Montag, 30. Oktober 2023

Die Würde des Bösen

 


 

Vortragsabend

Dr. Hubertus von Schoenebeck

 Die Würde des Bösen

 Von Terroristen und anderen Ungeheuern

Vortrag mit Gespräch


In der Kindheit haben wir oft zu hören bekommen, dass wir unartig und böse seien... Doch welche Anmaßung! Wir haben wie jedes Kind, das sich auf die Erde wirft und schreit, unsere Interessen vertreten und waren in innerer Harmonie. Aber wir wurden aus-geschimpft, und das Böse-Narrativ der Erwachsenenwelt fraß sich in unsere Seele. Und so sehen wir heute viele Menschen am Werk, die böse sind – im Kleinen: „Das Schwein hat mich verlassen“ und im Großen: „Der Terrorist fällt über Unschuldige her“.


Der Abend zeigt Ihnen, wie sich dieses herabsetzende Muster, was ja auch uns selbst gegenüber so viel Macht hat, erkennen und überwinden lässt. Nein, niemand ist böse! Wir können uns lieben, so wie wir sind, und das gilt auch für jeden anderen. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar – auch wenn er noch so Schreckliches tut und wir uns kraftvoll zur Wehr setzen.


Dr. phil. Hubertus von Schoenebeck hat Sachbücher zu Erziehungsfragen und über die Selbstliebe veröffentlicht und ist seit über 30 Jahren in der Erwachsenenbildung tätig. 

 

 

Montag, 23. Oktober 2023

Political Correctness - Aber!



In unseren Zeiten von überbordender political correctness reizt es mich schon, all dem mein „Alles geschieht aus Liebe“ entgegenzuhalten. Ich bin da ganz gern mal frech. Ich übersehe nicht die Wichtigkeit von MeToo und anderem, und Leid rührt mich an. Mein Mitgefühl gehört den Misshandelten, Unterdrückten, Ohnmächtigen.

Aber! Aber ich zeig den zu Recht Empörten gern mal den großen Teppich: „Leute, kommt mal wieder runter!“ Runter auf den Teppich, auf den das Ganze aus meiner Sicht bei allem Leid eben doch gehört: den Teppich der Würde jedes Einzelnen. Den Teppich, auf dem auch die bösesten Bösewichte der kleinen Welt und der großen Welt stehen.

Montag, 16. Oktober 2023

Es gibt keine Fehler!

 


 

 "Sie sagen, man kann keine Fehler machen. Was meinen Sie damit?" Frage auf dem Vortrag. Ich erkläre, aber ich weiß auch, dass meine Erklärung zum "Keine Fehler machen" nicht jeden erreicht. "Man macht aber doch Fehler. Und man kommt nur weiter, wenn man seine Fehler erkennt und daran arbeitet."

Klar mache ich oft etwas anders als eben. Weil das Eben nicht so war, wie ich es gern gehabt hätte. Ich schlage mir nicht zum zweiten Mal mit dem Hammer auf den Finger, ich parke diesmal vorsichtiger ein, ich ziehe mich wärmer an. Der falsche Schlag, das falsche Parken, die falsche Kleidung: wieviel Fehler steckt da drin? Und passt "falsch" eigentlich?

Ich bin da schon hellhörig. Um das Wort "Fehler" herum gibt es eine Ausstrahlung, eine verborgene Botschaft, eine Hintergrundmusik, die ich nicht mag. Herabsetzung, Besserwisserei, Demütigung, Schlechtsein. Die ungute Bösewelt taucht auf, wenn von einem Fehler die Rede ist. Und da jeder Mensch für mich sinnvoll und Ebenbild Gottes ist, passt das nicht zusammen.

Beim Rechnen kann ich den "Fehler" leichter akzeptieren. 3 plus 3 gleich 7 ist falsch. Ein Fehler? Ein Rechenfehler ja, aber ein Fehler? Wer drei und drei addiert zu sieben, der fällt aus dem Sinn, dem universellen kosmischen Sinn ja nicht heraus. Er ist unkonzentriert in Sachen Algebra, will den Lehrer ärgern, seinen Protest gegen die Mathematik, die die Atombombe hervorgebracht hat, demonstrieren oder sonst was. Er kommt nicht zur mathematisch! richtigen Lösung. Aber seine Lösung "Sieben"" ist nicht in einem höheren Sinn ein Fehler. "Sieben" ist Ausdruck seines Insgesamts, seines Sinns, seiner Liebe und Schönheit. "Fehler" passt nicht, "Rechenfehler" schon.

Bin ich da überdreht? Ist so etwas alltagstauglich? Tja, ich verhandle beim "Fehler" eben etwas Grundsätzliches. Das Fundament der Amication ist gebaut ohne den Fehler. Ohne die ungute Welt, die den Fehler umgibt.

