"Ich liebe mich so wie ich bin" - das ist eine stolze Vorgabe. Wer will das nicht? Gelernt haben wir in unserer Kindheit anderes, natürlich: Wir sollten ja erst Menschen werden, an uns arbeiten, Fehler verbessern usw. usw. Die Sache mit der Selbstliebe stößt das alles um, eröffnet eine andere Sicht auf sich selbst. Und wenn man es dann für möglich, für gestattet, für moralisch, für erstrebenswert hält, sich selbst zu lieben, wie immer man gerade ist - wenn man es nicht für überspannt, abgedreht, utopisch, lebensfremd hält: dann ist man auf einmal im Wort, sich selbst gegenüber. Sich nun lieben zu dürfen, zu können, zu sollen. Nichts Schlimmes gibt es mehr in mir. Alles ist irgendwie o.k., und auch das, was eigentlich nicht o.k. ist, ist es dann doch, auf wundersame Weise, eben weil ich an mich glauben kann, an mich glaube.
Man spürt das Dilemma, das in diesen Überlegungen steckt. Wunsch und Wirklichkeit, Dichtung und Wahrheit. Wie kann man mit dem "Ich liebe mich so wie ich bin" umgehen? Ein Hauch im Wind? Eine von vielen Möglichkeiten meiner selbst? Eine Verpflichtung mir gegenüber? Eine neue Norm? Befreiung? Oder nur neue Last?
Die Selbstliebe wird in der postmodernen Welt, aus der sie kommt, nicht über den Selbsthass gestellt. Alle Wesen, Erscheinungen, Dinge, was immer, sind gleichwertig. Das Bild der großen Ebene ohne Oben-Unten, nur Weite, Raum für unendlich viele Wesen, Erscheinungen, Dinge, was immer: stets von gleichem Rang. Selbstliebe ist ein seelisch Ding, eins von vielen. Nicht besser als andere, nicht schlechter. Nicht besser als Selbsthass, nicht schlechter.
Wegen dieser grundlegenden Gleichwertigkeit entlastet die Selbstliebe alle, die sich gerade/länger/immer nicht selbst lieben: Sie müssen nicht besser werden. Sie müssen nicht den Selbsthass, die dunkle Seite ihres Selbst zurücklassen. Sie müssen nicht glücklich sein.
Alles an uns, alles! ist Teil von uns. Es gibt keine wirklich Rangfolge. Es gibt unzählige Bewohner des Landes, das wir sind. Alle Bewohner - die hellen und die dunklen, die starken und die schwachen, die weißen und die schwarzen - haben ihre Geschichte, sind in uns gewachsen, geworden, sie sind da. Wir sind vielschichtige Wesen, und die Idee, man müsse etliches rauswerfen, entrümpeln, revolutionieren, ist zwar eine bekannte und lang erlernte Idee ("Du musst an Dir arbeiten, besser werden"). Aber diese Idee - die ja auch in uns wohnt - verhext uns nicht länger, hat keine Macht mehr, uns den Weg zu weisen: "Jetzt musst Du aber die dunklen Seiten in Dir überwinden, auf zur Selbstliebe".
Wir sind der Chef unseres Lebens. Nichts hat in Wahrheit Macht über uns. "Ich liebe mich so wie ich bin" steht nicht über mir. Es ist eine Tür, durch die ich gehen kann. Dieses Zelt steht auch in meinem Land, das Selbstliebe-Tipi, und wann und wie lange ich mich darin aufhalte, wird sich zeigen.
Ich sage also jemandem, der das mit der Selbstliebe gern hinbekommen möchte:
"Lass Dich in Ruhe. So, wie du bist, ist es o.k.."
"Und die dunklen Seiten an mir?"
"Sie sind ein Teil von dir."
"Aber mein Selbsthass, meine Zweifel an mir, mein Mißtrauen gegen mich, all das ängstig mich und verhindert, dass ich mich lieben kann!"
"Ja - so ist es".
"Aber das soll verschwinden!" "
"Wünsche sind nicht verboten. Auch Stress ist nicht verboten. Wenn Dir Dein Wunsch zum Stress gegen Dich selbst wird: kannst Du machen. Aber: es ist nicht nötig! Du kannst auch Deinen Wünschen zuwinken, Du kannst ihnen sagen, dass auch sie nicht das Recht haben, über Deine Kräfte hinaus in Dir zu wohnen. Du muss Dich auch von Deinen Wünschen nicht beherrschen lassen."
Morgen gehts weiter an der Stelle!