Freitag, 12. Mai 2017

Was bedeutet Selbstverantwortung? I



Was bedeutet eigentlich ››Selbstverantwortung«? Es wird eine klare
Antwort erwartet. Ich gebe sie: »Selbstverantwortung ist, wenn jemand
selbstverantwortlich ist. Wenn er, nicht ein anderer, für sich die Verant-
wortung trägt.« Ist die Antwort zu dünn? Unscharf? Unsinnig?

Ein Beispiel wird bemüht: Das Auto fahrt einem Fußgänger das Bein ab.
Ist da Selbstverantwortung im Spiel? Ist der Fußgänger dafür selbst
verantwortlich, dass das Bein ab ist? Natürlich nicht! Oder? Wer ist dafür
verantwortlich, dass der Fußgänger an dieser Stelle war? Musste er dort
sein?

Wer ist dafür verantwortlich, dass dieser Fußgänger überhaupt existiert?
Ohne Fußgänger kein Bein ab! Seine Eltern? Das genetische Programm
"Mensch"? Adam und Eva? Gott? Und wer ist für das Auto verantwortlich?

Ohne Motor würde das Auto nicht fahren. Wer stellte den Motor her? Wer
gewann das Eisen des Motors aus dem Berg? Wieso hatte dieser Berg
überhaupt Eisen? Wo kam der Berg her? Woher kommt die Erde?

Ist das Auto selbstverantwortlich? Ist der Fußgänger selbstverantwortlich?
Ist der Motor selbstverantwortlich? Ist das Bein selbstverantwortlich?

Was soll das? Gegenfrage: Worum geht es Dir, wenn Du nach der Selbst-
verantwortung fragst? Um Klarheit? Um Wahrheit? Um Macht? Um das
bessere Wissen? Gibt es besseres Wissen? Ach ja? Woher die Weisheit?
Zurück auf den Boden der Tatsachen!

Noch ein Beispiel. Jetzt eins, wo es kein Ausweichen gibt. Klare Situation:
Der Räuber Hotzenplotz schlägt Kasperls Großmutter nieder. Großmutter
hat einen Bluterguss. So: Wer ist für den Bluterguss verantwortlich? Klar:
Hotzenplotz. Oder sein Stock? Oder der Mann, der den Baum pflanzte,
von dem der Stock ist? Ist Großmutter für ihren Bluterguss selbst verant-
ortlich? Ihre Haut? Ihr Blut?... Nicht schon wieder dieser uferlose Unsinn!

Wer sagt, was Sinn ist? Der gesunde Menschenverstand! Wer hat den? Der,
der sagt, dass er ihn hat? Der Wissenschaftler vor dem Stammtischbruder?
Der Europäer vor dem Afrikaner? Der Mann vor der Frau? Der Priester vor
dem Laien? Du vor mir? Ich vor Dir? Worum geht es eigentlich? Um eine
klare  Antwort auf eine  einfache Frage. Was aber ist klar? Was ist einfach?
Es geht schon wieder los.

Es geht um etwas anderes. Um Kommunikation, um Beziehung, um Mit-Sein,
um Austausch, um Sich-Erleben im Anderen, um: menschliche Existenz. Um
das "Wer bin ich" und das "Wer bist Du" und das "Was ist die Welt" und das
"Wer bin ich in der Welt" und so weiter. Es geht um eine existentielle Thematik.
Jede Sachfrage hat dies als Untertergrund. Es schwingt unter jeder Sachfrage
Tausenderlei  mit: Weltbilder, Denkschulen, Traditionen, Religionen, Machtfragen,
Ängste, Träume, Eitelkeiten, Haß, Liebe, Tod, Leben. Der Sachbegriff "Selbst-
verantwortung" ist wie ieder andere Sachbegriff auch (Auto, Motor, Holz eben
nicht lediglich ein Sachbegriff.

Und wer "Selbstverantwortung" nur so (sachlich) sehen und nur darüber ins
Gespräch kommen will, legt vorher etwas fest: nur so (sachlich) darüber zu
reden. Und diese Festlegung trifft er auf der existentiellen Ebene. Es gibt
Begriffe (wie Auto, Motor, Holz), da wird die existentielle Ebene kaum eine
Rolle spielen. Wir reden dann über Autos, sonst nichts. Tatsächlich? Wenn man
über Autos redet, diskriminiert man allein dadurch, daß man Autos für der Rede
wert hält, die Natur. Oder die Kinder, die von Autos gefährdet werden. Oder.

Wenn das Thema aber "Selbstverantwortung" heißt, und wenn zum Ausdruck
gebracht wird, dass damit eine ganze kulturelle Ebene (die der Erziehung/ des
Patriarchats/ der Hierarchie/ der Moderne) verlassen wird, wie kann da eine
einfache Antwort helfen?

Fortsetzung folgt.