Ungute Welten gibt es bei vielen Wörtern, die wir dann vermeiden. Sie drücken Zusammenhänge aus, die nicht mehr passen und ersetzt werden. So eine politische Korrektheit lässt sich auch übertreiben, aber oft ist es eben stimmig. Statt "Neger" gilt "Schwarze". Und oft fehlt auch ein neues Wort. "Unkraut" für die Distel und die Brennessel? Sie sind die Heimat von Schmetterlingen und habe ihren Platz im
Ökosystem. Ein neues Wort für "Unkraut" fehlt. Wie beim "Fehler". Distel und Brennessel existieren, aber die Unkrautwolke hüllt sie nicht mehr ein. Mein Tun und seine Folgen (Toter Hund, Blechschaden, Erkältung) gibt es, aber ohne Fehlerwolke.

Ich kann also keine Fehler machen, selbst wenn ich es wollte. Weil ich die kosmische Konstruktivität, die mich existieren lässt, nicht verlassen kann. Ich bin aus Konstruktivität entstanden und gewoben, jenseits aller Fehlerei.

"Sie können es jederzeit anders machen als eben", sage ich. "Aber Sie müssen über das Eben nicht schlecht denken. Das Eben war ja grad eine gültige Gegenwart. Warum wollen Sie ihre Vergangenheit schlecht dastehen lassen und ihr – also sich – Vorhaltungen machen? Kann man tun, muss man aber nicht tun. Man muss nichts an sich fehlerhaft finden, auch nicht das, was grad schiefgegangen ist."

Danach kommt dann gleich das Gespräch über das Leid, dass durch Fehler entsteht. Fußgänger angefahren, Kind angebrüllt, Partner verlassen. Ja, durch unser Tun entsteht immer wieder auch Leid, und das ist ein großes anderes Thema. Fehler aber? Passt auch bei der Leidthematik nicht. Ich tue immer Sinnvolles, Fehlerloses, und dabei kann es durchaus immer wieder zu Leid kommen. Fehlerlos sein öffnet nicht das Tor zu leidfrei sein und führt auch nicht in die Lieblosigkeit. Ohne Fehler zu leben schließt kein Tor sondern lässt ein Tor offen. Das Tor, hinter dem ich in Harmonie mit der Welt und mir lebe.

 

Montag, 9. Oktober 2023

Wie soll ich Amication in die Praxis umsetzen?

 


Gestern im Vortrag zur Amication fragt mich eine Mutter, wie sich das denn alles in die eigene Praxis übertragen lässt. Ich sage ihr dann das, was ich dazu einmal aufgeschrieben und in meine Text-Schatzkiste gesteckt habe:

»Wie soll ich Amication in die Praxis umsetzen? « Das geht natürlich nicht! Nicht so, wie es in dieser Frage aufscheint. Als Anwendung. Als etwas, das gekonnt sein will. Das man lernen kann. So geht es eben nicht!

Wie aber dann? Nun – es passiert einfach. Beiläufig. Ohne Absicht. Als Geschenk. Einfach so. Aber: nicht jedem passiert es, und nicht zu jeder Zeit und an jedem Ort. Es braucht günstige Umstände. Gute Zeiten. Sonne am Himmel. Besser: Sonne im Herzen. Denn mit dem Herzen hat es zu tun. Amication ist ja auch eine Herzenssache. Und die kommt gleich nach der Verstandessache. Oder vorher. Mit dem Verstand könnt Ihr herausfinden, welche Gipfel der Erkenntnis überhaupt in Frage kommen. Welche Gipfel der Ethik und Moral, der Philosophie und der Lebensfreude Ihr denn überhaupt als die eigenen ansehen möchtet. Und welche Ihr dann besteigen wollt, die Gipfel, auf denen Ihr zu Hause seid, im Nachdenken, mit dem Verstand, mit der intellektuellen Identität.

»Zu mir gehört Amication«. So ein Satz ist eine klare Kopfposition. Und gleich danach und eigentlich ja davor kommt das Herz: »Das fühle ich, diese amicativen Matterhörner und Wasserfälle, Kuhglocken und Schneereste, Murmeltiere und Alpensegler, Enziane und Berghütten. Das alles fühle ich eben – die amicativen Sonnenstrahlen wärmen mein Herz, erfüllen mich und machen mich froh. Wenn Ihr das fühlt (wenn Ihr das fühlt), dann ist der Rest – der ganze Rest: die so genannte Umsetzung – eine Naturgewalt, die sich eben einfach ereignet. Die nicht inszeniert werden kann, sondern die sich ergibt. Als Ausdruck dieses amicativ schlagenden Herzens, dieses Gefühls: »So – genau so ist es für mich richtig. Alles – die Amication rauf und runter, alle zwölf Punkte der Grundlagen und zigtausend amicative Dinge mehr.«

»Das sagt mir was, die Amciation. Das ist mein Zuhause. Darin lebe ich. Das ist alles für mich so selbstverständlich.« Dann hat die Umsetzung längst begonnen. Euer Herz hat sich verwandelt, Ihr habt es umgesetzt in amicatives Land. Mehr ist nicht nötig, und mehr geht auch gar nicht. Nur so lässt sich Amication »umsetzen«.

