sich nicht im Handeln – aber in der Gefühlswelt. „Ich fühle mich nicht für Dich verantwortlich“.Warum? Weil diese Mütter wissen: Ein jeder Mensch, und sei er noch so klein, ist für sich selbst verantwortlich, und ein "Ich bin für Dich verantwortlich" ist für sie eine Anmaßung, die sie nicht in sich tragen.

Bei der zweiten Müttergruppe können Sie aber Gefühlsstrahlen erkennen, die bei der ersten Müttergruppe nicht zu finden sind. Sehen Sie das Orangeviolett? Alle Mütter haben diesen orangevioletten Gefühlsstrahl. Unterschiedlich intensiv, die eine 2 Meter zehn, die zweite 5 Meter dreißig, die dritte 19 Meter achtzig und so weiter. Was ist das für ein Gefühl? Im Handbuch für Gefühle finden Sie die Antwort: „Würdekronen-Achtungsgefühl“. Darunter steht eine längere Erklärung, es wird auf meinen Vortrag verwiesen, auf die Gleichwertigkeit und die Selbstverantwortung der Kinder. Und auf den Indianer und den Büffel. Da steht: „Orangeviolett ist ein spezielles Gleichwertigkeitsgefühl, das an die Stelle des Verantwortungsgefühls tritt“.

*

Die Gleichwertigkeit, von der ich spreche, ist also ein psychologisch Ding. Als Erwachsener fühle ich die Gleichwertigkeit zu Kindern. Menschen können dieses Gefühl in sich haben oder nicht. Ich habe es in mir. Mit Ihrer Brille können Sie erkennen, wie es orangeviolett aus meinem Herzen kommt. Aber Sie werden grüngelb, das Verantwortungsgefühl, nicht finden.

Gibt es so etwas, dass Menschen unterschiedliche Gefühle haben? Das ist banal. Der eine hasst, der andere liebt. Und Gefühle können sich ändern, aus Hass kann Liebe werden. Das Verantwortungsgefühl kann weniger werden und gänzlich gehen, und gleichzeitig kann das Gleichwertigkeitsgefühl wachsen und wachsen und das Verantwortungsgefühl ablösen. Oder das Gleichwertigkeitsgefühl ist da und war verdeckt und kommt nun heraus. Oder hat heimlich gestrahlt. Wie auch immer.

Das Gleichwertigkeitsgefühl macht mich nicht hilflos und handlungsunfähig. Das Kind kann nicht in die Steckdose fassen, die Kuh ist tot und der Büffel auch. Aber bei meinem Handeln schwingt nicht ein Oben-Unten mit. Sondern? Das jedenfalls nicht! Es schwingt ein anderes Gefühl mit, das gleichwertig daherkommt. Ich nenne es das Gleichwertigkeitsgefühl oder das Würdekronen-Achtungsgefühl. Es kommt aus einem Gefühlsland, das jenseits jeglicher Erziehung, Mission, Vormundschaftlichkeit und so weiter existiert.



































Montag, 11. Mai 2020

Gehtnicht und Gehtdoch







Wenn man mit Kindern unterwegs ist, gibt es viele Dinge, die nicht gehen, die einfach nicht gehen. Wobei schon klar ist, was die Kinder gern hätten und was sie wollen, wo es aber offensichtlich nicht geht. Wo noch nicht einmal drüber nachgedacht wird, ob es nicht doch gehen könnte. Also Alltäglichkeiten wie: noch ein Eis, noch mal zurück, hier abbiegen, Überraschungsei, jetzt zum Zoo, im Heizkeller spielen, den Hamster draußen laufen lassen. Was weiß ich. Wo das Gehtnicht über dem Gehtdoch thront.

