Mittwoch, 28. Juni 2017

Psychodivergenz



















Gefühle begleiten das Tun. Emotionalität lebt in den Menschen 
und in ihren Beziehungen. Die Wirklichkeit enthält für den
Menschen neben der physikalischen immer auch eine psy-
chologische Dimension. Die Reduzierung der Wirklichkeit
auf Fakten und Dinge mag in der Naturwissenschaft und in
der Welt der Gegenstände korrekt sein, nicht aber bei
menschlichem Tun.

Der eine fällt hin (Tun) – und ärgert sich über sein Missge-
schick (Gefühl). Der andere fällt hin (Tun) – und freut sich,
dass er nicht verletzt ist (Gefühl).

Der Unterschied zwischen amicativem und pädagogischem
Sinn liegt in der Gefühlsebene, der inneren Einstellung –
nicht jedoch in der Handlungsebene, wie immer wieder
missverstanden wird. Von außen gesehen kann ein amica-
tiver Mensch genau das gleiche tun wie ein pädagogischer
Mensch. Das ist verwirrend und nur schwer zu verstehen.
Immer wieder wird nach konkreten Verhaltensunterschieden
gesucht, woran man doch den Unterschied der beiden Auf-
fassungen und Lebensarten erkennen müsse. Doch dieser
Unterschied ist nicht äußerlich fassbar, er ist psychischer
Art. Er ist unsichtbar, denn Gefühle kann man nicht sehen.

Aber Gefühle entziehen sich nicht der Wahrnehmung: man
kann sie spüren. Mit der eigenen Emotionalität lassen sich
die Gefühle der anderen wahrnehmen. Man kann die Ge-
lassenheit des anderen spüren, oder seinen Stress, seine
Sympathie oder Antipathie. Man kann merken, ob das, was
jemand tut, freudig, gelangweilt oder mit Ärger getan wird.
Das Miteinander ist stets von Emotionen umgeben, was
immer im Bereich der Dinge auch geschehen mag.

Wer als innere Grundposition fühlt »Ich bin für andere
(Kinder) verantwortlich«, wird von diesem Gefühl beglei-
tet. Sein Verantwortungsgefühl lässt sich nicht abschalten,
es gehört zu ihm, und es lässt sich von den anderen wah-
rnehmen.

Für jemanden, der sich selbstverantwortlich fühlt, wird das
vom anderen kommende »Ich bin für Dich verantwortlich«
nach amicativer Auffassung als eine unzulässige Einmischung
in seine eigene Selbstverantwortung wahrgenommen. Kinder
spüren das Verantwortungsgefühl der Erwachsenen, und die
Amication erkennt, dass die Kinder es als psychische Aggres-
sion erleben. Ein amicativer Mensch hingegen hat nichts von
diesem Verantwortungsgefühl in sich, mithin umgibt ihn auch
nicht der im »Ich bin für Dich verantwortlich« enthaltene see-
lische Angriff.

Gleiches äußeres Verhalten wird von verschiedenen Emotionen
umgeben. Entweder ist das Verantwortungsgefühl (neben viel-
fältigen anderen Gefühlen) dabei und entfaltet seine negative
Wirkung – oder es ist nicht dabei und die Folgen einer solchen
psychischen Aggression bleiben aus.