Mittwoch, 1. November 2017

Nehm Dich an die Leine






















Neulich war eine Katze bei mir. Mein Besuch hatte sie mitgebracht.
Kann man Katzen aus ihrem Zuhause mit auf die Reise nehmen? Was
muten wir den Tieren zu, die bei uns leben, die uns anvertraut sind?
Tja, wie immer: das kommt drauf an, auf dieses Tier, diesen Menschen,
diese Umstände. Schon die anderthalbstündige Fahrt zu mir war ein
Risiko - aber das, dieses Kätzchen war einfach gut drauf und hat die
Fahrt genossen. Es hat also gepasst. Und bei mir war sie dann weiter
gut drauf, hat alles erkundet und sich schließlich auf einen Stuhl
gesetzt und geschlafen. Ich habe mich gefreut, dass sie mitgekommen
war.

Mir geht die Frage durch den Kopf, was wir alles so mit unseren Tieren
- die bei uns im Leben sind - anstellen. Ich bin jetzt bei den Haustieren.
Was wir mit den "Nutztieren" anstellen, vom Namen angefangen bis zu
sonstwas, mal abgesehen. Man muss sich eben auch immer wieder trauen,
der Beziehung trauen. "Sie macht das schon mit", und wenn nicht - dann
kann ich die Autofahrt sofort abbrechnen und nach Hause fahren. Das Sich-
Trauen und das der Beziehung trauen gilt ja auch generell, den Kindern
und dem Partner gegenüber - und ist ein sehr sehr weites Feld.

Das Katzenfrauchen (auch so ein merkwürdiger Name) traute sich aber
noch mehr. Sie hatte die Katzenleine mitgebracht. Die Katze bekam
ein Geschirr umgebunden, daran dann die Leine. Wir wollten mit den
Kindern in den Wald. "Die Katze kommt mit!" Wie bitte? Eine Katze an
der Leine? Und dann noch im Wald? Es war dann einfach wunderschön!
Unser Kätzchen war auf Du und Du mit der Natur, hüpfte hierhin und
dorthin, spielte mit den Ästen und dem Sand, sauste den Baumstamm
hoch, soweit es mit der Leine ging.

"Aber man kann doch eine Katze nicht an die Leine nehmen" geisterte
irgendwie bei mir rum. Doch, man kann. Die Katze im Wald frei laufen
lassen - kann man auch machen. wenn man sich traut. Mit dem Risiko,
dass die Katze dann weg ist, zu ihrem und unserem Umglück. Das war
die Grenze, mehr sollte es nicht sein.

Wieviel Grenze setzen wir den unseren? Wieviel Leine habe ich für
die Kinder und den Partner parat? Bei wieviel Freiheit wird mir unwohl?
Und wie geht es den Kindern und dem Partner mit meinen Grenzen und
Leinen? Gibt es da einen Leinenunterschied zwischen meiner Leine für
die Katze und meiner Leine für einen Menschen? Klar doch! Ich lege
doch keinen Menschen an die Leine! Ach wirklich? Es gibt sie nicht zu
sehen, wer erlebt schon, dass ein Mann seine Frau an einer Leine durch
die Gegend führt. Oder eine Frau ihren Mann. Oder ein Vater sein Kind.

Aber es gibt sie eben, diese Leinen, nicht sichtar, gewoben aus allem
Möglichen: Angst, Vorsicht, Sorge, Macht, "Liebe" und so weiter. Und
wieviele Leinen sind an mich angelegt, lasse ich mir anlegen? Konven-
tionsleinen, Beziehungsleinen, Angstleinen. Von keine Jeans im Theater
bis ehelicher Treue. Also, diese Leinenthematik ist Alltag und wirkt im
Hinter- und Untergrund. Bis es dann mal einen Aufstand gibt oder ein
gutes Gespräch über die Einschränkungen in der Beziehung, und sich
dann die eine oder andere Leine auflöst.

Die Katze nahm die Leine so selbstverständlich hin. Sie hätte
ja auch einen Anfall bekommen können. Tat sie aber nicht. Brave
Katze! Braves Kind! Braver Mann! Brave Frau! Der Umgang mit der
Leine und Freiheit des anderen ist ein sehr sehr weites Feld...