*

Gestern hatte ich mich mit meinem Sohn Felix zu einem Waldgang mit seinen beiden Kindern Klara (8) und Kolja (6), meinen Enkelkindern, verabredet. Da standen aber zwei "Das geht nicht" davor: Zweieinhalb Stunden mit dem Auto hinfahren, zweieinhalb Stunden zurückfahren: für einen Spaziergang? Völlig unverhältnismäßig plus Ökosau! Außerdem Corona: Lässt sich das einhalten mit den Kindern, die anderthalb Meter Abstand, wenn man draußen unterwegs ist? Felix und ich befanden: Das geht! Wir hatten uns coronamäßig acht Wochen nicht gesehen, das wog die Fahrerei auf. Und das mit dem Abstand würden wir schon hinkriegen.

Jedenfalls trafen wir uns. Superwetter. Bevor es losging: "Ich kann nicht auftreten " Klara humpelte barfuß aus Felix Auto und konnte mit rechts nicht mehr richtig auftreten. Aber kein Druckschmerz, also Splitter? Oder vielleicht mit Schuhen? Gehtnicht nahm Witterung auf. "Das wird nichts", dachte ich, "kein Gang in die schöne Mailandschaft. Dann eben Picknick." Gehtnicht feixte. "Einen Versuch könnten wir machen", sagte Felix, "wenns nicht geht, dann gehts nicht." "Genau mein Reden", Gehtnicht war zufrieden. Den Versuch machten wir. Der Versuch wurde länger und länger, barfuß ging es weiter. Gehtdoch war an der Reihe.

Ich hatte Tierli-Kekse mitgebracht. "Die gibts, wenn wir ans Wasser kommen." Gemeint war die Ems, unser Ziel nach einer halben Stunde durch Wald und Feld. Nach drei Minuten: "Hier ist Wasser", Kolja hatte einen Tümpel entdeckt. Kolja sagte nicht Keks, er sagte Wasser, aber war schon klar. Gehtnicht: "Das ist nicht die Ems, jetzt gibts keinen Keks." Aber Gehtdoch rückte den ersten Keks aus Felix Rucksack raus. Mein Sohn war auch klar: Wasser ist Wasser. Und: es gab mehrere Wässerchen bis zum Fluss... Gehtnicht war not amused, Gehtdoch schon.

Ein großer Baum lag über dem Weg. Man konnte sehen, dass es einige Krabbler unten durch geschafft hatten. Gehtnicht wurde nicht gefragt, Kolja war durch. Klara: "Das geht nicht, ich bin größer." Gehtnicht war zufrieden. Felix: "Das schaffst Du." Und Klara schaffte es. Gehtdoch war zufrieden. Felix ließ es sich nicht nehmen, auch drunter durch zu rutschen. Rucksack zuerst. Gehtdoch strahlte.

Noch ein umgefallener Baum, schräg nach oben. Da rauf klettern? Jetzt war Gehtnicht klar: "Das geht nicht, zu gefährlich." Aber rittlings vorschieben und vorschieben: das ging doch! Bis oben hin, ziemlich wackelige Geschichte. Gehtdoch passte auf.

"Wirf uns einen Keks zu", kam es von oben. Ja, dahinten war wieder ein Tümpel zu sehen. "Das klappt nicht", dachte ich. Felix versuchte es. Drei Kekse landeten im Gestrüpp. Gehtnicht war zufrieden. Schöner Mist. "Wart mal", sagte ich. Ich hatte als einziger Schuhe und lange Hose an. "Ich hol sie." "Dorn und Brennnessel", griente Gehtnicht mich an, "das lässt Du schön bleiben!" Wo Gehtnicht recht hat, hat Gehtnicht recht. Egal. Ich da durch. "Seht Ihr einen?" Sahen sie nicht. Aber ich. Alle drei. Geht doch!

