Montag, 22. Februar 2021

Naturdoping



Heute waren wir zum Geocachen unterwegs (Geocachen: Verstecke in der Natur nach Vorgaben aus dem Internet suchen.) Diese Mischung von virtueller und realer Welt hat was. Eigentlich bin ich ja nur in der Natur unterwegs, ohne Handy und Co. Immer schon, und das ist mein Elixier. Aber die Kinder leben eben auch sehr intensiv in der virtuellen Welt, und wieviel Stunden sie tatsächlich mit ihrem Handy/Smartfon/Tablet verbringen, will ich gar nicht so genau wissen.

Doch beim Geocachen entsteht eine gute Harmonie dieser beiden Welten. Die Aufgaben werden im Internet ausgesucht und dann mit den Möglichkeiten des Handys draußen gefunden. Draußen! Die Kinder werden also von ihrem virtuellen Spielzeug nach draußen gelockt und sind dann 1, 2 oder auch 3 Stunden mit mir in der Natur. Naturdoping pur.

"Na gut", sagt die Natur, "dann bringt Euer Handy halt mit". Da gibt es keine Eifersüchtelei und keinen Streit. Und die Sorge, dass sie nur mit dem Kopf über dem Apparat hängen, und nichts mehr vom Rausch der Sinne, der Sinfonie der Natur mitbekommen, ist unbegründet. Klar, sie sehen immer wieder auf dem Handy nach, ob der Kurs stimmt. Und lösen so auch immer wieder mal Aufgaben, um zum Ziel zu kommen. Aber die Dynamik des Draußen fängt sie machtvoll ein, und sie lassen sich einfangen und strecken und recken sich im Wind, der Sonne, den vielen Düften, Klängen, Farben.

Das alles geht aber nur gut, wenn man seinen Frieden mit diesem elektronischen Teufelszeug gemacht hat, dieser unheimlichen Faszination, die sich der Seele der Kinder bemächtigt. Oder sind die Kinder etwa diejenigen, die sich souverän der elektronischen Droge bedienen? Warum sollte es nicht so sein? Ich bin immer wieder erstaunt, wie gut sie mit diesem neumodischen Spielzeug klarkommen. Dann kann ich mich zurücklehnen und sie machen lassen. Und freu mich einfach, wenn sie mit mir draußen sind.
 




Montag, 15. Februar 2021

Ich glaube an Dich


 

Es ist nachts, ich sehe einen Film. „Ich glaube an Dich“, sagt sie zu ihm. Ich halte an. Meine Aufmerksamkeit verlässt den Film. Was ist mit den beiden?

Ich übersetze die Szene aus der Film- und Drehbuchwelt ins Leben, nehme es jetzt für bare Münze und höre in die Wahrheit eines solchen Satzes. Einer solchen Botschaft. Sie liebt ihn - und glaubt an ihn. Das hat nichts mit irgendwelchem Kirchenglauben zu tun. Das ist von Mensch zu Mensch, von Person zu Person. Das kommt von ganz innen. Vertrauen, Mich-Trauen. Der Rest der Welt wird unwichtig. Nur wir beide: Ich und Du, Du und Ich. 

Kann man an andere Menschen glauben? Ist das eine verrutschte Wahrnehmung? Gehört Glauben nicht zu Kirche und Religion? Kann Glauben ein Menschending sein, etwas, das unter Menschen richtig ist? Glaube ich an mein Kind? Wieso denn nicht? An mein Auto? Daneben? An den Lauf der Erde um die Sonne? An mich? An ein gutes Ende? An Konstruktivität und Liebe als Grund aller Dinge?

Mein Nachdenken ufert aus und läuft etwas aus dem Ruder. Es ist ja auch egal, an wen ich glaube. Wen geht das etwas an? Warum sollte ich nicht an die Menschen glauben, die ich liebe? „Glaube“ hat einen sehr eindeutigen Geschmack. Aber in ihrem „Ich glaube an Dich“ steckt viel: die Tiefe, die Wahrheit, das Öffnen, die Zuversicht, die Sicherheit, die Freude, das Glück. Ich habe ihren Satz gehört. Wem habe ich das jemals gesagt? Wenn mir jemand sagte „Ich glaube an Dich“ - das wäre ein fremdvertrauter Gruß, schnörkellose Urkraft,  endlose Verlässlichkeit, Einverständnis im Unendlichen. 

