Montag, 5. Oktober 2020

Schoko und Vanille II

 


In einer Zeitschrift * las ich zum Thema Antidiskriminierungsarbeit die Überschrift eines Interviews: „Wir wurden alle rassistisch sozialisiert“, und die Unterzeile endete mit „ – und was ist mit uns ganz persönlich?“ Mir fielen sofort die Zehn kleinen Negerlein, Negerküsse und der Mohrenkopf ein. Aber das kam hier doch wuchtig gesellschaftlich daher:

Diskriminierung gibt es bei Polizei, Justiz und Standesämtern, im Bildungs- oder Freizeitbereich oder auf dem Wohnungsmarkt: Hier brauchen wir uns nichts vorzumachen – das ist auch Alltag hier bei uns in NRW, da muss dringend etwas passieren. Wichtig sind hier nicht nur unabhängige Beschwerde-stellen, sondern etwa auch eine rassismussensible Aus- und Weiterbildung von Landesbediensteten oder die Entwicklung von Diversitätskonzepten in der Verwaltung, auf dem Wohnungsmarkt, im Bildungsbereich oder bei Gewerbetreibenden wie Clubs oder Fitnessstudios. Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen: Rassistische Erfahrungen gehören für viele Menschen zum Alltag. Rassismus ist in Deutschland gesellschaftlich tief verankert.“ **

Beim Stichwort „Bildungsbereich“ hat es bei mir Klick gemacht und ich habe das ganze Szenario übertragen auf „Wir wurden alle adultistisch sozialisiert.“ Ich habe das Wort und den Inhalt „Neger“ auf das Wort und den Inhalt „Kinder“ übertragen. Es sind Menschen – keine Neger. Es sind Menschen – keine Kinder. Es sind People of Color, es sind junge Menschen. Die ganze Diversitätsdebatte zeigt die verschiedensten Ecken und Winkel, Blickwinkel, in denen Menschen auf gleichwertige Beachtung und Behandlung warten. Junge Menschen sind da eine Gruppe von vielen, die nicht aus ihrer eigenen Welt heraus wahrgenommen werden. Sondern aus der Welt und der Sicht und dem Handlungsgeschehen der Anderen, aus den Fremdzuschreibungen der Erwachsenen-Dominanzgesellschaft. Was Adultismus genannt wird und was ich seit 1980 in meinen Publikationen so benannt habe.

Im Forschungsprojekt meiner Doktorarbeit hatte ich mich zu den Jungen Menschen aufgemacht, jenseits adultistischer Positionen und Befindlichkeiten. Ich bin diesen Menschen in ihrer eigenen Weltsicht und ihrer eigenen Identität begegnet und habe mit ihnen so gelebt. Wie ein Weißer das heute mit einem Schwarzen hinbekommen kann, wenn und soweit er sich vom eingeimpften, sozialisierten Rassismus löst, zu lösen beginnt. Wenn er darum weiß und sich auf neue Begegnungspfade begibt.

Ich nehme das Statement von Frau Valdés mal als Vorlage. Mein Interwiew-Statement geht dann so:

Adultistische Diskriminierung gibt es überall, im familiären Bereich, im Bildungs- und Freizeitbereich, bei Polizei, Justiz und Standesämtern oder auf dem Wohnungsmarkt. Hier brauchen wir uns nichts vorzumachen – das ist Alltag, da muss dringend etwas passieren. Wichtig sind hier nicht nur adultismusfreie Fakultäten und Lehrstühle an den Hochschulen und entsprechende Forschungen, sondern auch Adultismus-Beschwerdestellen und Adultismus-Beauftragte in Stadt, Land und Bund. Ebenso brauchen wir eine adultismussensible Aus- und Weiterbildung aller Fachkräfte in Kindergarten, Schule und Verwaltung, eingebettet in die Entwicklung von Diversitätskonzepten im Kommunikations- und Handlungsbereich von erwachsenen und jungen Menschen. Auch wenn wir es nicht wahrhaben – oder nicht wahrhaben können: Adultistische Erfahrungen gehören für junge Menschen zum Alltag. Adultismus ist in Deutschland gesellschaftlich tief verankert.“

Adultismus ist ein strukturelles Problem, schon klar – aber auch etwas ganz Persönliches. 

Martínes Valdés: "Wir müssen bei uns selber anfangen! ... Auch wenn wir es uns nicht gerne eingestehen: Wir selber sind wenn auch oft unbewusst ein Teil der Reproduktion von Rassismen und Diskriminierungen, beispielsweise durch Sprache." ***

Dazu kann jeder einmal in sich hineinhorchen. Und meinen letzten Post "Schoko und Vanille" lesen.


* Forum, Zeitschrift des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes NRW, Nr. 3/2020, Seite 4

** Carmen Martínez Valdés, Der Paritätische NRW, Fachgruppenleiterin Migration, Frauen, Psychosoziale Beratung und LSBT*, aaO 

*** ebd, Seite 5