Freitag, 14. Juli 2017

Ja zu mir - Ja zu Dir




















Blog - Sommerpause


Ich fahre mit den Kinder in die Sommerferien. Erst zu unserem
traditionellen  Freundschaft mit Kindern - Sommercamp, dann
nach Frankreich ans Meer. Mit dem Blog will ich eine Sommer-
pause machen, ich komme nicht zu regelmäßigem Posten. Mal
sehen, vielleicht klappt es ja doch ab und zu. Ende August bin
ich dann wieder dabei und es gibt neue Posts

Ich habe überlegt, welchen Post ich jetzt als letzten vor der
Sommerpause einstelle. Der letzte Post wird ja erst einmal
aufgerufen, wenn in diesen Wochen jemand auf meinen Blog
schaut. Da soll es schon ein besonderer Post sein. Beim Kra-
men in meiner Schatzkiste bin ich dann bei der Partnerschaft
hängengeblieben. Das ist ein großes Thema und auch voller
Substanz.

Ich sage Tschüs, habt eine gute Sommerzeit! Euer Hubertus




Ja zu mir - Ja zu Dir

»Ich bin für Dich, Dein Glück und Dein Leid verantwortlich,
und Du bist es für mich.«

Eine Frau kommt nachts nicht nach Hause, sie war bei einem
anderen Mann. Ihr Partner ist verletzt und es geht ihm nicht
gut. Am nächsten Morgen ist klar, dass sie für seinen Schmerz
verantwortlich ist. Denn wenn sie nicht zu einem anderen
Mann gegangen wäre, würde es ihm nicht so schlecht gehen.
Sie weiß das. Er weiß das. Sie hat ein schlechtes Gefühl und
ein schlechtes Gewissen. Schuldgefühl. Schuldzuweisung. Die
Stunde danach ist hässlich.

Aber es geht auch anders.

In der Nachbarwohnung wohnt ein anderes  Paar. Auch sie
kommt eines nachts nicht nach Hause, auch ihm geht es
schlecht. Kein Unterschied zum Paar nebenan. Doch am
nächsten Morgen ist der Unterschied groß: Denn sie ist in
keiner Weise für seinen Schmerz verantwortlich - dies ist er
selbst. Er ist selbstverantwortlich. Von Geburt an. Auch für
seine Reaktionen. Auch in dieser Situation. Auch für seinen
Schmerz. Sie weiß das. Er weiß das. Sie hat kein schlechtes
Gefühl und kein schlechtes Gewissen. Kein Schuldgefühl.
Keine Schuldzuweisung. Die Stunde danach ist nicht hässlich.

»Ich liebe Dich, doch ich bin nicht für Dich verantwortlich.
Ich nehme Dir nichts von Deiner Verantwortung für Dich
fort« - dies gilt auch in der Partnerschaft. »Ich wünsche mir
Deine Liebe, aber nicht, dass Du mir meine Verantwortung
für mich absprichst«. Eine andere Basis der Partnerschaft.

Diese Partnerschaft ist ohne Schuldgefühl und ohne Schuld-
zuweisung. »Mein Schmerz ist meine Wahrnehmung, meine
Reaktion auf Dich, und für alle meine Reaktionen trage ich
selbst die Verantwortung, nicht Du.« Damit ist der Schmerz
nicht aus der Welt geschafft, es werden aber die Zuständig-
keiten zurechtgerückt. Gleichwertigkeit wird an die Stelle
von oben (im Recht sein) und unten (im Unrecht sein) gesetzt.

In der Nacht lässt sie ihre Blumen blühen. Und er reagiert
darauf mit Schmerz. Er könnte auch anders reagieren: ge-
lassen, unaufgeregt. Aber er fällt in den Schmerz. Dies ist
verständlich, aber dafür ist nicht sie verantwortlich. Das
weiß er, und er macht sie nicht für seinen Schmerz verant-
wortlich. Und sie? Sie lässt so viel Liebe und Wärme zu
Hause zurück, wie sie kann. Warum sollte sie kalt und teil-
nahmslos sein? Sie kümmern sich umeinander, denn der
andere ist Teil des eigenen Ichs.

