"Was stört Sie
eigentlich an der Erziehung?" Eine einfache und klare Frage. Wie
ist es mit einer einfachen und klaren Antwort? Bei einer solchen
Frage sehe ich mich sofort gefordert, die ganze erziehungsfreie
Philosophie in einen Satz zu packen. Und weiß zugleich, dass ich das
nicht kann. Das Verlassen, Überwinden der Erziehungssicht ist
halt eine komplizierte Angelegenheit, und so ein Unternehmen in einem
Satz zu fassen - geht eben nicht.
Also sage ich etwas, das sofort die nächste Frage zur Folge hat. Und dann beginnt ein Gespräch, das länger oder kürzer dauert und das die amicative Weltsicht vor Augen führt. Zum Beispiel sage ich: "Mich stört das Missionarische". Kurz und knapp. Aber klar? "Was meinen Sie damit?" Und schon geht es los. Vielleicht geht es nach Afrika zu Albert Schweitzer. Oder zum Klassenzimmer um die Ecke. Oder zum Selbstverständlichen "Sieh das ein", "Weil ich recht habe". Oder zum Fundamentalen "Weil ich Deine Mutter bin. Weil ich Dein Vater bin".
Ich mache schnell klar, was ich alles nicht meine, wenn ich gegen die Erziehung bin. Sonst wird das nichts, so ein Gespräch. "Ich kümmere mich um mein Kind. Ich bin da. Ich helfe, tröste, erkläre, spiele. Ich bin Orientierung. Überlasse mein Kind nicht sich selbst. Ich bin nicht antiautoritär." Ich mache deutlich, dass ich alles das mache, was ein normaler Vater auch macht, dass ich den Alltag mit den Kindern realistisch sehe und nicht irgendwie ideologisch verbräme. "Aber dann erziehen Sie doch." Schon wieder so eine klare Ansage.
"Es sieht so aus – aber es ist ganz anders." Mehr Verwirrung geht nicht. Was soll das heißen? Erziehen - und doch nicht erziehen, oder was? Jetzt wird es mühsam. Jetzt kommt die Sache mit den zwei Dimensionen. Dass wir – erstens – in der physikalischen Welt, der Welt des Anfassens und Handelns, der Welt der Dinge unterwegs sind. Und dass wir – zweitens – in der psychologischen Welt, der Welt des Unsichtbaren, des Bewertens und der Gefühle unterwegs sind, auch unterwegs sind. In beiden Welten gleichzeitig. Dass wir bei allem, was wir tun, immer auch etwas fühlen.
Die Welt der Gefühle, Interpretationen, Einstellungen lebt in uns. Und dort, im Unsichtbaren, aber sehr wohl Vorhandenem, im real existierenden Unsichtbaren, da sind die Menschen entweder per Erziehung unterwegs oder eben nicht. Das unsichtbare Element der Erziehung muss man nicht in sich tragen. Ich jedenfalls habe es nicht in mir. Und ich rede davon, dass niemand das in sich haben muss. Und dass ich es für ungut und gefährlich halte.
Und dass ich mich aufgerufen fühle, dieses erzieherische Element, dieses psychische gefährliche Elementarteilchen, in der Welt zu verringern. So wie Ärzte die Pockenviren bekämpfen, auf dass sie in keinem Menschen mehr leben und ihre destruktive Wirkung entfalten. Pocken ausrotten: ein großes Ziel, Mission accomplished (1980). Erziehung ausrotten: ein großes Ziel, Mission impossible (2022 ...). Aber: Ich arbeite dran.
Jetzt muss ich klarmachen, was ich denn für das - gefährliche - erzieherische Element halte. Ich lege los: Es geht um eine Haltung, Einstellung, Grundgefühl. Wie dies deutlich machen?
Fortsetzung im nächsten
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