Natürlich doch - wir können uns einander hingeben und aneinander glauben. Das ist einfach beseelend und machtvoll. Mehr muss es nicht sein ... Ich wache aus meiner Nähe zu mir selbst auf und der Film kommt wieder bei mir an. „Ich glaube an Dich“ gehört zu den Edelsteinen aus der Liebesschatztruhe. Ich bin berührt von dieser Schlichtheit und Klarheit: In der Liebe glauben die Menschen aneinander.


 


Montag, 8. Februar 2021

Einmischen?

 


Eine Mutter erzählte mir: „Mein Sohn (8) war allein unterwegs und hatte Krach mit einem Erwachsenen, einem Freund der Familie. Hätte ich mich einmischen sollen?“

Die Kinder geraten immer wieder mal in unangenehme oder auch gefährliche Situationen. So etwas bricht über sie herein, oder sie haben ihren Anteil daran. In diesem Fall hatte der Sohn den Freund der Familie durch sein Verhalten verärgert, er wurde schließlich angefaucht. Und kam empört zu seiner Mutter.

Wenn die Kinder mit anderen unterwegs sind, ist das schön, aber auch voller Risiken. Das Balancieren über das Brückengeländer ist voll prickelndem Reiz, aber auch voll Risiko. Wenn der Junge dabei ins Wasser fällt, helfen Eltern ihm heraus, keine Frage. Aber hier? Soll sie zu dem Freund hingehen und die Wogen glätten? Oder kann das Kind allein herauskommen, wenn es in so ein Beziehungsgewässer gefallen ist?

Falsch machen geht nicht. Die Mutter kann intervenieren oder die Sache bei ihrem Sohn lassen. Es kommt wie immer darauf an, was man will. Sie erzählte, dass sie gespürt hat, das Ganze ihrem Kind zu überlassen. Ihr Sohn war angefasst und kam zu ihr. Beschwerde. Ein Eingreifen lag in der Luft. Aber sie hat es eben anders gemacht. Sie hat das Herauskommen aus dem Wasser ihm überlassen. War eigentlich seine Sache. Einmischen fühlte sich übergriffig an. „Es gehört ihm und er schafft das schon.“ Und so kam es auch. Ihr Sohn kam wieder runter, und nach einer Weile ging er zu dem Erwachsenen zurück „um das mit ihm zu besprechen“.

Fand ich beeindruckend. Von der Mutter: nicht hinstürzen, sondern erst mal schauen, was wirklich Sache ist. Was Sache ist bei ihr und ihren Mutterhelfegefühlen und bei ihm und seinem „Kann ich selbst hinkriegen“. Das feine Hinhören fand ich beeindruckend. Das Zuwarten. Das Offenhalten einer Tür. Es wäre nichts dabei gewesen, sofort zu intervenieren – wenn ihr Gefühl so ist. Aber sie hat eben den anderen Weg genommen.

Ich habe dann überlegt, dass wir Eltern oft, ganz oft, ich sage: viel zu oft anspringen, wenn die Kinder mit einem Beschwer daherkommen. Dann verpassen wir, dass die Beschwernisse der Kinder eben auch ihnen gehören. Ich bin dann schon in Hab-Acht-Position. Aber ich muss meinem Kind sein Beschwer nicht sofort, auf der Stelle aus der Hand nehmen (auf dass es ihm besser gehen möge).  

Ich kann in gewissen Respekt vor dem Beschwer sein – dem kaputten Knie, dem Wasserfall, dem Anfauchen. Ich meine, es sind Geschehnisse aus der Welt meines Kindes. Sie gehören ihm. Ich nehme sie nicht fort aus seiner Welt, ziehe sie nicht rüber in meinen Bereich, ich vereinnahme sie nicht. Weiter: Ich vereinnahme mein Kind nicht. Wiewohl die Gelegenheit günstig ist und der Reiz groß.

Wie viel achtungsvolle Distanz haben wir unseren Kindern und ihrer Welt gegenüber? Kann man da sensibel sein? Lässt sich erkennen, was mein und was dein ist? Wie viel Verstrickung ist gesponnen, wie viel lässt sich überhaupt bemerken? (Was ja auch unter Partnern und Freunden ein großes Thema ist.)