Was passiert am Morgen danach? Sie kommt, weil sie wirk-
lich will. Sie ist nicht verstrickt in Abwehr gegen Schuld-
vorwürfe, da er nicht mit Schuldzuweisungen reagiert. Sie
ist offen für ihn, sie trägt die Energie der Nacht zu ihm, sie
steht ihm in seinem Schmerz bei. Sie reagiert mit Empathie,
nimmt ihn vielleicht in den Arm und tröstet ihn. Sie liebt ihn
- aber das hindert sie nicht, ihre Wege zu gehen, auch wenn
dies für ihn Schmerz bedeuten sollte.

Und er? Er liebt sie, und bei allem Schmerz über ihr Weg-
bleiben erfüllt es ihn doch mit Freude, vielleicht mit Stolz,
dass er diesen geliebten Menschen nicht behindert, trotz all
seiner Angst und Not. Seine Liebe trägt sie, und ihre Liebe
trägt ihn.

Doch wenn der Schmerz zu groß wird, trennen sich die Wege.
Das kann er ihr sagen, ohne den lieblosen Druck, sie mit seinem
Schmerz zum Bleiben zu bewegen. Wohl aber mit dem Wunsch
und der Hoffnung, dass sie bleibt. Er weiß, respektiert und ach-
tet, dass sie entscheidet, wie ihr Leben weitergehen wird. So
wie er das auch für sich erkannt hat. Sie kann seine angekündigte
Reaktion mit dem Abenteuer der Nacht abwägen - ohne sich un-
zulässig unter Druck gesetzt oder herabgesetzt zu fühlen. Wenn
sie geht, geht auch er. Wenn sie bleibt, bleibt auch er. Fortgehen
oder bleiben - beide Partner entscheiden sich, ein jeder in seiner
Verantwortung für sich selbst.

Der Schmerz des einen hindert den anderen nicht automatisch,
den eigenen Weg zu gehen. Doch selbstverständlich kann man
auch auf den angestrebten Weg verzichten, auch in der Partner-
schaft. Die Frau kann auch bleiben. Sie fragt sich: »Was will
ich wirklich, angesichts aller Umstände?« Und sie bleibt oder
sie geht.

Sie muss nicht gehen, sie muss nicht bleiben: sie will gehen
oder sie will bleiben. Und sie will zurückkommen. Weil sie
wirklich will, nicht aus Verantwortung.

Liebe und Verantwortung jedoch führen immer wieder zu
Verzicht und Verrat der Träume und Wünsche, eben »aus
Verantwortung«. Und wenn man doch seinen Träumen folgt,
dann mit dem schlechten Gewissen, sein Wort nicht zu
halten und seiner Verantwortung für den Partner nicht ge-
recht zu werden. Es kommen Schuldgefühl und Schuldzu-
weisung, Entschuldigung und Vergebung. Es existiert eine
Beziehung mit gut und böse, richtig und falsch, oben und
unten, ohne gleiche Wertigkeit der Partner.

Doch niemals steht einer über dem anderen, tut der eine das
Richtige, der andere das Falsche, ist der eine gut, der andere
böse - auch nicht in der Partnerschaft, auch nicht bei Leid
und Schmerz. Von gleich zu gleich gehen sie aufeinander zu
und miteinander um, auch wenn die Wege sich trennen, auch
wenn des einen Glück des anderen Schmerz ist.

Diesen Partnern ist Liebe fremd, die aus Verantwortung
füreinander kommt und immer wieder Nein zu sich selbst
sagen muss. Ihre Liebe zueinander kommt aus dem Ja zu
sich selbst und der Freude über den anderen.



Donnerstag, 13. Juli 2017

Smartphonkuscheln



















Ein alter Freund meldete sich gestern nach langer Zeit und
bat mich um Rat. Seine sechsjährige Tochter hängt mehr
und mehr am Smartphon. Er macht sich Sorgen, besonders,
nachdem er ein Video von Manfred Spitzer gesehen hat.


*

Lieber Josef,

meine Jüngsten sind inzwischen 15 und 17. Als sie 11 und
13 waren, begann das. Ich habe mich schwer geärgert, dass
der Apparat so viel Aufmerksamkeit zog. Dass das Erleben
der realen Welt von der virtuellen Kunstwelt irgendwelcher
Geldhaie so abgedrängt wurde. Sie bekamen Zeitlimits, erst
eine Stunde, dann zwei. Auf einer Ferien-Hinfahrt nach Polen
hingen sie dann 6 Stunden am Phon, ich habs überstanden.
Wohl war mir nicht, Spitzer und Co. Heute können sie in ei-
gener Regie machen. Ich habe nicht! bemerkt, dass sie irgend-
ein Problem im Umgang mit der realen Welt bekommen haben.
Wenn wir im Wald sind, sind wir im Wald. Auf der Fahrt dort-
hin hängen sie am Phon.

