Mittwoch, 9. Mai 2018
Schweine gibt's nicht im Schlafzimmer
Ich bin im Wertepluralismus unterwegs. In der
großen Vielfalt, in der alles und jedes gleichen
Wert hat. Wo ein Mörder gleichen Würde-Rang
hat wie ein Arzt. Adolf Hitler ebenso ein Ebenbild
Gottes ist wie Mutter Teresa.
In der Postmoderne, dem philosophischen Groß-
raum der Amication, gilt als Grundlage die Gleich-
wertigkeit aller Phänomene. Wenn aber alles den
gleichen Rang hat - was ist dann richtig und was
ist falsch? Was ist die Orientierung? Nun, jeder
einzelne Mensch ist Orientierungspunkt. Was sind
meine eigenen, subjektiven und privaten Werte?
Ich entscheide mich in der großen Vielfalt der un-
endlichen Möglichkeiten. Ich bin der Mittelpunkt
der Welt und des Universums. Ich sehe ringsum und
beziehe meine Position. Ich wähle. Ich verantworte
vor mir.
Meine Wahl und meine Werte stehen dabei nicht
über der Wahl und den Werten anderer. Ich bin
jedoch meinen Werten verpflichtet und setze mich
für sie ein.
"Wenn alles gleichen Rang hat, dann kann doch
jeder tun was er will. Das gibt nur Mord und Tot-
schlag und ist gewaltiger Nonsens und rechtfertigt
allen Unsinn!" Kann tun was er will? Tun? Der,
den ein Kritiker da im Sinn hat (den durchgeknallten
Bösewicht nämlich), ist nicht allein auf diesem Pla-
neten. Milliarden andere Einzelne sind um ihn herum.
Mit ihren Werten. Und wenn der angeführte Böse-
wicht anfängt, sein Ding zu TUN, dann sind die
anderen drumherum und lassen es sich bieten -
oder eben nicht. Und wenn sie es sich nicht bieten
lassen, dann ist es aus mit dem "der kann tun, was
er will",
Ein jeder könnte tun was er will. Könnte! Wenn die
anderen ihn lassen. Mord und Totschlag? Ich bin
einer der Milliarden Einzelnen, und in meiner Gegen-
wart gibt es weder Mord noch Totschlag (sofern ich
die Gelegenheit und die Mittel habe, das zu verhin-
dern). Amication ist keine offenes Tor fürs Drauflos
des Einzelnen. Amication nimmt aus den Möglich-
keiten die Oben-Unten-Position heraus und legt die
Gleichwertigkeit zugrunde. Amication ist keine Be-
triebsanleitung für die Praxis ("Mach, was Du willst!").
Amication zeigt eine Verortungswelt auf, ist Hinter-
grundmusik für unser Handeln, Sinfonie der Gleich-
wertigkeit.
Ich bin nicht zimperlich. Wenn jemand in meiner
Gegenwart seine Vorstellungen (die meinen gleich-
wertig sind) realisieren will und mir nicht passt, was
er vorhat, dann unterbinde ich das. Mit den Mitteln,
die ich habe und in der Hoffnung, dass sie ausreichen.
Ich gewinne ja auch nicht immer, aber oft. In meiner
Gegenwart schlägt kein verzweifelter Vater sein Kind,
kein Dieb kommt mit der Handtasche einer alten Frau
davon, kein Terrorist erschießt die Leute, kein Diktator
zettelt einen Weltkrieg an.
Wenn ich interveniere, dann energisch, so dass das
passiert, was ich will. Wenn ich einen Kindsmörder
zur Strecke bringen kann, bevor er mein Kind ab-
schlachtet und ich ihm zum Schluss in die Augen
sehe, dann sage ich ohne Worte: "Du bist ein Eben-
bild Gottes wie ich, kein Schwein. Aber Du willst
einen Weg gehen, den ich nicht mitgehen kann." Ich
töte ihn, aber ich nehme ihm nicht die Würde. Ich
stehe nicht über ihm. Wie der Indianer den Büffel
tötet, ohne über ihm zu stehen.
Wenn jeder aus seiner Sicht das für ihn Sinnvolle
tut, tun will, dann folgt er einem universellem Sinn:
Der Konstruktivität, die ihn leitet. Diese Konstruk-
tivität gibt es im Universum seit dem Urknall, sie
existiert in jedem Atom, Galaxie, Stern, Planeten,
Stein, Pflanze, Tier, Mensch. Überall eben. Da be-
wegt sich nichts gegen sich. Und auch kein Mensch
handelt gegen sich, und falls es doch so aussieht
(sich jemand die Arme aufschlitzt, Heroin nimmt,
von der Brücke springt), so geschieht es immer noch
aus seinem Sinn, aus seiner Konstruktivität heraus.
Ein überhöhter Begriff für die universelle Konstruk-
tivität mit Verortungen in vielen religiösen, spirituellen,
philosophischen Bereichen ist Liebe. Alles geschieht
aus diesem Ur. Ur was? Urplasma? Urstoff? Urphäno-
men? Urprinzip? Aus diesem Ur eben. Jeder einzelne
ist in diesem Ur eingebettet, ist daraus gemacht und
bewegt sich darin. Wie jedes einzelne Wassermolekül
im Ozean, den Wolken, dem Regen. Es gibt kein Gegen-
Ur. Keinen Gegensatz. Weder gut noch böse, richtig noch
falsch. Einheitlich: Liebe.
Das aufs reale Leben runterzubrechen ist schwer. Der
Kindsmörder ist Liebe und handelt aus Liebe? Isis?
Adolf? Stalin? Mao? Tja. Aber so ist es.
Wenn man die Dinge so sieht, bekommt alles eine beson-
dere Bedeutung. Alles wird handfest leichter, kraftvoll
entspannter. Alles gibt, nichts nimmt. Die Würde bleibt.
Nichts davon macht meine Entschlossenheit kleiner, diese
Herrschaften zu stoppen in ihrem Tun. Meine Entschlossen-
heit ist ein scharfes Schwert. Und oft schaffe ich das ja auch.
Kein verzweifelter Vater schlägt in meiner Gegenwart sein
Kind ...
PS:
In unseren Zeiten von überbordender political correctness
reizt es mich schon, all dem anhysterisierten Aua-Aua mein
"alles geschieht aus Liebe" entgegenzuhalten. Ich bin da
schon ganz gern mal frech und rotzig. Ich übersehe nicht
die Wichtigkeit von MeToo und anderem, und Leid rührt
mich an, mein Mitgefühl gehört den Misshandelten, Unter-
drückten, Ohnmächtigen: begrapschte, missbrauchte, be-
schnittene Frauen, Negersklaven, normale Schulkinder,
Kindersoldaten, Folteropfer, Jesus am Kreuz. Aber! Aber
ich zeig den zu Recht Empörten gern mal den Teppich:
"Leute, kommt mal wieder runter!" Runter auf den Tep-
pich, auf den das ganze aus meiner Sicht bei allem Leid
eben doch gehört: den Teppich der Würde jedes Einzelnen.
Den Teppich, auf dem auch die bösesten Bösewichte der
kleinen Welt und der großen Welt stehen. "Schweine" gibt's
nicht, nicht in diesem Szenario. Schon: im Wald und auf
dem Bauernhof. Aber nicht in der Weltgeschichte und auch
nicht im Schlafzimmer.