Ich habe das Gefühl, dass die Mutter eine gute Botschaft gesendet hat. „Okay, ich hör Dir zu und ich bin da.“ Sie hat noch nicht einmal mitgesendet „Brauchst Du mich?“ Sie hat einfach nur schwingen lassen, dass sie da ist, dass er nicht allein ist, dass er sich auf sie verlassen kann. Was ihm offensichtlich gereicht hat. Was ihn nicht weggekippt hat aus seiner Sphäre, verlockt hat, den schlappmachenden Süßeweg in ihre Arme zu nehmen. Den alle Kinder kennen, gut kennen. Der oftundoft nötig aber eben auch so süchtevoll ist.

Der Junge konnte bei sich und seiner Power bleiben. Er trug sich nach einer Verschnaufzeit zurück ins Getümmel. In die Welt der Beziehungen, ins wilde Leben.

 

Montag, 1. Februar 2021

Unterstützen statt erziehen - warum?

 

   

 Unterstützen statt erziehen - warum? Vier Fragen und meine Antworten. 

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Warum ist Ihrer Meinung nach „Unterstützen statt erziehen“ die richtige Methode im Umgang mit dem eigenen Kind?

Niemand, auch ein Kind nicht, hat es gern mit jemandem zu tun, der einem belehrend, missionarisch oder erzieherisch daherkommt. Und das ist auch gar nicht nötig. Man kann als Vater oder Mutter den Kindern ohne erzieherischen Anspruch sagen, was zu sagen ist. Kinder orientieren sich an solchen authentischen Botschaften, setzen sich damit auseinander und wachsen daran. Erziehung wirkt viel zu aufgesetzt und wird von den Kindern nicht wirklich ernst genommen. Man läuft dann gegen eine Wand stiller oder lauter Ablehnung. Mit dem Modell „Unterstützen statt erziehen“ vermeidet man dieses ungute Theater und bringt Leichtigkeit ins Spiel. Man kann hier eine neuartige Verantwortung den Kindern gegenüber übernehmen und einfach viel Erfolg haben.

Können Sie Beispiele für Situationen nennen, in denen Eltern ihren Kindern besser auf gleicher Augenhöhe begegnen?

Dass man sich bei aller Überlegenheit nicht über den anderen emporschwingt, ist immer möglich. Das gilt für den Arzt oder Werkstattmeister ebenso wie für Eltern. Patienten, Kunden oder Kinder reagieren auf diese Gleichwertigkeit trotz Überlegenheit positiv, sie fühlen sich geachtet und können dann auch Ratschlägen leicht folgen. Die Oben-Unten-Ausstrahlung, wie sie in der traditionellen Erziehung in bester Absicht gang und gäbe ist, kann man ablegen. Das ist kein Verlust an Autorität, sondern eine neuartige Autorität, die in der Würde aller Beteiligten gründet. Und gilt für alle Situationen des Alltags mit Kindern.

Wo liegen die Grenzen dieser Methode und besteht nicht die Gefahr, dass die Kinder sie zu ihren Gunsten ausnutzen?

Es geht nicht um antiautoritäres Zurückweichen. Vater und Mutter stehen zu ihren Werten und Grenzen und setzen sie durch, ohne Zimperlichkeiten. Ein Nein ist ein Nein. Man muss den Kindern dabei aber nicht mit oder ohne Worten vermitteln, dass man dann der bessere Mensch ist. „Sieh ein, ich habe recht!“ bedeutet einen seelischen Übergriff auf das Kind. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ ist kraftvoll und ohne eine solche Verletzung. „Unterstützen statt erziehen“ geht in jeder Lebenslage, niemand lässt sich dabei ausnutzen.

Warum denken Sie, dass sich die Liebe zu seinem Kind nur wirklich entfalten kann, wenn man sich selbst so liebt, wie man ist?

Wir haben damals als Kinder gelernt, dass wir erst zu richtigen Menschen erzogen werden müssten. Davon, dass wir uns selbst akzeptieren und lieben dürften, war nicht die Rede. Das war schlimm genug. Muss aber nicht das letzte Wort sein. Jeder kann und darf sich lieben, wie immer er ist und was immer er tut oder denkt! Das ist eine Grundentscheidung für das eigene Leben, und ich persönlich bin davon überzeugt, Liebe und Ebenbild Gottes zu sein. Diesen Glauben an sich selbst und seine Konstruktivität kann sich jeder zurückholen. Und dann sieht man kraftvoll, erfüllt und dankbar auf die Kinder, die einem anvertraut sind. Sie sind Teil der unendlichen Liebe wie wir selbst.