Donnerstag, 25. Mai 2017

Psychosoziale Macht


















Die Erkenntnis, dass die Verantwortung für das, was sich
psychisch in einem Menschen ereignet, bei diesem selbst
liegt, bedeutet neben vielem anderen auch, dass niemand
wirklich psychisch gezwungen werden kann, zu nichts. Wie
man die Welt und ihre Erscheinungen deutet, bewertet und
gewichtet, ist einzig die Sache des einzelnen. Ob ein Frei-
heitskämpfer dem Exekutionskommando entgegenruft "Es
lebe die Revolution!" oder ob er apathisch und demoralisiert
auf das Ende wartet - das ist seine Sache, seine Verantwor-
tung für sich.

Eine Kultur, die Herrschaft zur Grundlage hat, muss den
Menschen diese gesellschaftlich hochwirksame Potenz neh-
men. Denn nur der ist beherrschbar, der dem Beherrscht-
werden auch zustimmt, der sich auch unterwerfen will. Es
gibt immer gute Gründe, lieber seinen Nacken zu beugen als
sich den Kopf abschlagen zu lassen - aber ein jeder hat
tatsächlich die Wahl zu leben oder zu sterben, jeden Augen-
blick. Es ist immer die Frage, wo man für sich den größeren
Vorteil erkennt. Hierüber trifft man selbst die Entscheidung,
niemand sonst.

Es ist leicht, Menschen zu beherrschen, die das Gefühl für
ihre Selbstverantwortung verloren haben, die daran gewöhnt
sind, andere für ihr Schicksal verantwortlich zu machen: die
Eltern, die Gesellschaft, die Verhältnisse. Das Wiederfınden
der Selbstverantwortung bedeutet im gesellschaftlichen Bereich
das Wiederfinden der psychosozialen Macht des einzelnen. Es
ist dies eine Macht, die durch nichts wirklich ausgehebelt werden
kann und die jedem, der herrschen will, seine Grenze zeigt.