Ich sage jetzt: Ein Verbot stört ihre innere Ruhe, mit dem Biest
umzugehen. Wenn ich sie lasse und freundlich begleite, haben
sie bei all der Verhexung ja mich als Anker und jemand, der zu
ihnen hält, sie nicht ausmeckert, blöd findet, sich die Haare rauft,
Weltuntergang ruft. Sie können sich bei mir ganz entspannt (mit
meiner freundlichen Begleitenergie) diesem Kram/Irrsinn/Unsinn/
Verblödungsmaschinerie hingeben. Ich glaube, das ist das beste,
was ich beisteuern kann.

Erlebt (= erlöst von meiner Sorge, sie kommen zu Schaden) habe
ich diese Haltung bei einem Freund, hochdekorierter (Anti)Päd-
agogikprofessor in Polen. Wir waren zu Besuch, seine Tochter
(15) hing nur am Phon. Kam zum Abendessen, kurzes Hallo-Auf-
blicken von Phon zu den Gästen, drei Löffel Suppe mit Phon. Bis
dahin war ich not amused. Dann aber: sie kuschelte beim Phon-
spielen ihren Kopf an den Arm ihres Vaters, der neben ihr saß,
spielte weiter mit dem Biest, er freute sich über sie, die ganze
Atmosphäre war entspannt, friedlich, wunderbar. Das hat mich
überzeugt, da war ich alle Sorgen los.

Wir haben dann darüber gefachsimpelt, klar, er und ich, wir
kennen alle Pro und Contras. Im Ohr habe ich: "Es ist ihre Welt,
die Welt dieser Generation, und wenn wir nicht mehr sind, sind
die Kinder noch da und leben so, wie das dann sein wird."  Ich
erinnerte mich an das Verdikt über Fix und Foxi und all diese
Heftchen in meiner Kindheit. Fazit: Lass Dein Mädel in Ruhe,
wenn Du es kannst, später, wenn wir hin sind, sehen wir uns
das dann mal von oben an, was draus geworden ist. Lieb sie
einfach, auch in diesem Phonwahn. Und Du kannst Dir, wenn
Du das schaffst, auch ihre Phonwelt erklären lassen. Mehr Wis-
sen in Phondingen hilft mir jedenfalls.


Lieber Josef, also entspann Dich, mach Dir keinen Stress, den
überlass Spitzer und Co. Nicht nachgeben, weil alle das machen.
Sondern etwas verwirrt aber mutig mit Deinem Kind einen neuen
unbekannten Weg gehen, sie nicht allein/im Stich lassen. "Papa
steht hinter mir" hat so viel! Und erfreu Dich an Deinem Kind
und geh Du in den Wald = reale Welt, wenn Dir danach ist. Ich
jogge jedenfalls jeden Tag, und beim Geocachen (sieh mal Geo-
caching.com "Was ist Geocaching?") sind die Kinder dann auch
mit draußen.

Liebe Grüße Hubertus








 

Montag, 10. Juli 2017

Kinderland: Tja, Rückwärtsgang!



















Aus meiner Kinderforschung.

Melanie (3) will Rad fahren. Sie hat ein Rad mit Stützrädern.
Ich soll sie schieben. Ich fasse an den Lenker und tu es. Wir
wandern so eine Dreiviertelstunde. Durch die Straßen bis
zum Feld. Sie kennt sich aus. Sie sagt mir, wo es langgehen
soll. Ich staune, dass sie so gut Bescheid weiß.

Ich mache eine Entdeckung: Sie will meine Schiebekraft,
nicht meine Führung. Ich soll nicht lenken beim Schieben.
Ich soll nur schieben. Immer wieder ertappe ich mich, dass
ich drauf und dran bin, beim Schieben auch zu lenken. Zehn
Zentimeter vor dem Gitter dreht sie den Lenker, und ich hatte
mich schon zum Stoppen bereitgemacht.

Einmal kriegt sie die Kurve nicht hin. Ich sah es kommen -
und habe es geschafft, nicht einzugreifen. Sie sieht mich an -
tja, Rückwärtsgang!

