Donnerstag, 27. Oktober 2016

Wahlbürger Kind



Deutsches Kindermanifest, Artkel 7

Kinder haben das aktive und passive Wahlrecht


Wie einst Männer, Frauen und Schwarze von der politischen Macht ferngehalten wurden, so geschieht es heute noch mit den jungen Menschen. Mit dem Wahlrecht für Kinder wird kein neues Recht gefordert, das die Erwachsenen den Kindern geben. Dieses Recht ist von niemandem zu geben. Es ist unabhängig davon längst da, es kommt jedem von Geburt an zu. Aber andere können die Ausübung dieses Rechts behindern. Und genau dies geschieht mit Kindern durch das Grundgesetz in Artikel 38 Absatz 2: "Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat." Dies ist zu ändern!

Die Erwachsenen erkämpften sich die Macht mit revolutionärer Gewalt oder mit ökonomischen Druck. Kinder haben diese Mittel nicht, doch existiert für sie eine andere Möglichkeit: Sie können die Herzen der Mächtigen gewinnen. Diese Revolution kann nur aus dem demokratischen Gefühl der Erwachsenen kommen, aus ihrem Wunsch und ihrem Verlangen, dass Recht und Freiheit und politische Selbstbestimmung auch für ihre Kinder gelten sollen. Der demokratische Gedanke wird von einer wichtigen emotionalen Komponente begleitet: Er muß auch gefühlt werden. Auch Demokratie muß gefühlt werden. Die Revolutionen sind nicht nur mit dem Bewußtsein von der Unterdrückung und dem Widerstand dagegen, sondern auch mit dem Gefühl für Recht und Freiheit erfolgt. Nur wer daran leidet, dass Kinder in einer Diktatur gefangen gehalten werden, wird dies beenden können und wollen.

Die Unfähigkeit zum Frieden hat ihre Wurzeln auch in der Kindheitserfahrung, gegen die absolute Macht der Erwachsenen kein Recht setzen zu können, in einer Diktatur der Erwachsenen zu leben. Wenn erst mit achtzehn Jahren Demokratie erlebt wird, hat sich die Ohmachtserfahrung der Rechtlosigkeit längst festgesetzt. Und dass sich Ohnmacht nicht mit Recht, sondern nur mit Gegenunterdrückung aufheben läßt.

Es ist nicht notwendig, etwas von Politik zu verstehen, wenn es um das Selbstbestimmungsrecht und das Wahlalter geht. Die Bürger entrissen dem König die Macht nicht deswegen, weil sie nachweisen konnten, dass sie mehr von Politik verstehen als er, sondern weil sie über ihr politisches Schicksal selbst bestimmen wollten. Die Legitimation kommt nicht aus dem besseren Verständnis von Politik oder aus irgendeiner Unterweisung in gesellschaftliche Zusammenhänge, sondern aus der demokratischen Idee: Dass die Macht nicht für einen oder wenige reserviert ist, sondern dass alle Anteil an der Macht haben - alle ohne jegliche Einschränkung. Die Forderung, Kinder müßten etwas von Politik verstehen, ehe sie wählen können, und 18 Jahre oder vielleicht 16 Jahre wäre da die äußerste Grenze, ist eine zutiefst undemokratische Position. Diese Forderung trägt diktatorische Züge, das Verlangen nach Herrschaft und Unterordnung ist offensichtlich. Das "Davon verstehst Du nichts" ist ein Abwehrargument, um die Macht nicht zu teilen.

"Das ist doch lächerlich. Jetzt sollen schon Wickelkinder wählen!" Neben ernsthaften Einwänden gibt es auch Unverständnis und Diffamierung. Man kann dies als töricht abtun. Aber man kann auch gelassen reagieren und Kritikern ohne Aufregung entgegenhalten, dass sie dem Sinn nach dem uneingeschränkten Wahlrecht für Kinder einmal nachspüren und sachliche Fragen stellen können. Ungute Gefühle, die durch die Forderung nach dem Wahlrecht für Kinder ausgelöst werden, lassen sich kaum argumentativ ausräumen. Es ist sinnvoller, sie als emotionale Realität anzuerkennen. Es kommt auch nicht darauf an, Einwände und Bedenken kleinzureden und wegzudiskutieren, sondern sie aus der eigenen Position heraus zu beantworten.

"Wie bitte -Wahlalter Null?" Wenn Säuglinge und Kleinkinder nicht zur Wahl gehen, ist das kein Grund zur Diffamierung der Forderung, die Wahlaltersdiskriminierung abzuschaffen. Die Selbstverständlichkeit, dass Säuglinge und Kleinkinder sich wahrlich nicht mit politischen Dingen beschäftigen, muss nicht in den Perfektionismus münden, die "wirkliche" Altersgrenze für das Wahlrecht neu zu definieren. Niemandem schadet es, wenn die untere Altersgrenze nicht gezogen wird. Und ist es so schwer zu erkennen, dass es nicht darum geht, mit dem Wahlrecht für Kinder die Wirklichkeit abenteuerlich zu verbiegen, sondern nur darum, jedem ohne Einschränkung die politische Selbstbestimmung offenzuhalten, wann immer er von diesem Menschenrecht Gebrauch machen will?

