Sonntag, 21. Mai 2017

Ich muss gar nichts!


















"Ich muss gar nichts!". Ich bin grad aufgestanden, berappel mich im Badezimmer,
das Fenster ist offen. Mit halbem Ohr höre ich die Nachbarskinder draußen, drei
sinds, 4 bis 6 Jahre. Dann bin ich auf einmal hellwach: "Ich muss gar nichts!" -
klare Botschaft der Fünfjährigen.

Ihre Stimme verlässt ihr Spiel und kommt zu mir. Ja glaub ichs? Wie sehr bei
sich ist denn dieses Kind? Welch abenteuerliches Statement, welch bom-
bastische Würde, welche überzeugte Gewichtigkeit. Ich bin fasziniert und
angerührt. Ich wasche mein Gesicht mit Kaltwasser, bin erfrischt und staune
über die Welt. Diese Kinderwelt. Diesen jungen Menschen.

Und lege etwas nach. Ich muss ja wirklich gar nichts. Wenn man den Sinn
dieses Würdestatements nicht konterkariert. Gleich zum Extrem: Muss ich
sterben? Das passt nicht. Dem Tod kann ich nicht ausweichen, er ist eine
Selbstverständlichkeit, die ohne Müssen daherkommt. "Ich bin", sagt er,
nicht "Du musst". "Ja", werde ich dann sagen und ihm folgen. Nicht weil
ich müsste: Ich muss gar nichts.

Natürlich tue ich immer wieder Dinge, die ich eigentlich nicht tun will.
"Eigentlich". Ich tue sie aber, schon klar: nicht weil ich müsste, sondern
weil ich will, letztlich. Nichts geht ohne mich.

Und wenn mich jemand zwingt? 1001 Beispiele sind sofort da. Trotzdem:
Ich muss nichts, müssen passt hier nicht. Wenn es gegen meinen Willen
geht, dann werde ich halt gezwungen. Aber ich muss das nicht tun, was
da gefordert wird. Es ist beim Gezwungenwerden keine Ich-Aktion,
sondern eine Du-Aktion, Zwing-Aktion. Wie auch immer.

Wenn ich also nicht sterben MUSS, nicht rechts ranfahren MUSS, nicht
Ballwerfen MUSS. Dann fühlt sich das nach herrlichem Frühlingsmorgen
an, Kaltwasserlächeln, Würdekrone. Welch Geschenk heute morgen!