Samstag, 24. Dezember 2016

Melanie


Weihnachten, Heiligabend, ich überlege, was ich heute posten könnte. Ich krame in meiner Schatzkiste. Damals, als ich amications-forschungsmäßig unterwegs war, gehörte Melanie zu einer meiner Kindergruppen. Einmal hatten wir ein wunderschönes Erlebnis, in meinen Aufzeichnungen steht es so:

Melanie ist drei jahre alt, als wir an einem schönen Sommertag auf der Wiese am Fluss sitzen. Melanie, ihre Mutter und zwei Freundinnen, und ich. Melanies Mutter will in der üblichen Art ihrer Tochter vermitteln, wie gefährlich es sei, nah an der steilen Uferböschung zu spielen. Sie erklärt und warnt. Melanie reagiert typisch: sie sieht vor sich hin, dreht sich weg und signalisiert deutlich: "Lass mich in Ruhe, ich komme zurecht.“

Ich schweige und beobachte. Und ich biete mich - wortlos, ohne Aktion - Melanie an, falls sie nach mir suchen sollte. Melanie beginnt mit mir zu spielen. Die Böschungsfrage ist ungelöst. Kerstin vertraut mir jetzt ihre Tochter an und wendet sich ihren Freundinnen zu. Ich komme mit Melanie näher zur Böschung. In mir ist keine Angst und kein Anspruch, stellvertretend für dieses selbstverantwortliche Geschöpf des Universums die Entscheidungen "zu Deinem Besten" treffen zu müssen. Ich traue ihr zu, die Böschungsfrage selbst richtig zu entscheiden. Und ich weiß auch, dass ich mich in einem Unglücksfall auf mich verlassen kann. Melanie und ich: Wir beide können uns auf die Situation und aufeinander einlassen.

Und dann erlebe ich, wie sich ein junger Mensch von drei Jahren mit dem Fluss, den Strudeln, der Gefahr, dem Risiko, dem Steinwerfen, den Blumen, der Sonne, dem Wind beschäftigt. Wie sie lebt, lacht, ängstlich ist, mutig ist, stolz ist, sich erkundet und die Welt begreift. Wir sind in einer vertrauten, sehr nahen Beziehung, und es ist etwas von Achtung, Geheimnis und Andacht zwischen uns. Obwohl sie nichts direkt mit mir tut und ich ihr nur gelegentlich Grasbatzen locker mache zum Hineinwerfen, erleben wir dabei auch uns.

Die anderen sind vergessen, und wir begegnen uns als gleichwertige und freie Menschen in einer tiefen emotionalen Dimension: So, wie sie sich vertraut, kann ich mir und ihr vertrauen. Ihr Selbstvertrauen erreicht mich ungehindert, fegt das Bedenken, dass sie zu Schaden kommen könnte, fort und bestätigt das tief in mir lebende Gefühl aus meiner eigenen Kindheit, dass jeder von uns ein König und eine Königin ist - ein Ebenbild Gottes. Ich spüre ihre Kraft und ihre Stärke - so, wie ich mir in ihrer Gegenwart selbst sicher bin.