Wir wollten zum alten Feuerplatz. Der Sandweg dahin war ein echter Sandweg, sehr sehr staubig. Kolja wollte Schwarzstaubschlange spielen. War dabei, sich in den Sand zu knallen. Gehtnicht blies ins Horn: "Sofort aufstehen!" Kurzer Blick von Felix: "So eine schöne Schlange." Es stiebte und staubte, Kolja war kaum mehr zu sehen, kroch meilenweit im schwarzen Element. Zwei Spaziergänger kamen entgegen, wichen auf den Grasrand aus. "Das wird ja eine schöne Badewanne heute Abend!" Gehtnicht nickte gequält. Gehtdoch las im Schlangenbuch nach: "Schwarzstaubschlange, aha."

Die geplante Spaziergehzeit war lange vorbei. Das Abendessen war verabredet. Zu Hause, ohne mich, wegen Corona. "Wir müssen umdrehen." Aber wir wollten doch zur Ems. Gehtnicht triumphierte: "Keine Ems!" Felix telefonierte per Handy: "Wir kommen später, geht das?" "Nein, bitte lass Katharina nein sagen", hörte ich Gehtnicht. Aber:"Klar, das geht." Ja glaub ichs!

Dahinten war wunderschöner gelber Ginster. "Da will ich hin", sagte Klara. Und der Fluss? "Ha", sagte Gehtnicht, "nix Ginster." Aber eigentlich...Gehtdoch kam so gelbgold daher. Es war wirklich sehr schöner Ginster. Ich machte ein Foto: Ginsterkinder.

"Können wir barfuß durch die Wiese rennen?" "Das Gras ist hoch, die Bienen freuen sich", sagte Gehtnicht, "und die Disteln. Außerdem schmeißen die Leute auch Flaschen in die Wiese, da ist doch alles voller Scherben." Gehtnicht hatte gute Argumente. "Klar könnt Ihr", Felix war klar. Gehtdoch passte auf: kein Bienenstachel im Fuß, keine Scherbe im Fuß.

Matschböschung an der Bevermündung in die Ems. Wir standen auf der Mündungsbrücke und hielten nach Fischen Ausschau. Der Matsch zog Kolja an. Schon war er unten. "Er sollte da nicht rummachen", dachte ich, "wenn er abrutscht, gibt eine Riesenrettungsaktion. Muss ja nicht sein. Obwohl?" "Kein Obwohl!", Gehtnicht redete auf mich ein, "wenn der abrutscht!" Felix hatte die Ruhe weg. Gehtdoch grinste. Kolja, barfuß, kurze Hose: sein rechtes Bein war bis zum Knie wunderschön schlammschwarz. Gehtdoch lachte. Felix: "Da solltest Du Dir das andere Bein auch schwarz machen." Ja gehts noch? Nochmal in die abrutschige Matschböschung? Gehtnicht schrie Alarm. Aber Felix hatte Freude an dem Matschvergnügen von Kolja. Beim Einsauen des zweiten Beins rutschte er tiefer und tiefer. Gehtdoch hielt die Luft an, "Siehst Du", rülpste Gehtnicht. Kolja kam raus und war stolz auf seine schwarzen Beine. "Geht doch!" rief er.

Ratsch – die Kekspackung riss kaputt, die Kekse sausten in den Sand. "Die könnt Ihr vergessen", Gehtnicht war endlich mal dran. "Die sammeln wir ein", sagte Felix. "Die guten ins Töpfchen, die schlechten in Kröpfchen", kommentierte ich. Auf dem Sandweg blieb ein bisschen übrig. "Für die Vögel". Gehtdoch schmeckte es.

Die Verlängerungsstunde war rum. Jetzt zügig zu den Autos. Da kamen wir an eine Stelle der Bever, wo ich mit Felix und seinen Freunden früher oft war. Er war so alt wir Klara heute, und es waren immer herrliche Wasserabenteuer. Jedenfalls gingen wir erinnerungsmäßig zum Sandufer von damals, ein Ehrenbesuch. "Kann ich da mal rüber?" Klara peilte das andere Ufer an. 15 Meter weg. "Eh Leute, das Abendessen", Gehtnicht baute sich auf, "außerdem: ist es nicht Sommer, viel zu kalt, außerdem: keine Badesachen dabei, außerdem: keine Handtücher dabei, außerdem." "Eigentlich haben wir doch Zeit". Felix und ich sahen uns an und dachten an früher. Kurz mal ans Handy: "Geht, kein Problem." Gehtnicht fiel in Ohnmacht.

