Wer beim Fußballspielen gegen die Regeln verstößt, bekommt schließlich die Rote Karte. Die Rote Karte hat etwas mit Grenzen, Regeln, Strafe, Unterordnung, Einsicht, Sinn, Würde, Achtung zu tun. Ein weites Feld! Was läßt sich vom Fußballspielen und der Roten Karte auf das Zusammensein mit Kindern übertragen?
Wer stellt die Regeln für die Kinder auf? Wir Erwachsene. Was sind das für Regeln? Sie sind das Ergebnis unserer Erfahrung, unseres Wissens, unserer Ängste, unseres Muts, unserer großen und kleinen Befindlichkeiten. Die Regeln, die wir den Kindern vorsetzen, sind immer unsere Regeln. Sie sind wichtig, damit wir im Zusammensein mit den Kindern nicht aus dem Gleichgewicht geraten. Sie schützen uns. Und viele Regeln schützen auch unsere Kinder. Vor Folgen, die sie nicht überblicken. Vor Folgen, die ihnen selbst oder anderen schaden können. Wie wir meinen. Wir Erwachsene bestimmen die Regeln.
Die Kinder kennen die jeweiligen Regeln. Bei Mutter so, bei Vater so, bei Oma so, bei Lehrer Müller so. Viele sind gleich, viele sind anders. Sei's drum: die Kinder wissen Bescheid.
Wenn sich mein Kind nicht an meine Regeln hält, was dann? Ich möchte meinen Regelfrieden wiederherstellen. Meine Regel hat etwas mit meiner Grenze zu tun. Mein Schild: "Bis hierher und nicht weiter" wurde nicht beachtet. Wenn mir das zuviel ist, muss ich etwas gegen diese Grenzverletzung tun. Wenn ich nichts tue, wird sich mein Kind in einem Bezirk aufhalten, wo es - für mich, meine Weltsicht, Identität - nichts zu suchen hat. Ich werde diese Grenzverletzung heilen, damit ich daran nicht krank werde. Meine Regel wurde verletzt, aber sie soll weiterhin gelten. Eine Regelverletzung läßt sich rückgängig machen. Wirklich? Besser: Sie läßt sich heilen. Aber wie?
Im Fußball durch die Rote Karte. Auszeit. Im Alltag mit Kindern durch - durch was? Was sind unsere Roten Karten für die Kinder, wenn sie unsere Regeln verletzen?
Ein Kind wirft mit Steinchen, ärgert den Bruder, bleibt nicht an der Kreuzung stehen, ach, tausend Situationen. Die Kinder tun nicht, was sie sollen. Regelverstoß - Rote Karte. Nur: Welche Karte funktioniert wirklich? Was ist die Zauberkarte? Ich weiß das natürlich auch nicht. Jeder hat da seine eigenen Erfahrungen, und es ist auch bei allen Roten Karten so, dass sie etwas aus der jeweiligen Beziehung zwischen mir und meinem Kind sind. Und was in der einen Familie funktioniert, ist in der anderen völlig unangemessen.
Ich weiß aber, was alle Karten verdirbt, was nur noch mehr Unfrieden schafft. Es ist das freundliche oder ärgerliche "Ich habe recht" und das gutgemeinte oder missionarische "Sieh das ein". Ganz zu schweigen von dem unakzeptablen "Du bist böse/schlecht/unverschämt/dämlich ..." Es ist die Haltung, der Bessere zu sein, und die Kinder hätten aber doch dies und das bittesehr zu tun. Rote Karten mit gutgemeinter oder nicht gutgemeinter Herabsetzung sind etwas anderes als Rote Karten ohne Herabsetzung. Wenn schon Rote Karten, dann mit Respekt und Achtung. Wie beim Fußball.
Die Rote Karte wird das Verhalten der Kinder beim nächsten Mal kaum ändern können. Nicht die Rote Karte! Die Rote Karte ist etwas für jetzt, für die Heilung der Verletzung. Für das Wiederherstellen meines Regelwerks und meiner benötigten Achtung. Anders beim nächsten Mal wird es erst, wenn die Kinder das selbst wollen. Sie kennen alle Zusammenhänge, die Regeln sind bekannt. Auch die Roten Karten, die im Fall des Falles ins Haus stehen. Doch wie sie damit, mit meinen Regeln umgehen? Steinchenwerfen ist doch super! Wozu sind Steinchen denn da? Das Auge, das in Gefahr ist: Das wird erst dann geschützt, wenn die Idee von Schützen und Achten in der gesamten Beziehung lebt.
Es kann aber auch etwas anderes gelingen: Die Stoppschilder der Kinder sehen und - beachten. Es gibt gute und ungute Varianten, erkennbar am Ton, ablesbar im Gesicht. "Nein", "Will nicht", "Laß mich", "Mama!", "Papa!" Und immer haben wir die Möglichkeit, zu verstehen, ihre Grenzen zu sehen und zu achten. Die Kinder zeigen ihre Stoppschilder, unmißverständlich eigentlich. Man kann um diese Dinge wissen und, ohne Streß, daran denken und vielleicht, ohne Streß, ab und zu oder auch öfter mal halt machen. Sich selbst die Rote Karte verpassen, augenzwinkernd, aber wirksam.