»Kann man das nicht ein bisschen konkreter haben? So, dass man sich etwas unter amicativer Umsetzung vorstellen kann?« Bitte was? Wie soll man sich denn eine solche Herzumsetzung vorstellen? So etwas macht kein Arzt und keine Medizin, so etwas wächst. Von allein, oder eben nicht. Und je nach Umständen. Ja, natürlich, man muss dafür offen sein, ein bisschen jedenfalls. Ohne dieses bisschen mitgebrachte Offenheit geht es nicht. Und ob man so ein Stückchen Offenheit im Lebensrucksack hat oder nicht – das ist ein Geheimnis, das jeder in sich hat.


 



 

Montag, 2. Oktober 2023

Raum geben

 




Ich bin mit dem Auto unterwegs. Vor mir, in der Tempo-30-Zone, fahren zwei Jungen (8) mit ihren Tretrollern auf der Fahrbahn: Sie gehören auf den Bürgersteig, schon klar. Tun sie aber nicht, auch klar. Ich kann sie von der Straße scheuchen, ein kurzes Antuten reicht, wieder klar. Tu ich aber nicht.

Ich lass sie in Ruhe vor mir herfahren, halte so viel Abstand, dass sie merken, dass ich sie lasse. Es dauert ja auch nicht lange, nach einer halben Minute sind sie in einer Einfahrt verschwunden.

Ich habe ihnen Raum gegeben. Muss ich nicht machen, kann ich machen. Großer Bogen: Merke ich, wenn mir das Leben Raum gibt? Muss es ja nicht machen, kann es aber machen. Die Jungen haben mein Raum-Geben gemerkt. Ich war schon ungewöhnlich, ein Autofahrer macht so etwas nicht, er bringt Rollerkinder auf Vordermann, auf den Bürgersteig. Merke ich, wann mir das Leben Raum gibt?

Aber was heißt schon das Leben! Es sind die Umstände, der Tag, das Wetter, die Leute rechts und links, die Nahen und die Fernen. Ich sehe auf meiner Radtour 15 Pferde auf einer Koppel. Sie haben Platz. Raum. Hat der Bauer ihnen Raum gegeben? Ich komme am Reiterhof vorbei, die Pferde dort stehen einzeln in ihre Boxen. Kleiner Raum. Auch Raum gegeben? Merken Pferde so etwas? Klar, eine große Koppel ist etwas anders als eine kleine Box.

Auf welcher Koppel bin ich unterwegs? In welcher Box stehe ich? Ein Pferd muss nehmen, was kommt. Ich aber kann dran drehen! Die Jungen müssen auch nehmen was kommt: Der übliche Autofahrer, was Bürgersteig heißt. Oder ein Alien-Autofahrer, was Straße heißt. Ist mein Leben ein üblicher Raumgeber oder ein Alien-Raumgeber? Na ja, das Leben findet statt, macht sein Ding, egal, wer ich bin und was ich davon halte. Ich bin aber derjenige, der die Raumgröße definiert. Wobei man sich alles superschönreden kann: Raum ist in der kleinsten Hütte... Ist die Kabine in der ISS groß oder klein? Die Weiten des Weltalls... Im Frühtau zu Berge: Wanderweite Wälder und Höhen... Gelassenheiten und Aufgeregtheiten ... Die Raumgeschichte ist ein weites Feld. Bei jedem neuen Geburtstag kann ich den Raum sehen, den ich hatte, ein Jahr lang. Und jeden Abend, Tag für Tag, kann ich sehen: wie viel Raum!

Wenn die Kinder beim Anziehen nicht in die Gänge kommen: Ich kann zuwarten - ich kann Tempo machen. Wie viel Raumgeben hat in mir Platz? Kommt drauf an - auf alles, den Tag, die Umstände, die Stimmung, die Pläne, was weiß ich. Eins aber ist klar: Raumgeben ist erhebend, ist eine freudvolle Angelegenheit. Wie ich die beiden Kinder vor mir auf ihren Rollern sehe: es tut einfach gut, sie nicht zu stören. Ich bin gern ein Raumgeber, wenn ich denn ein Raumgeber grad sein kann.