Es war wunderwunderschön. Beide schafften die andere Seite, das Wasser ging bis zum Bauch. Richtiges Wasservergnügen. Zum Abtrocknen gabs T-Shirts. Mehr geht nicht!



Montag, 4. Mai 2020

Zwei Planeten







Auf meinen Vorträgen habe ich viele Sprachbilder, hier kommt das von den zwei Planeten. Ich erzähle:


Sie sitzen auf der Wolke und erfreuen sich Ihrer Entwicklung, plaudern mit dem Klapperstorch. Nach neun Monaten kommt Petrus und sagt: „Es ist so weit. Morgen ist Eure Geburt.“ „Oh prima!“ Alle Babys freuen sich. „Ich muss noch etwas mit Euch besprechen“, sagt Petrus. „Ich habe zwei verschiedene Planeten zur Auswahl. Ihr könnt Euch aussuchen, wo Ihr hinwollt.“ „Erzähl mal“, sagen die Babys. „Also", sagt Petrus, „auf dem einen Planeten gehen die Menschen davon aus, dass Ihr Euch erst in achtzehn Jahren zu vollwertigen Menschen entwickeln werdet. Und damit das auch klappt, erziehen sie Euch. Sie fühlen sich für Euch verantwortlich, für Eure Entwicklung und Menschwerdung. Sie glauben nicht, dass Ihr schon vollwertige Menschen und selbstverantwortlich seid.“

Die Babys sind perplex. „Die meinen im Ernst, dass wir nicht selbst für uns die Verantwortung tragen können? Dass wir keine selbstverantworlichen Wesen sind? Was haben wir denn die neun Monate hier gemacht? Ist das ein – Erziehungsplanet?"

„Auf dem anderen Planeten“, erzählt Petrus weiter, „gehen die Menschen davon aus, dass Ihr selbstverantwortliche Wesen seid. Dass Ihr Souveränsein in den neun Monaten Eurer Entwicklung gelernt habt und als voll ausgebildete Selbstverantworter auf die Welt kommt. Sie wissen natürlich, dass Ihr immer nur von Eurem jeweiligen Wissen ausgehen könnt. Dass ihr Erwachsenenwissen und Euer Babywissen verschieden sind, dürfte wohl klar sein. Und deswegen wird es vieles geben, wo sie und Ihr zu unterschiedlichen Einschätzungen und Entscheidungen kommt. Sie werden bei vielem, was Euch wichtig ist, nicht mitmachen und Euch daran hindern, es zu tun. Aber sie stellen dabei niemals in Frage, dass Ihr diese Fähigkeit zur Selbstverantwortung habt, von Anfang an. Es ist ein Souveränitätsplanet. Ihr könnt entscheiden, auf welchen Planeten Ihr kommen wollt.“

Ich sitze mit meinen Freunden im Kreis und wir haben Petrus zugehört. „Also, ich will zu dem zweiten Planeten“, sage ich. Alle anderen Babys wollen das auch, niemand will zum Erziehungsplaneten. Wir sind uns einig, dass es voll daneben ist, in einer Erziehungswelt aufzuwachsen. Wir wollen zum Souveränitätsplaneten.

Petrus druckst herum. „Tja, ich habe erwartet, dass Ihr so reagiert. Nur leider gibt es den zweiten Planeten nicht in erreichbarer Nähe. Ihr versteht schon: kulturelle Zeitverschiebung. Den gibt es erst in 100 Jahren wieder. Aber ich habe ein paar Eltern, die das jetzt schon so sehen wie in 100 Jahren. Ich schau mal, wie viele freie Plätze ich habe...“