Samstag, 20. Mai 2017

Kindheitsgefühle II




Fortsetzung des Posts vom 19.5.

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Jeder Erwachsene, der uns damals seinen Willen aufnötigte -
und wohl noch Dankbarkeitdafür erwartete - tat uns weh,
trieb uns in immer neue Schlupfwinkel, zerbrach etwas in
uns. Wir können heute die Wut und den Schmerz von damals
nehmen, um unseren Kindern nicht Gleiches zuzufügen.

Und wir können auf das Kind in uns zugehen, auf die
Hoffnungen, die Sprachlosigkeit, das Leid von damals. Auch
heute kennen unsere Kinder das Leid und die Tränen um
sich selbst und die Missachtungen genau wie wir - schon von
daher sind wir gleich.

Damals, als Kinder, hatten wir recht! Damals verteidigten wir
unsere Menschenwürde! Wenn wir heute das Weinen um uns
selbst befreien können, wenn wir heute die so tief vergrabe-
ne Kindheitswut aufsteigen lassen und wieder spüren kön-
nen, wenn wir uns nicht mehr schämen, die langgestauten
Tränen endlich strömen zu lassen - die Tränen des hilflosen
Kindes, das in jedem von uns noch heute darauf wartet,
anerkannt und ernstgenommen zu werden -,  öffnen wir
uns den Weg, wieder fühlen zu können, wo Recht und Un-
recht ist. Heute können wir nicht nur mit dem Verstand
einsehen, was not tut, sondern wir können dies auch wieder
mit dem Herzen erkennen.

Wir brauchen das Gefühl - machtvolle, tief anrührende
und erlösende Emotionen - um unsere Menschlichkeit von
den Fesseln des althergebrachten Denkens zu befreien.
Feuer wurde sorgfältig eingeschlossen, als wir jung und
hilflos waren. Setzen wir es dennoch frei! Kinder sind voll-
wertige Menschen von Geburt an - sie werden nicht erst
durch die Erziehung zu Menschen.

Wir selbst, Kinder gewesen, wissen und fühlen dies. Wer
kann es wirklich wagen, das zu bestreiten? Heute, als Er-
wachsene, sind wir stark genug, jeden nachdrücklich und
selbstbewusst zurückzuweisen, der einem Kind die Fähigkeit
und das Recht abspricht, über sich selbst zu bestimmen und
für sich selbstverantwortlich zu sein. Wir haben diese con-
ditio humana als Grundlage unserer Existenz selbst erfahren.
Nehmen wir unsere heutige Kraft und Überlegenheit, um
unsere eigenen Kinder zu schützen!