Sonntag, 9. Juli 2017

Schulwahrheit, III, Sprengköpfe



















Ich habe selbstverständlich! auch Noten gegeben. Ohne Noten-
gebung kein Lehrersein. Klarer Fall, kein Pardon: Ich war genau-
so anmaßend und unterdrückend wie jeder andere Lehrer. Ich
war mir aber darüber klar, welches Unrecht da von mir ausgeht.
(Warum ich dann überhaupt als Lehrer gearbeitet habe, ist eine
andere Frage.) Und mit diesem Bewußtsein konnte ich etwas
erkennen, was "normalen" Lehrern verborgen ist. Und ich habe
auch anders gehandelt, ein bisschen wenigstens... Aus meinem
Schultagebuch:

*

Große Debatte mit einer Gruppe von zehn Kindern (6a) die
ganze Stunde über. Es geht um meine Notengebung. "Warum
gibtst Du Elisabeth keine 2, wo sie doch 2 steht, wie Du selbst
sagst?". Ich erkläre, dass es nicht gestattet ist, jemandem eine
2 zu geben, wenn er auf dem letzten Zeugnis eine 5 hatte. Und
dass die Note am Ende des Schuljahres eine Gesamtnote für
das ganze Schuljahr ist, dass also die Frühjahrsnote mit berück-
sichtigt werden muss. Aber das interessiert sie nicht.

Sie lassen sich nichts vormachen, wenn es um ihre Interessen
geht. "Wenn Du meinst, dass sie eine 2 kriegen kann, dann
steht ihr das zu." Sie haben ihre eigenen Bezugsgrößen und
Relevanzkriterien, die ihnen Auskunft darüber gebeben, was
gut für sie ist und was nicht.

Ich trickse dann, um ihr die 2 doch geben zu können. "Ja,
da gibt es eine andere Regel, die sagt, dass man die bei
einer Konferenz eingereichten Zensuren nicht mehr ändern
darf." Die Begründung interessiert sie nicht, sie sind zufrie-
den, dass Elisabeth ihre 2 bekommt. Mir aber ist sauunwohl
dabei, der so nicht gültigen Vorschrift und der Kollegen we-
gen. Ich tröste mich damit, dass es nicht an die große Glocke
kommen muss.

Und in mir kommt Wut über diesen ganzen Notenquatsch
hoch. Selbstverständlich sind die Noten, die ich ihnen ver-
passt habe, von mir subjektiv zusammengebraut. Diese
blödsinnigen Ansichten über "objektive" Notengebung!
Derartige Beurteilungen sind Herrschaftsausübung, Kom-
munikationsvernichter, schlicht widerliche Angelegenheiten,
inhuman. Wer anders darüber denkt, weiß nicht, was Sache
ist bei denen, die das alles ertragen müssen. Und natürlich
bin ich dafür, überhaupt keine Noten zu geben, all das "Ich
weiß was über Dich" schleunigst sein zu lassen und statt
dessen in ehrliche und gleichwertige Kommunikation ein-
zutreten.

*

Mit der 5c bespreche ich die Noten auf dem Rasen. Ich gehe
deswegen extra nach draußen. Es ist eine abgesicherte Gele-
genheit, rauszugehen.

Mit vielen geht es schnell. Ich setze die Noten nach Gefühl
fest und mit Hilfe von Notizen, wer mitgemacht hat. Ich gebe
keine 5. Das mache ich sowieso nur dort, wo ich wegen
schriftlicher Arbeiten nicht anders kann, also in Mathe. Aber
in Bio und Physik, wie hier in der 5c, denke ich nicht daran,
diesen Superirrsinn mit den Fünfen mitzumachen. Da habe ich
keinerlei Skrupel, hier kann ich echt mal etwas machen. Denn
in Fächern ohne schriftliche Arbeiten kann es sich jeder Lehrer
sparen, Fünfen zu geben. Wer nie mitgemacht hat, kriegt eben
eine 4 und Schluss.

Bei einigen schwanke ich, sie wünschen eine bessere Zensur.
Sie sollen sie haben. Bei zwei anderen bleibe ich hart. Die ak-
zeptieren. Insgesamt bin ich mit der Sache zufrieden und denke,
dass ich mit meiner Notengebung fair bin.

