Montag, 28. März 2022

Feuerwerk und Wassereimer


 

 

Wissen Kinder, was für sie gut ist? Sie wissen es entsprechend ihrem Erfahrungs- und Bewertungshorizont, wie das bei jedem Menschen der Fall ist. Beispiel Kind: Es will einen Weihnachtsbaum anzünden, um sich an der erhofften Wirkung (Feuerwerk) zu erfreuen. Und hat Vorsorge für den Notfall getroffen (Wassereimer).

Beispiel Erwachsener: Er will ein Atomkraftwerk bauen, um sich an der erhofften Wirkung (Energiegewinn) zu erfreuen. Und hat Vorsorge für den Notfall getroffen (Katastrophenplan).

Aus ihrer Sicht wissen sie, was für sie gut ist. Ich bin da oft ganz anderer Meinung, aus meiner Erfahrung und Bewertung heraus. Ihr subjektives Wissen ist meinem subjektiven Wissen jedoch stets gleichrangig – denn objektives Wissen existiert überhaupt nicht.

Dem zuzustimmen – dass es keine Objektivität der Erkenntnis gibt – ist natürlich nicht jedermanns Sache. Es ist jedoch meine Überzeugung, sie gründet in dem postmodernen Paradigma der Gleichwertigkeit. Und wenn ich auch allemal meinem Wissen verpflichtet bin und dies notfalls durchsetze – so steht es mithin nicht über dem Wissen eines Kindes und verdrängt nicht meinen Respekt davor, dass jedes Kind wie jeder Mensch sehr wohl weiß, was für es gut ist.

Im übrigen ist das Wissen der Kinder ist nicht von der Art, wie wir Erwachsene etwas wissen. Es ist ein Gespür für das Angemessene, eine emotionale Sicherheit, die auf Selbstvertrauen und Ich-Sicherheit beruht. Dieses Wissen der Kinder ist ein Wissen, wie es ursprünglich aus uns kommt, es ist ein Wissen von innen.


 


Montag, 21. März 2022

Pause

 

 

In dieser Woche komme ich nicht dazu, einen Post zu schreiben. Nächste Woche geht es weiter!

Montag, 14. März 2022

Erinnerung


  

Die Befreiung vom pädagogischen Denken erfasst auch den Erwachsenen selbst. Auch Erwachsene mussten nicht erzogen werden, und auch Erwachsene müssen nicht mehr an sich arbeiten, um bessere Menschen zu werden. Erwachsene sind als Kinder vollwertige Menschen von Anfang an gewesen, und diese Vollwertigkeit gilt auch heute und für den Rest des Lebens. Ein jeder war und ist zu hundert Prozent ein vollwertiger Mensch, verantwortlich für sich selbst von Anfang an und kann sich lieben, so wie er ist.

Alles, was die Amication über Kinder sagt, gilt auch für Erwachsene. Amication ist für Erwachsene unmittelbar von Gewinn, nicht nur in ihren Beziehungen zu Kindern. Sie sind die Kinder, um die es ihr Leben lang in Wahrheit geht: "Ich bin für mich verantwortlich. Wie soll mein Leben aussehen? Meine nächsten drei Minuten? Meine nächsten drei Stunden? Meine nächsten drei Tage? Was will ich - was will dieses Kind, das ich bin - wirklich? Wie könnte ich es erreichen?"

Amication wird oft zunächst im Blick auf die heutigen Kinder erfasst. Aber es geht um alle Kinder, auch um die großgewordenen. Es ist, als ob ein junger Mensch zu den heutigen Erwachsenen tritt und ihnen etwas von ihrem verschütteten Wissen der eigenen Kindheit mitteilt. Dieses Kind erinnert die großgewordenen Kinder an die Wahrheiten ihrer Kindheit - Wahrheiten, die durch Erziehung und pädagogische Tradition verloren gingen:

Die Selbstliebe, die Vollwertigkeit, die Selbstverantwortung, die Souveränität, die Gleichwertigkeit, die Subjektivität, die Fehlerlosigkeit, die Sozialität, die Achtung vor der Inneren Welt, die Selbstbehauptung in der Äußeren Welt, die Empathie, die Erziehungsfreiheit. Der Erwachsene, der von diesen Dingen hört, wird stets direkt angesprochen. Und wenn er sich darin wiederfindet, dann setzt er den amicativen Impuls für das Kind um, das ihm zuallererst anvertraut ist: für sich selbst.

 

Montag, 7. März 2022

Wir hier - die Schule dort



Eine Mutter erzählt, dass ihr Sohn (2. Klasse) im Schwimmunterricht mit einigen Mitschülern auf der Bank neben dem Becken warten muss, bis der Lehrer mit den anderen Kindern im Wasser fertig ist. Und sie dann wieder dran kommen und ins Wasser dürfen. Abwechselnd. Er muss also mit nasser Badehose draußen warten und friert. Das hat dazu geführt, dass er zweimal nicht zum Schwimmen mitgegangen ist. Erst jetzt hat er es seiner Mutter erzählt. Sie überlegt, ob sie den Lehrer zur Rede stellen oder es auf sich beruhen lassen soll. 

