Sonntag, 11. Juni 2017
Amication leben, Christiane
Als ich zum ersten Mal etwas von Amication hörte, waren unsere
4 Kinder schon ziemlich groß (10, 16, 19 und 21 Jahre alt). Ich
hatte also schon einige Jahre Zeit gehabt, von ihnen zu lemen,
und so waren mir diese Ideen gar nicht mehr so fremd. Aber
zwischen dem, was ich erfahren und eingesehen hatte, und dem,
was ich in meinem alltäglichen Leben tat, bestand noch immer
ein großer Unterschied. Und das gefiel mir nicht.
Also fing ich - sozusagen von heute auf morgen - damit an, mit allen
Erziehungsmethoden Schluss zu machen, auch wenn sie mir noch so
taktisch klug und nützlich vorkamen. Anfangs tat ich es einfach nur,
weil es mir gut tat, endlich wieder echt und unverstellt sein zu
können und nicht mehr überlegen zu müssen, ob das, was ich
spontan empfand, erzieherisch richtig oder falsch war. Erst später
merkte ich, dass das auch meinen Kindern gut tat.
Sie wurden jetzt zwar nicht mehr erzogen, aber sie hatten dadurch
unvergleichlich viel mehr Möglichkeiten, menschliche, d. h. soziale
Erfahrungen zu machen. Und es war deutlich zu sehen, dass sie
dadurch, dass sie mehr Gelegenheit hatten, ihre Fähigkeiten zu
erproben, diese auch besser einzuschätzen lemten. Sie wurden
einerseits selbstbewusster, überschätzten sich andererseits aber
auch nicht mehr so häufig. Und so kam es, dass sie trotz wesentlich
größerer Freiheit weniger oft in Gefahr gerieten.
Sie waren auch gegenüber Anregung und Rat aufgeschlossener als
früher, vielleicht, weil sie keine Angst mehr zu haben brauchten,
dass sie damit in irgendeine Richtung gedrängt werden sollten. Ich
hatte endlich mein altes Vertrauen wiedergefunden, dass jedes Kind,
wenn es von Menschen umgeben ist, die ihm Wärme und Aufmerk-
samkeit entgegenbringen, sich zu einemvertrauenswürdigen und
sozialen Menschen entwickelt und nicht erst dazu gemacht werden
muss. Mein Leben mit den Kindem wurde von da an von Jahr zu
Jahr entspannter und intensiver.
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