Donnerstag, 9. November 2017

Wutanfall






















 „Mein Sohn kriegt oft einen Wutanfall, wenn ich nein sage. Was
soll ich machen?“ Frage eines Vaters auf dem Vortrag. Er erzählt,
dass er ratlos daneben steht. Sein Sohn ist vier, er schlägt dann
um sich und fängt an, Sachen kaputt zu machen.

Ich antworte mit dem Drumherum. Konkretes habe ich nicht parat.
Außer, dass ich Dinge, die für das Kind gefährlich werden könnten,
außer Reichweite bringe. Und zwar vorher, die Wohnung nach
Messer, Gabel, Schere, Licht durchforste. Oder die Dinge, die nicht
kaputt gehen sollen, wegstelle oder sichere. Und dann nehme ich
den weiten Bogen:

Da läuft nichts wirklich aus dem Ruder. Klar haben Wutanfälle ihre
Ursachen. Und ihre Anlässe, oft ein Nein. Die Kinder wollen eben
nicht das, was wir wollen, und unser Nein schlucken sie nicht, son-
dern bewüten es. „Das könnten Sie ihm lassen, es ist seine Art zu
reagieren, wenn so ein Nein seinen Weg verstellt.“

So etwas ist nicht schön. Wer hat denn gern ein Wutanfallkind?
Aber so ein Kind kann einem schon mal geliefert werden, vom
Leben, Gott, den Umständen, irgendwelchen Psychodingen bei
den Eltern. Tausend Gründe und Abgründe. Soll man da rum-
stochern? Ja, wenn es vom Himmel fällt, wie sich so ein Wut-
splitter aus der Seele ziehen lässt. Das passiert aber im wirklichen
Leben nicht auf Bestellung. Therapie? Was soll man denn noch
alles machen! Es sind Wutanfälle, nicht die Pest.

„Nehmen Sie Ihrem Kind seine Wutanfälle nicht übel. Es ist seine
Art, mit Ihrem Nein umzugehen. Und nehmen Sie es sich selbst
nicht übel, dass Sie so ein Kind haben. Und dass Sie nicht wissen,
wie Sie diese Wutanfälle wegbekommen. Sie haben so ein Kind,
jetzt grad, vielleicht noch ein Jahr, vielleicht lange. Und Sie sind
so ein Vater, einer, der so ein Kind hat und der nicht so recht weiß,
wie er damit umgehen soll.“

Ich nehme das Drama aus dem Szenario, die Schwere, das Üble.
Ich schicke ihm rüber, dass er in Ordnung ist und dass er nichts
besonderes tun muss. „Vielleicht schaffen Sie es, nicht mit Schimp-
fen anzufangen. Nicht noch einen draufsetzen. Sie müssen nichts
tun, verbessern, lösen. Sie können einfach warten, bis der Anfall
ausschwingt.“

Reicht das? Einfach warten, bis das wütige Kind vor mir von allein
aufhört? Ja was? Soll ich es hochnehmen, festhalten, auf es einreden,
es bedrängen, mit „freundlicher“ Stimme voll Psycholeim einkleistern?
Kann man alles machen, mach ich aber nicht. Finde ich nicht hilfreich.
Einer wütet, der andere ist dabei. „Sie sind ja da. Sie gehen nicht weg.
Und wenn Sie es schaffen, auch innerlich nicht wegzugehen, sich nicht
von Ihrem Kind zu distanzieren – das wäre prima. Es ist nicht verboten,
sein Kind weiter zu mögen, wenn es wütet. Und sich selbst zu mögen,
wenn es wütet.“

Ich sage ihm, dass die Wüterei seines Sohns ihm keine neue Last
aufbürdet. Die nämlich, dafür zu sorgen, dass das weggeht. Dass
er nicht dem Bild hinterherjagen muss, als guter Vater müsse er
aber doch. „Sie müssen da gar nichts. Sie können schauen, was
Sie gern tun würden, aus Ihrer Sicht, nicht aus der Sicht eines be-
mühten Vaters. Wutanfälle kommen und gehen, wie dunkle Wol-
ken. Man kann sie nicht wegzaubern. Also, lassen Sie sich und ihn
in Ruhe, wenn er wütet. Sie müssen nicht sein Wutmeister sein.“

Reicht so eine Antwort? Ich merke, dass ich ihn auf andere, auf
neue Gedanken bringe. Gute Gedanken? Finde ich schon.