Zum Schluss sind sie dann besessen von der Notengeberei. Sie
hängen so davon ab. Das geht mir durch und durch. Sie leben
mir vor: Gute Note heißt gut sein. Oh Mann!

*

Letzter Schultag vor den Ferien. In den Klassen werden die
Zeugnisse verteilt. Ich denke daran, dass dies jetzt überall im
Land passiert.

Jetzt, im Momant, findet ein geradezu bombastischer Angriff auf
die Kinder statt, Raketen mit Vielfachsprengköpfen werden ab-
gefeuert: Jedes Zeugnis enthält rund ein Dutzend Sprengköpfe in
Form von Noten, deren Wirkung entweder heimlich, hinterrücks
ist: Zerstörung des Selbstvertrauens, des Setzens auf sich selbst,
durch die "guten" Noten der Erwachsenen. Oder brutal offen:
Schlechte Note = schlechtes Kind.

Und ich habe mitgemacht. Es ist ein widerliches Geschäft.











 

Samstag, 8. Juli 2017

Schulwahrheit, II, In den Tod



















Vor den Sommerferien gibt es Zeugnisse. Erwachsenen urteilen
über Kinder, Lehrer über Schüler. Ungefragt, unbestellt. Was ist
dabei? Dabei ist die Anmaßung, so mit Kindern "selbstverständ-
lich" umgehen zu können. Wen stört das, wer nimmt daran Anstoß?
Sollte es uns stören, sollten wir daran Anstoß nehmen? Und was
für Auswirkungen hat diese Notengeberei, kann sie haben, könnte:
ach ja, tatsächlich? Kann, darf, sollte man sich darüber Gedanken
machen? Läßt sich da was ändern? An dem Notengeben? An der
Einstellung der Erwachsenen? An der Einstellung der Erwachse-
nen? Aus meinem Schultagebuch:

*

Josef fragt mich, ob er sitzenbleibt. Ich spüre, wie sehr es ihn
belastet, nicht zu wissen, wo er dran ist. Ich bin wütend über
die Geheinmiskrämerei seiner Klassenlehrerin und habe anderer-
seits Angst, in ihre Kompetenz einzugreifen. Wenn sie ihm nicht
sagt, was die Konferenz beschlossen hat, so hat sie ihre Gründe.
Aber es macht mich eben an, und ich sage ihm dann, was ich
weiß - dass er versetzt wird - und beende den Terror gegen ihn.

*

Nach dem Sportfest bin ich noch eine Weile mit den Kollegen
im Lehrerzimmer. Sie sind so völlig anders - sie sehen die Kinder
so völlig anders. Als Objekte, aber freundlich (nicht auch noch
hämisch). Und doch weit, weit weg von ihnen. Sie bestimmen
über sie. Es taucht gar nicht die Idee auf, dass jedes Kind sein
eigener Souverän sein könnte. Sie wissen, was für Kinder gut
ist, das ist eine ganz klare Sache. Sie sind auf einem wirklich
anderen Weg als ich. Ich merke es und lasse sie in Ruhe.

Von Josef wissen sie, was es für ihn bedeutet, endlich zu erfah-
ren, ob er versetzt wird oder nicht. Sie sagen es und sehen sich
mit ernsten Minen an - aber auf die Idee zu kommen, ihm mit-
zuteilen, was sie ausgemacht haben, sitzt nicht drin. Können sie 
nicht fühlen, wie es in dem Jungen aussieht? Gut, dass ich
es Josef verraten habe.

*

Ich telefoniere mit einer Mutter, und wir kommen auf die schäd-
lichen Auswirkungen von (schlechten) Zensuren. Sie erzählt von
ihrer Tochter (7. Klasse), die in Latein eine 4 kriegt und deswe-
gen völlig fertig ist. Sie ist in den letzten drei Tagen nicht zum
Schwimmen gegangen, und es sind draußen jetzt jeden Tag über
30 Grad. Ich bin also voll drin in der Wirkungsproblematik der
Notengebung. Und was liegt neben mir? Die Klassenmappen,
und ich werde gleich - Noten festsetzen!

Verkehrte Welt. Natürlich nehme ich mir vor, die negativen Aus-
wirkungen gering zu halten. Und bei den Kindern, die ich gut
kenne, wird das wohl auch gehen. Aber bei den anderen, die
ich nicht näher kenne, weiß ich nicht, was da eine 4 in Bio oder
eine 5 in Mathe, oder, oder, oder bedeuten, welchen Stellen-
wert diese Urteile in ihrem Leben haben.

