Dienstag, 8. November 2016

Froschkönigs Zauber


Was mich an der Froschkönig-Geschichte so beeindruckt, ist der Mut
der Prinzessin, gegen alle Moral zu verstoßen, wenn es um eigene
existentielle Dinge geht. Normen der anderen gibt es wie Sand am Meer.
Uns Kindern wurden sie weiß Gott wie verbindlich gemacht. Du sollst,
du darfst nicht, du musst doch. Der Königsvater mahnt, nicht böse, sanft
- und doch so zersetzend. 

Die Prinzessin lebt in ihrer Welt mit ihren Werten - so, wie dies auch der
souveräne Frosch tut, ein König, von gleicher Art wie sie. Das Eingehen
auf seine Bedingung war erpresst. Vor der Moral des Königskindes hat
er kein Recht, Gefährtenschaft und mehr zu fordern. Vor aller Welt aber
hat er es, vor aller Erwachsenenwelt. Diese Erziehungsbotschaft sitzt tief.

Und erst in der allergrößten Not - als der Widerling tatsächlich ansetzt,
ihr zu Leibe zu rücken, besinnt sie sich auf ihre Kraft, auf ihre Welt und
ihre Heiligkeiten: Zur Hölle mit all den fremden Monstern, die sich in
mir breitgemacht haben, die mich mahnen und die Normen in mir
errichtet haben, die nicht die meinen sind! Was den meisten von uns
großgewordenen Kindern nicht mehr gelingt, nämlich das eigene Beste
zu erkennen und für seine Realisierung einzutreten - mithin Verant-
wortung für uns zu übernehmen, so, wie es uns tatsächlich entspricht
(und nicht fremden Normen in uns): dies schafft diese Botin der Selbst-
verantwortung.

Sie ergreift Partei für sich, sie bekennt sich zu sich, sie wehrt das
Fremde mit aller Kraft ab: Und siehe da, die Welt geht nicht unter,
niemand fällt tot um, das Chaos bricht nicht aus: Das Gegenüber läßt
sich nun ein Wesen gleicher Art sein. Trag Verantwortung für Dich
selbst, nicht für mich: dann wirst Du erkennen, wer Du bist und wer
ich bin, und dass unsere Konstruktivität existiert bis ans Ende der Zeit.

Dass die beiden sich lieben, so grundlegend wesensverwandt, war zu
Beginn ihrer Affäre schon offenkundig. Dass sie dies auch leben
können, weil niemand auf sich verzichtet - dies ist uns verantwortungs-
geschädigten großen Kindern fremd. Und doch ist es wahr, und jeder
kann diese uralte Weisheit zurückgewinnen.

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angesichts unserer selbst
gewinnen wir alles
und lassen uns
von allem gewinnen
und leben alles
und lassen alles leben