Mittwoch, 29. März 2017

Meine nächsten drei Minuten



Die Befreiung vom pädagogischen Denken erfasst auch den Erwachse-
nen selbst. Auch Erwachsene mussten nicht erzogen werden, und auch
Erwachsene müssen nicht mehr an sich arbeiten, um bessere Menschen
zu werden. Erwachsene sind als Kinder vollwertige Menschen von
Anfang an gewesen, und diese Vollwertigkeit gilt auch heute und für den
Rest des Lebens. Ein jeder war und ist zu hundert Prozent ein vollwerti-
ger Mensch, verantwortlich für sich selbst von Anfang an und kann sich
lieben, so wie er ist.

Alles, was die Amication über Kinder sagt, gilt auch für Erwachsene.
Amication ist für Erwachsene unmittelbar von Gewinn, nicht nur in
ihren Beziehungen zu Kindern. Sie sind die Kinder, urn die es ihr Leben
lang in Wahrheit geht: "Ich bin für mich verantwortlich. Wie soll mein
Leben aussehen? Meine nächsten drei Minuten? Meine nächsten drei
Stunden? Meine nächsten drei Tage? Was will ich - was will dieses Kind,
das ich bin - wirklich? Wie könnte ich es erreichen?"

Amication wird oft zunächst im Blick auf die heutigen Kinder erfaßt.
Aber es geht um alle Kinder, auch um die großgewordenen. Es ist, als
ob ein junger Mensch zu den heutigen Erwachsenen tritt und ihnen
etwas von ihrem verschütteten Wissen der eigenen Kindheit mitteilt.
Dieses Kind erinnert die großgewordenen Kinder an die Wahrheiten
ihrer Kindheit - Wahrheiten, die durch Erziehung und pädagogische
Tradition verloren gingen:

Die Selbstliebe, die Vollwertigkeit, die Selbsterantwortung, die
Souveränität, die Gleichwertigkeit, die Subjektivität, die Fehler-
losigkeit, die Sozialität, die Achtung vor der Inneren Welt, die
Selbstbehauptung in der Äußeren Welt, die Empathie, die Erziehungs-
freiheit. Der Erwachsene, der von diesen Dingen hört, wird stets direkt
angesprochen. Und wenn er sich darin wiederfindet, dann setzt er den
amicativen Impuls für das Kind um, das ihm zuallererst anvertraut ist:
für sich selbst.