*

"Schülerpaar tötete sich"
"München, 23. Juni (dpa). Eine Woche nach der Einnahme ei-
nes Pflanzenschutzmittels sind am Montag in einem Münchener
Krankenhaus ein 19jähriger Gymnasiast und seine 15jährige
Freundin gestorben. Vor acht Tagen hatten die beiden be-
schlossen, aus Verzweiflung über schulische Schwierigkeiten
gemeinsam in den Tod zu gehen."

Fortsetzung folgt.




Donnerstag, 6. Juli 2017

Schulwahrheit, I, Gebäude des Schreckens



















Überall beginnen die Sommerferien, und viele Kinder werden aus
der Schule entlassen. Als ich Lehrer war, wurde ich einmal von
einer Klasse zur ihrer Abschlußfete eingeladen. Aus meinem Schul-
tagebuch:

*

Heute ist Abschlußfete der 9. Klasse, zu  der ich eingeladen bin.
Ein Picknickplatz im Wald. Es sind außer mir nur noch zwei Kol-
legen da, die anderen wollten nicht. Viel Reden, viel Kontakt, viel
"einfach so".

Nach drei Stunden, als alle im Kreis sitzen, fängt Mani an und
liest seine Abschlußrede vor, mit vielen Kommentaren und Zu-
rufen. Sie ist nicht für Eltern oder Lehrer gemacht, sondern für
seine Leute. Was ich höre, geht mir sehr nahe: Er sagt das, was
ich über die Situation der Kinder in der Schule herausgefunden
habe. Was aber nur verschwindend wenige von den Erwachs-
enen, die in der Schule arbeiten, als die Realität der Kinder be-
merken. Für die anderen ist eine solche Aussagen nur "dummes
Kindergerede".

Ich spüre, dass das, was so leicht dahergesagt wird, wirklich ihre
Erfahrung ist, ihre Wahrheit eben. Sie gehen alle mit der Rede
leicht um. Aber es wird deutlich, worum es geht. Um tiefes Ver-
letztsein. Umd um Betrogensein um die Jahre, die sie in der Schule
verbringen mussten. Die Rede ist die Wahrheit der Kinder.

Mani verbrennt seine Rede im Lagerfeuer. Ich bitte ihn dann, sie
noch einmal für mich aufzuschreiben. Er tut es gern, und die an-
deren helfen ihm dabei. Als ich von Veröffentlichung rede und
ihn frage, ob er einverstanden sei, ist das für ihn in Ordnung.
Aber ich merke auch, dass ihn das gar nicht mehr so interessiert.
Es ist doch alles so klar. Und: Sie stehen vor Neuem ...


                                 Die Abschlußrede

            Freunde, es ist geschafft.
            Neun lange Jahre sind vorbei.
            Mein herzlichstes Beileid möchte
            ich allerdings all denen wünschen, die
            noch länger in den sogenannten Schulen
            gefoltert werden.
            Die letzten neun Jahre waren die schlimmsten
            in unserem Leben.
            Und werden es wohl auch bleiben.
            Die Pauker haben uns dermaßen geschafft,
            dass manche einer sie gern vor ein Kriegsgericht
            stellen möchte.
            Ich bin auch dafür, dass die Schulen, die Gebäude
            des Schreckens -
            Schule, das Wort, das bei Kindern wie ein Brechmittel
            wirkt -
            abgeschafft werden.
            Aber nein, die Schulen werden noch von Staat
            unterstützt.
            Doch freut Euch, die Ihr es geschafft habt.
            In Zukunft dürft Ihr mit Euren Bossen über Lohn-
            erhöhungen und seine Tochter streiten.
            Freut Euch, es wird eine herrliche Zeit.
            Vergesst all das Böse, was Euch in der Schule geschah.
            Haltet die Ohren steif.
            Tschüs!
          

Fortsetztung folgt.
         




Dienstag, 4. Juli 2017

Dach der Zivilisation



















G 20 - ich überlege, welchen Protestbeitrag ich leisten könnte.
"Schlag Dein Buch auf und lerne, was da steht!" Ja - geht's noch?
Wem gehören die Kinder, wem gehört ihr Denken? Wem gehöre
ich und wem gehört die Welt? Ich halt mal dieses Plakat hoch:

"Mein Denken gehört mir!"


