Montag, 11. Mai 2020

Gehtnicht und Gehtdoch







Wenn man mit Kindern unterwegs ist, gibt es viele Dinge, die nicht gehen, die einfach nicht gehen. Wobei schon klar ist, was die Kinder gern hätten und was sie wollen, wo es aber offensichtlich nicht geht. Wo noch nicht einmal drüber nachgedacht wird, ob es nicht doch gehen könnte. Also Alltäglichkeiten wie: noch ein Eis, noch mal zurück, hier abbiegen, Überraschungsei, jetzt zum Zoo, im Heizkeller spielen, den Hamster draußen laufen lassen. Was weiß ich. Wo das Gehtnicht über dem Gehtdoch thront.

*

Gestern hatte ich mich mit meinem Sohn Felix zu einem Waldgang mit seinen beiden Kindern Klara (8) und Kolja (6), meinen Enkelkindern, verabredet. Da standen aber zwei "Das geht nicht" davor: Zweieinhalb Stunden mit dem Auto hinfahren, zweieinhalb Stunden zurückfahren: für einen Spaziergang? Völlig unverhältnismäßig plus Ökosau! Außerdem Corona: Lässt sich das einhalten mit den Kindern, die anderthalb Meter Abstand, wenn man draußen unterwegs ist? Felix und ich befanden: Das geht! Wir hatten uns coronamäßig acht Wochen nicht gesehen, das wog die Fahrerei auf. Und das mit dem Abstand würden wir schon hinkriegen.

Jedenfalls trafen wir uns. Superwetter. Bevor es losging: "Ich kann nicht auftreten " Klara humpelte barfuß aus Felix Auto und konnte mit rechts nicht mehr richtig auftreten. Aber kein Druckschmerz, also Splitter? Oder vielleicht mit Schuhen? Gehtnicht nahm Witterung auf. "Das wird nichts", dachte ich, "kein Gang in die schöne Mailandschaft. Dann eben Picknick." Gehtnicht feixte. "Einen Versuch könnten wir machen", sagte Felix, "wenns nicht geht, dann gehts nicht." "Genau mein Reden", Gehtnicht war zufrieden. Den Versuch machten wir. Der Versuch wurde länger und länger, barfuß ging es weiter. Gehtdoch war an der Reihe.

Ich hatte Tierli-Kekse mitgebracht. "Die gibts, wenn wir ans Wasser kommen." Gemeint war die Ems, unser Ziel nach einer halben Stunde durch Wald und Feld. Nach drei Minuten: "Hier ist Wasser", Kolja hatte einen Tümpel entdeckt. Kolja sagte nicht Keks, er sagte Wasser, aber war schon klar. Gehtnicht: "Das ist nicht die Ems, jetzt gibts keinen Keks." Aber Gehtdoch rückte den ersten Keks aus Felix Rucksack raus. Mein Sohn war auch klar: Wasser ist Wasser. Und: es gab mehrere Wässerchen bis zum Fluss... Gehtnicht war not amused, Gehtdoch schon.

Ein großer Baum lag über dem Weg. Man konnte sehen, dass es einige Krabbler unten durch geschafft hatten. Gehtnicht wurde nicht gefragt, Kolja war durch. Klara: "Das geht nicht, ich bin größer." Gehtnicht war zufrieden. Felix: "Das schaffst Du." Und Klara schaffte es. Gehtdoch war zufrieden. Felix ließ es sich nicht nehmen, auch drunter durch zu rutschen. Rucksack zuerst. Gehtdoch strahlte.

Noch ein umgefallener Baum, schräg nach oben. Da rauf klettern? Jetzt war Gehtnicht klar: "Das geht nicht, zu gefährlich." Aber rittlings vorschieben und vorschieben: das ging doch! Bis oben hin, ziemlich wackelige Geschichte. Gehtdoch passte auf.

"Wirf uns einen Keks zu", kam es von oben. Ja, dahinten war wieder ein Tümpel zu sehen. "Das klappt nicht", dachte ich. Felix versuchte es. Drei Kekse landeten im Gestrüpp. Gehtnicht war zufrieden. Schöner Mist. "Wart mal", sagte ich. Ich hatte als einziger Schuhe und lange Hose an. "Ich hol sie." "Dorn und Brennnessel", griente Gehtnicht mich an, "das lässt Du schön bleiben!" Wo Gehtnicht recht hat, hat Gehtnicht recht. Egal. Ich da durch. "Seht Ihr einen?" Sahen sie nicht. Aber ich. Alle drei. Geht doch!

