„Das klappt doch nie!“ Das wurde
mir neulich vorgesetzt. „Kann schon sein, dass es nicht klappt“,
dachte ich, „kann aber auch nicht sein.“ Und dann fiel mir dieses
fulminante „Klappt doch nie!“-Erlebnis vor langer Zeit ein:
*
Ich mache mit der Familie Ferien in England, meine
Frau Brigitte, Felix (9), Xenia (7) und ich. Eines Tages fahren wir mit
der Fähre weiter zu den Äußeren Hebriden. Wir besuchen den Leuchtturm
Butt of Lewis und fahren einige Tage später mit der Fähre wieder zurück
nach Schottland, Hafen Ullapool.
Wir
verlassen den Hafen, es soll nun zum Loch Ness gehen. Nach einer halben
Stunde: „Mein Stickzeug ist nicht da.“ Xenia hat Stickgarn mit und
knüpft damit auf der ganzen Reise bunte Freundschaftsbänder Aber jetzt
ist es nicht wie gewohnt neben ihr im Auto.
Während
wir weiterfahren, überlegen wir, wo es sein könnte. Schließlich halte
ich an und suche die vollgepackte Rückbank ab, aber es ist kein
Stickzeug da. „Jetzt überlege mal, wann hast Du es zuletzt gesehen?“
„Auf der Fähre.“
Stimmt, ich erinnere mich,
Xenia hat es dort benutzt, vor ihr auf dem Tisch. Dann kam es wie immer
in eine leere rote Chipsrolle. Ich sehe alles deutlich vor mir. Kurz
vor dem Aussteigen stand die rote Rolle neben Xenia auf der Bank, auf
der wir gesessen hatten.
„Hast Du vergessen, sie von der Bank mitzunehmen?“ Es kommt keine Antwort, der Kummer ist zu groß.
Na
ja, weg ist weg. Aber ich kann das nicht! Da muss mehr gehen! Ich habe
beim Aussteigen den Reinigungsdienst gesehen, die Frauen packten alles
Liegengebliebene von Tischen und Bänken in große blaue Müllsäcke. Sie
mussten die Chipsrolle für das gehalten haben, was offensichtlich war:
Müll, auf der Bank zurückgelassen. Eingepackt und weg.
Eine
verwegene Idee meldet sich in mir: Wenn ich die Müllsäcke untersuche?
Ja, im Film, aber nicht in der Realität. „Wir könnten zurückfahren und
ich untersuche die Müllsäcke“ sage ich trotzdem. „In einem müsste Dein
Strickzeug sein.“ Aber so eine Trostbemerkung ist doch unfair. Unfair?
„So
ein Quatsch.“ Die Stimmung im Auto ist entsprechend deutlich. „Außerdem
sind wir schon viel zu weit weg.“ In mir nimmt es Schwung. „Ich könnte
es doch versuchen.“ Aber „Das klappt doch nie“ breitet sich weiter aus.
Ich will Xenia nicht hängen lassen. Wenigsten einen Versuch machen! Ich sehe mich irgendwo am Hafen die Säcke aufschlitzen.
Brigitte
kennt mich: Wenn ich mir so etwas Absurdes einmal in den Kopf setze,
dann... Sie gibt mir freie Hand, Loch Ness würde uns nicht weglaufen.
Nessie grunzt freundlich. Felix und Xenia sagen gar nichts mehr, es ist
alles zu unwahr.
Ich drehe das Auto mit
Schwung um und fahre zurück. Die Atmosphäre ist erst angespannt, dann
heiter. So viel Nonsens für ein Stickzeug. Soviel Liebe für ein Kind.
Am
Hafen traue ich mich nicht, über den Zaun zu den blauen Säcken zu
klettern. Wen fragen, ob das geht? „Das klappt doch nie“ lauert. Am
Ticketschalter: „Wir waren grade auf der Fähre. Meine Tochter hat ihr
Stickzeug vergessen, es müsste in einem der Müllsäcke in einer roten
Chipsrolle sein. Ob ich vielleicht...?“ Der Ticketman sagt nur:
„Hafenmeister.“
Puh, hohe, sehr hohe Hürde.
Den Hafenmeister für so eine Bagatelle angehen? Der hat weiß Gott
anderes zu tun. Es ist aber keine Bagatelle! Es ist eine Herzenssache!
Auch diesen Versuch will ich machen, auch wenn ich mich schwer blamieren
sollte. „Wartet am Auto.“
Büro des
Hafenmeisters, Anklopfen, reingehen. „Meine Tochter...“ Der Hafenmeister
legt seine beiden Telefonhörer aus der Hand und hört zu, sehr
konzentriert. „Ich habe auch eine Tochter in dem Alter.“ Gespräch von
Vater zu Vater. „Wir haben die Müllsäcke aber gar nicht hier ausgeladen,
sie werden diesmal auf der anderen Seite, in Lewis entsorgt. Die Fähre
ist schon zurückgefahren.“
Aus der Traum!
Aber: „Ich rufe den Kapitän an, die Crew kümmert sich darum. Wie sah die
Rolle genau aus?“ Mir kommen fast die Tränen. „Warten Sie vor dem Büro,
es kann dauern.“
Alle vier warten wir auf
der Bank vor dem Büro. Gespannt, angespannt. Ob das was wird? Wie
unrealistisch ist dass denn eigentlich alles? Das Fünkchen Hoffnung wird
stärker – die Enttäuschung wird um so größer sein... Schließlich öffnet
sich die Tür, der Hafenmeister steckt den Kopf raus, sieht uns: „We get
it!“
Wir sind sprachlos. „Die Fähre kommt
morgen um elf Uhr zurück, seines Sie dann am Kai, der Kapitän bringt
Ihrer Tochter das Stickzeug mit.“ Wir sind immer noch sprachlos.
Dann
suchen wir uns einen Campingplatz, haben eine schönen Abend am Meer und
kriechen voll Vorfreude ins Zelt. Am nächsten Vormittag sind wir um elf
am Kai. Die Fähre läuft ein, die Passagiere verlassen das Schiff.
Dann
kommt die Crew. Zum Schluss auf der großen Außentreppe der Kapitän in
seiner blauen Uniform. In seiner rechten Hand hält er – die Rolle! Rot
und wunderschön. Es ist einfach nur ergreifend. Schon hat er uns
entdeckt und gibt Xenia ihre Rolle, sie drückt sie an sich. So viel
Kinderglück. Der Kapitän und ich, wir strahlen uns an.
Ich sause zum Hafenmeister, Bürotür auf, großer Dank, Händeschütteln. Weiter geht’s fröhlich zum Loch Ness.