Eine Mutter erzählte mir: „Mein Sohn (8) war allein unterwegs und hatte Krach mit einem Erwachsenen, einem Freund der Familie. Hätte ich mich einmischen sollen?“
Die Kinder geraten immer wieder mal in unangenehme oder auch gefährliche
Situationen. So etwas bricht über sie herein, oder sie haben ihren Anteil
daran. In diesem Fall hatte der Sohn den Freund der Familie durch sein
Verhalten verärgert, er wurde schließlich angefaucht. Und kam empört zu
seiner Mutter.
Wenn die Kinder mit anderen unterwegs sind, ist das schön, aber auch voller
Risiken. Das Balancieren über das Brückengeländer ist voll prickelndem Reiz,
aber auch voll Risiko. Wenn der Junge dabei ins Wasser fällt, helfen Eltern
ihm heraus, keine Frage. Aber hier? Soll sie zu dem Freund hingehen und die
Wogen glätten? Oder kann das Kind allein herauskommen, wenn es in so ein
Beziehungsgewässer gefallen ist?
Falsch machen geht nicht. Die
Mutter kann intervenieren oder die Sache bei ihrem Sohn lassen. Es kommt wie
immer darauf an, was man will. Sie erzählte, dass sie gespürt hat, das Ganze
ihrem Kind zu überlassen. Ihr Sohn war angefasst und kam zu ihr. Beschwerde.
Ein Eingreifen lag in der Luft. Aber sie hat es eben anders gemacht. Sie hat
das Herauskommen aus dem Wasser ihm überlassen. War eigentlich seine Sache.
Einmischen fühlte sich übergriffig an. „Es gehört ihm und er schafft das
schon.“ Und so kam es auch. Ihr Sohn kam wieder runter, und nach einer Weile
ging er zu dem Erwachsenen zurück „um das mit ihm zu besprechen“.
Fand ich beeindruckend. Von der Mutter: nicht hinstürzen, sondern erst mal
schauen, was wirklich Sache ist. Was Sache ist bei ihr und ihren
Mutterhelfegefühlen und bei ihm und seinem „Kann ich selbst hinkriegen“. Das
feine Hinhören fand ich beeindruckend. Das Zuwarten. Das Offenhalten einer
Tür. Es wäre nichts dabei gewesen, sofort zu intervenieren – wenn ihr Gefühl
so ist. Aber sie hat eben den anderen Weg genommen.
Ich habe dann überlegt, dass wir Eltern oft, ganz oft, ich sage: viel zu oft
anspringen, wenn die Kinder mit einem Beschwer daherkommen. Dann verpassen
wir, dass die Beschwernisse der Kinder eben auch ihnen gehören. Ich bin dann
schon in Hab-Acht-Position. Aber ich muss meinem Kind sein Beschwer nicht
sofort, auf der Stelle aus der Hand nehmen (auf dass es ihm besser gehen
möge).
Ich kann in gewissen Respekt vor dem Beschwer sein – dem kaputten Knie, dem
Wasserfall, dem Anfauchen. Ich meine, es sind Geschehnisse aus der Welt
meines Kindes. Sie gehören ihm. Ich nehme sie nicht fort aus seiner Welt,
ziehe sie nicht rüber in meinen Bereich, ich vereinnahme sie nicht. Weiter:
Ich vereinnahme mein Kind nicht. Wiewohl die Gelegenheit günstig ist und der
Reiz groß.
Wie viel achtungsvolle Distanz haben wir unseren Kindern und ihrer Welt
gegenüber? Kann man da sensibel sein? Lässt sich erkennen, was mein und was
dein ist? Wie viel Verstrickung ist gesponnen, wie viel lässt sich überhaupt
bemerken? (Was ja auch unter Partnern und Freunden ein großes Thema ist.)
Ich habe das Gefühl, dass die Mutter eine gute Botschaft gesendet hat.
„Okay, ich hör Dir zu und ich bin da.“ Sie hat noch nicht einmal mitgesendet
„Brauchst Du mich?“ Sie hat einfach nur schwingen lassen, dass sie da ist,
dass er nicht allein ist, dass er sich auf sie verlassen kann. Was ihm
offensichtlich gereicht hat. Was ihn nicht weggekippt hat aus seiner Sphäre,
verlockt hat, den schlappmachenden Süßeweg in ihre Arme zu nehmen. Den alle
Kinder kennen, gut kennen. Der oftundoft nötig aber eben auch so süchtevoll
ist.
Der Junge konnte bei sich und seiner Power bleiben. Er trug sich nach einer
Verschnaufzeit zurück ins Getümmel. In die Welt der Beziehungen, ins wilde
Leben.