Wir wollten zum alten Feuerplatz. Der Sandweg dahin war ein echter Sandweg, sehr sehr staubig. Kolja wollte Schwarzstaubschlange spielen. War dabei, sich in den Sand zu knallen. Gehtnicht blies ins Horn: "Sofort aufstehen!" Kurzer Blick von Felix: "So eine schöne Schlange." Es stiebte und staubte, Kolja war kaum mehr zu sehen, kroch meilenweit im schwarzen Element. Zwei Spaziergänger kamen entgegen, wichen auf den Grasrand aus. "Das wird ja eine schöne Badewanne heute Abend!" Gehtnicht nickte gequält. Gehtdoch las im Schlangenbuch nach: "Schwarzstaubschlange, aha."

Die geplante Spaziergehzeit war lange vorbei. Das Abendessen war verabredet. Zu Hause, ohne mich, wegen Corona. "Wir müssen umdrehen." Aber wir wollten doch zur Ems. Gehtnicht triumphierte: "Keine Ems!" Felix telefonierte per Handy: "Wir kommen später, geht das?" "Nein, bitte lass Katharina nein sagen", hörte ich Gehtnicht. Aber:"Klar, das geht." Ja glaub ichs!

Dahinten war wunderschöner gelber Ginster. "Da will ich hin", sagte Klara. Und der Fluss? "Ha", sagte Gehtnicht, "nix Ginster." Aber eigentlich...Gehtdoch kam so gelbgold daher. Es war wirklich sehr schöner Ginster. Ich machte ein Foto: Ginsterkinder.

"Können wir barfuß durch die Wiese rennen?" "Das Gras ist hoch, die Bienen freuen sich", sagte Gehtnicht, "und die Disteln. Außerdem schmeißen die Leute auch Flaschen in die Wiese, da ist doch alles voller Scherben." Gehtnicht hatte gute Argumente. "Klar könnt Ihr", Felix war klar. Gehtdoch passte auf: kein Bienenstachel im Fuß, keine Scherbe im Fuß.

Matschböschung an der Bevermündung in die Ems. Wir standen auf der Mündungsbrücke und hielten nach Fischen Ausschau. Der Matsch zog Kolja an. Schon war er unten. "Er sollte da nicht rummachen", dachte ich, "wenn er abrutscht, gibt eine Riesenrettungsaktion. Muss ja nicht sein. Obwohl?" "Kein Obwohl!", Gehtnicht redete auf mich ein, "wenn der abrutscht!" Felix hatte die Ruhe weg. Gehtdoch grinste. Kolja, barfuß, kurze Hose: sein rechtes Bein war bis zum Knie wunderschön schlammschwarz. Gehtdoch lachte. Felix: "Da solltest Du Dir das andere Bein auch schwarz machen." Ja gehts noch? Nochmal in die abrutschige Matschböschung? Gehtnicht schrie Alarm. Aber Felix hatte Freude an dem Matschvergnügen von Kolja. Beim Einsauen des zweiten Beins rutschte er tiefer und tiefer. Gehtdoch hielt die Luft an, "Siehst Du", rülpste Gehtnicht. Kolja kam raus und war stolz auf seine schwarzen Beine. "Geht doch!" rief er.

Ratsch – die Kekspackung riss kaputt, die Kekse sausten in den Sand. "Die könnt Ihr vergessen", Gehtnicht war endlich mal dran. "Die sammeln wir ein", sagte Felix. "Die guten ins Töpfchen, die schlechten in Kröpfchen", kommentierte ich. Auf dem Sandweg blieb ein bisschen übrig. "Für die Vögel". Gehtdoch schmeckte es.

Die Verlängerungsstunde war rum. Jetzt zügig zu den Autos. Da kamen wir an eine Stelle der Bever, wo ich mit Felix und seinen Freunden früher oft war. Er war so alt wir Klara heute, und es waren immer herrliche Wasserabenteuer. Jedenfalls gingen wir erinnerungsmäßig zum Sandufer von damals, ein Ehrenbesuch. "Kann ich da mal rüber?" Klara peilte das andere Ufer an. 15 Meter weg. "Eh Leute, das Abendessen", Gehtnicht baute sich auf, "außerdem: ist es nicht Sommer, viel zu kalt, außerdem: keine Badesachen dabei, außerdem: keine Handtücher dabei, außerdem." "Eigentlich haben wir doch Zeit". Felix und ich sahen uns an und dachten an früher. Kurz mal ans Handy: "Geht, kein Problem." Gehtnicht fiel in Ohnmacht.

Es war wunderwunderschön. Beide schafften die andere Seite, das Wasser ging bis zum Bauch. Richtiges Wasservergnügen. Zum Abtrocknen gabs T-Shirts. Mehr geht nicht!