Das führt mich mal wieder zur Schule, und zwar grundsätzlich. Ich suche einen Text heraus meinem Buch "Schule mit menschlichem Antlitz", der dazu passt.*

* 

Die Schule ist eine Institution, die ganz und gar unabhängig von uns existiert. Wir sind immer konkrete Menschen, und das heißt für die Eltern und Kinder: dieser Vater, diese Mutter, diese Kinder. Und unabhängig von uns als Familie existiert viel in der Welt: die Kneipe nebenan, das Stadttheater, der Bundestag, und eben auch die Müller-Schule in der Meierstraße und die Meier-Schule in der Müllerstraße. Klar, das hat auch etwas mit uns zu tun, denn wir gehen ja in die Kneipe und ins Theater, wir wählen das Parlament und schicken die Kinder zur Schule. 

Aber es ist eben auch wahr, und das zu übersehen macht die Macht der Schule aus, dass diese Institution, die Schule, jede Schule zunächst einmal mit uns nichts, aber auch ganz und gar nichts zu tun hat. Die Schulgesetze: nicht von uns beschlossen. Die Lehrer: nicht von uns bestellt. Die Schulordnung: nicht von uns in Auftrag gegeben. Die Lehrpläne: nicht unsere Erfindung. Methodik, Didaktik, Motivation, Evaluation und das ganze weitere depersonalisierende Brimborium: weiß Gott nicht unsere Sache. Nichts, aber auch gar nichts ist von der Schule auf unser Konto zu buchen. Wir hier - die Schule dort.

So - und von dieser radikalen, grundsätzlichen und wesentlichen Unterscheidung aus sehe ich mir an, was das dort denn ist, die Schule, wie sie strukturiert ist, was sie will, was sie bewirkt. Und von daher kommt meine Entschlossenheit, für meine Kinder einzustehen und den Anforderungen der Schule immer wieder mit Verwunderung zu begegnen: "Tatsächlich – das hat der Lehrer gesagt? Was hat er sich eigentlich dabei gedacht?" Immer wieder. 

Und von daher kommen dann meine Reaktionen, mein Umgang mit dem Merkwürdigen da draußen – das Schule heißt und durch das ich selbst damals, zu meiner Zeit, durchwanderte, durchmusste. Exotisch schon damals, eine seltsame Erfindung, umgeben von der Aura des Absoluten, wie Sonne, Mond und Sterne. Nur: dass ich heute diese Fiktion sehe, als Erwachsener darum weiß, dass die Schule eben nicht als göttlich Ding vom Himmel auf die Erde gekommen ist, sondern ein ganz und gar menschlich Ding ist, ersonnen und gemacht von Menschen wie Du und ich, und dass man das alles gänzlich anders sehen kann. 

Ich lade also jeden ein, sich von der Schulideologie zu befreien. Big Brother, das Kuckucksnest, Trumans World zu verlassen, diese gläserne Glocke, die Kinder leibhaftig einfängt, niemals wirklich entlässt, sondern sie als großgewordene Kinder lebenslang gefangen hält. 

Schule muss nicht sein! Sollte sie sein? Jeder von uns gibt hier seine eigene Antwort. Ein Tipp für Unentschlossene: Fragen Sie die Kinder, ein halbes Jahr nach der Zuckertüte. Sie kennen noch den Zusammenhang, wissen noch um das, was möglich ist, sie haben es noch im Blick, was Leben ohne Schule heißt. Dies alles zu wissen macht sehr sicher, die eigenen, aus der familiären Situation kommenden Antworten zu finden. 

Keine Hausaufgaben gemacht? "Ran an die Arbeit" oder "Dann lass es eben". Ein Brief, dass mein Kind sich in der Schule nicht benimmt? Wozu sollte es sich benehmen? Und was heißt eigentlich "Benehmen" in der Schule? Schlägt es andere Kinder? Vielleicht war das wichtig und richtig. Redet es zu laut im Unterricht? Vielleicht war das wichtig und richtig. Tut es nicht, was der Lehrer will? Vielleicht war das wichtig und richtig. 

Jeder Mensch, auch jeder junge Mensch, auch jedes Kind in der Schule tut immer etwas Sinnvolles, mit Grund, aus seiner eigenen, individuellen Schlüssigkeit und Weltdeutung heraus. Das interessiert mich. Also: Warum keine Hausaufgaben? Was führte zur Schlägerei? Zu Gegenreden? Ich liebe mein Kind und ich freue mich, wenn ich es mehr und mehr immer wieder neu verstehen lerne. Soll ich mein Kind korrigieren um der Schule willen? Soll ich einen lebendigen Menschen korrigieren, weil Herr Meier das gern so von mir hätte? Wer bin ich denn?

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Was also ist im Fall mit dem Schwimmunterricht zu tun? Ich habe gesagt, ein Gespräch mit dem Lehrer kann nicht schaden. Motto: Ich habe keine Lust, dass mein Kind sich erkältet. Aber das weiß er doch selbst. Er kann seinen Unterricht besser handhaben, wenn die einen Kinder im Wasser sind und die anderen auf der Bank. Erkältungsrisiko eingeschlossen. Wie immer hat auch dieser Lehrer sein eigenes System, mit den Kindern und seinem Lehrauftrag zurechtzukommen. Eltern stören da nur. Doch auch wenn das alles so ist: Ich bin nicht für die Schule und den Lehrer da, sondern für mein Kind. Und dann interveniere ich. "Ich möchte nicht, dass mein Kind mit nasser Badehose rumsitzt und sich erkältet."


* Schule mit menschlichem Antlitz, 2001, S. 21 ff.