Montag, 5. Dezember 2016

Kuhfladen und Sommerwolken


Die Schaukel ist beschmiert. Mit Matsch und Lehm. Linus und Friedrich, beide 6, haben sich darüber hergemacht. Die anderen Kinder sind nicht begeistert. Ich auch nicht.

Wir sind auf dem Sommer-Camp. Wieso hat das keiner verhindert? Einige Erwachsene haben das doch gesehen! Wir besprechen abends die Szene – und dann werde ich nachdenklich.

Es gibt bei so etwas wie der beschmierten Schaukel zu wenig Raum für freundliche Reaktionen, nachsichtiges Begleiten, humorvolles Lächeln. Es gibt diesen Raum schon in uns, aber seine Tür ist sehr verborgen. Das Offensichtliche drängt sich vor und ist sofort da: „Was soll das ?“ „So ein Unsinn!“ Ablehnung Abstufung, Korrektur. Mit zugehörigem Druck: falsch, schlecht, unmöglich.

Wenn die Kinder den Tag unterwegs sind, hinterlassen sie immer ihre Spuren. Chaotische Zimmer, klatschnasse Pullover, saudreckige Stiefel. Aber es sind Zimmer! Pullover! Stiefel! „Chaotisch“, „klatschnass“, „saudreckig“ sind die Blicke aus dem Ablehnungsraum. Schnell zur Hand, aber eben nicht die einzige Sicht der Dinge. Das Zimmer, der Pullover, die Stiefel: sie erzählen so viel. Von der Energie, Freude, dem Weg und dem Leben der Kinder. Warum sehe ich das nicht?

Ich sehe es ja. Jetzt, beim Nachdenken. Im Alltagsbetrieb sehen wir das weniger. Fixiert, gebannt, festgenagelt auf das Szenario „Unangenehm“. Dies ist in uns gefahren, über uns gekommen, gelernt: als wir Kinder waren und die Reaktionen und Kommentare der Großen erlebten, zu unserem Gang durch den Tag. Wir machen das jetzt nach, als Große. Nur: dass es nicht gut tut. Mir nicht und den Kindern nicht. Und: dass ich das bemerken kann. Und: diesen Raum verlassen kann.

Die rote Ampel. Die vergessene Bescheinigung. Das Brot ausverkauft. Endlos. Ärger anziehend wie Kuhfladen die Fliegen. Automatisch. Und genau da denke ich jetzt dazwischen: Ich muss diesen Automatismus ins Unangenehme nicht in mir stattfinden lassen. Kann ich – muss ich aber nicht. Ich bin der Chef – wie immer. Ja: rot, vergessen, ausverkauft. Was ist dabei? Pause, nochmal von vorn, Haferflocken. Ich muss mich doch nicht aus meiner Freude drängen lassen.

Matsch auf der Schaukel? Meine Güte – Problem? Wasser, Eimer, Bürste, eine kleine ungeplante Unterbrechung der Alltagskramerei. Eine geschenkte Zeit. Zum Nachsinnen, Haltmachen, Sonne und Sommerwolken genießen. Und vielleicht helfen die Kinder ja. Wir sind so ungewohnt, positiv zu reagieren. Generell! In die Freude zu gehen. In der Freude zu bleiben. Die Freude auszukosten. Wir mögen dies nicht und tun es als Schönreden ab. Das Abtun ist ja nicht verboten. Nur: schmeckt das?

Nein, es schmeckt nicht! Warum sollte ich ekliges Zeug essen? Warum eigentlich interpretieren wir so eklig? Sind wir eklig geworden? Die Blicke von Linus und Friedrich nach meinem Blick waren eindeutig. Ich war angematscht wie die Schaukel. Jetzt nehme ich meine Zauberei und der dreckige Ekel verschwindet. Heile Welt lässt sich immer hervorholen. Generell! Fragt sich, ob man das sieht und den Mut dazu hat. Denn so etwas ist mit Bann belegt. Bann aus der Kindheit, aus dem Modus des Schlechtredens und Schimpfens. Das lasse ich hinter mir, jetzt, beim Besprechen mit den anderen. Halte ihrer Verblüffung stand und empfehle mehr davon. Mehr von dieser Heilen Welt. Mehr Sonne und Sommerwolken.