Politische Entscheidungen werden immer auch mit Blick auf die Wähler getroffen. Wie reagieren die Wähler, die unter 18 Jahre alt sind? Diese Frage ist gänzlich neu, und erst sie führt dazu, Kinder tatsächlich ernstzunehmen und bei den politischen Entscheidungen überhaupt zu berücksichtigen. Nicht aus Großzügigkeit, sondern aus Notwendigkeit. Es gibt in Deutschland 13 Millionen Menschen unter 18 Jahren. Selbst wenn nur 20 Prozent zur Wahl gehen sollten, sind das noch gut zweieinhalb Millionen Stimmen. Daran kommt kein Politiker vorbei. Die Kinder haben jetzt Macht - gesellschaftliche, politische Macht. Allein ihre Stimmzettel verleihen ihnen dieses Gewicht. Es ist durch nichts zu ersetzen. Großzügigkeit und Freundlichkeit können jederzeit widerrufen werden. Gegen die Macht, die aus den Stimmzetteln kommt, gibt es jedoch kein Mittel.

Wenn Kinder politisch gleichwertig sind und einige Male an Wahlen teilgenommen haben, wird man ihnen mit einer anderen Achtung begegnen. Im Einkaufszentrum, im Bus, im Schwimmbad erlebt man dann nicht unmündige Kinder, sondern Wahlbürger. Wahlbürger Kind. Von der psychologischen Aufwertung für die Kinder selbst ganz abgesehen. "Ich bin nicht unwichtig - ich bin wichtig. Ich entscheide mit. Meine Stimme zählt."

Die Politiker werden bemerken, dass die Pädagogik die Kinder unrealistisch sieht. Sie werden erkennen, dass Kinder bereits vollwertige Menschen sind und nicht erst dazu gemacht werden müssen. Die gesamte Forschung wird neu konzipiert, denn wer die Realität des Kindes tatsächlich erfasst, hat das erfolgreichere Wahlprogramm und gewinnt die Wahl. Nicht mehr pädagogische Lehren werden die Beziehungen zu Kindern bestimmen, sondern die Kinder selbst werden die Erwachsenen lehren, wie sie die Kinder richtig ansprechen können und wie Kinder ihre Beziehungen mit den Erwachsenen gestalten wollen. Die Erwachsenen werden ebenso ihre Vorstellungen hierzu einbringen, es gibt ein neues Miteinander auf gleicher Augenhöhe. Wer dem nicht folgt, verliert seinen gesellschaftlichen Einfluß - denn die Konkurrenz, die sich auf diese Realität einstellt, gewinnt die Wahl. Die neuen Machtverhältnisse sehen die Kinder als Machtpartner, gleichberechtigt neben den anderen Gruppen der Gesellschaft. Die politische Emanzipation bewirkt unaufhaltsam die Gleichwertigkeit auch in den menschlichen Beziehungen.

Richard Farson in "Birthrights":
"Wir sind stolz darauf, dass vorangegangene Generationen einsichtig genug waren, das Wahlrecht nicht von Besitz, Bildung, Wissen, Rasse, Geschlecht oder Vermögen abhängig zu machen. Wir berauben einen Menschen, der das Greisenalter erreicht hat, nicht dieses Rechts, ebensowenig wie wir irgendeinen der Millionen - nicht in Krankenhäusern erfassten oder behandelten - Alkoholiker, Neurotiker, Psychopathen oder Fanatiker der verschiedensten Richtungen davon ausschließen. Aber das Kind schließen wir aus." (R. Farson, Birthrights: A Bill of Rights for Children, USA 1974)

Die Kinder erinnern die Erwachsenen an ihre eigene Kindheit und an die Ohnmacht dieser Zeit. Erwachsene können sich heute wie die Geschwister ihrer Kinder sehen, die Fraternité der Französischen Revolution wird als Geschwisterlichkeit zu einer neuen Kraft. Wer mit diesem veränderten Bewußtsein seinen Kindern in die Augen sieht, erkennt ihren Anspruch auf Selbstbestimmung und Teilhabe an der Macht.

Die Erwachsenen haben mit Wahlgesetzen dafür zu sorgen, dass ein Kind auch tatsächlich von seinem Wahlrecht Gebrauch machen kann, wenn es das will. Dass Kinder den uneingeschränkten Zugang zu Wahlveranstaltungen haben wie Erwachsene. Dass sie an die gewünschten Informationen herankommen. Dass Eltern sich dem politischen Engagement der Kinder nicht in den Weg stellen. Dass Kinder in einer druck- und angstfreien Atmoshäre wählen können. Dass niemand sie daran hindert, wenn sie zum Wahllokal gehen wollen.

Das alles sind große Aufgaben und Pflichten, und es wird erheblicher Anstrengungen der Erwachsenen bedürfen, bis die Demokratie auch für Kinder Realität ist. Und dies geht bis in die Details: Dass die Schreibpulte in den Wahlkabinen sowohl für große als auch für kleine Menschen geeignet sind. Dass jemand, der noch nicht lesen kann, eindeutige Symbole auf den Wahlzetteln vorfindet. Dass die Wahlurnen so niedrig aufgestellt werden, dass ein Kind seinen Wahlschein ohne Mühe hineinwerfen kann...

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Sehr ausführlich dargestellt habe ich die gesamte Thematik in meiner Broschüre "Kinder in der  Demokratie: Politische Emanzipation - Deutsches Kindermanifest - Wahlrecht für Kinder", bei mir zu beziehen für 3.-