*

Unsere Zivilisation beruht auf bestimmten geistigen Leistungen,
etwa dem technischen Wissen, um Brücken, Kühlschränke, Fern-
seher und Raketen bauen zu können. Doch dieses Wissen kommt
aus dem Zwang, den die Erwachsenen mit der Schulpflicht der
nachwachsenden Generation auferlegt. Unsere Zivilisation beruht
auf der geistigen Versklavung unserer eigenen Kinder - nichts,
worauf wir stolz sein können, und nichts, das sich nicht ändern ließe.

Lernen Kinder denn ohne Schulpflicht das, was wichtig ist ? - Wichtig
für wen? Für die Erwachsenen? Die Kinder werden das lernen, was
aus ihrer eigenen Sicht wichtig zu lernen ist.

Die Verhältnisse werden sicher anders sein, wenn Menschen über ihr
Denken selbst bestimmen können, und das ist nur für die zum Nachteil,
die die Macht nicht teilen wollen. Das selbstbestimmte, von innen kom-
mende Lernen ist ein wertvoller Schatz der Menschheit, der gehoben
werden muss, wenn die anstehenden Probleme sinnvoll gelöst werden
sollen.

Vielleicht wird die Post dann nicht mehr in einem Tag von Hamburg nach
München befördert werden können - die Menschen werden selbst ent-
scheiden, was ihre Lebensqualität ausmachen soll und was nicht.

Montag, 3. Juli 2017

Fehler machen? Geht nicht!



















Wenn jemand einen Fehler macht, so bedeutet das, dass er nicht 
so gut war, wie er aber hätte sein können oder sollen. Dann tauchen 
Rechtfertigungsüberlegungen auf. Eingeständnisse werden gemacht. 
Die dunkle Wolke Schuldgefühl zieht auf. Und fordernd scheint der 
helle Stern Gutsein, hinter dem man endlos herläuft. Doch in der 
Amication ist alles anders:

Ein jeder ist für sich selbst verantwortlich. Für sein Leben, dieses 
sein Leben. Wenn man etwas tut, dann aus Verantwortung für sich, 
aus seinem jeweiligen Sosein. So, wie man gerade ist, denkt, fühlt 
– handelt man. Im Moment des Tuns, in der aktuellen Gegenwart, 
gilt jeder einzelne Sinn. Das ist nicht richtig, das ist nicht falsch. Es 
ist.

Wenn dann jemand dazu sagt, das sei ein Fehler – dann redet er 
eine fremde Sprache. Er schaut auf Einsichten, Normen, Daten, 
die er kennt, und daran misst er den anderen. Das ist dann für ihn 
wichtig – aber mit dem anderen hat das nichts zu tun.

In der Amication achtet ein jeder seine Gegenwart, sich, seinen 
aktuellen Sinn so sehr, dass er ihn – diesen Sinn, der in ihm lebt – 
nicht im Nachhinein eines Fehlers bezichtigt. Der Sinn, der einen 
jeden handeln lässt, ist dann, wenn er geschieht, fehlerlos. Besser: 
Jenseits von richtig und falsch, weder richtig noch falsch. Er ist.

Man kommt nicht auf die Idee, seiner Vergangenheit Vorhaltungen 
zu machen. »Hättest Du aber doch ...« – dies ist fremd. »Hab ich
aber nicht« ist die Antwort. Ruhig, kraftvoll, überzeugt. »Hab ich 
aber nicht.«

In der Amication gilt also: Niemand macht wirklich (existentiell 
gesehen) einen Fehler – man kann gar keinen machen. So, wie 
man auch nichts richtig machen kann. Was jemand macht, findet 
statt, sinnvoll, verantwortet vor sich: »Ich bin, ich lebe, und nicht 
an objektiven Kriterien zu messen.« Wohl an subjektiven: an den 
eigenen, an den fremden. Aber diese haben keine Macht über die 
Vergangenheit, über die Achtung vor sich selbst. »Du magst mich 
finden wie Du willst – ich aber bin.«

Ein jeder kann jetzt anders handeln als eben. Jederzeit. Aber das 
Eben wird dadurch nicht zum Fehler. Und das Jetzt nicht zum Rich-
tigen. Man kann sich verändern ohne den Hintergrund und die Welt,
die um den »Fehler« herum sind.