Donnerstag, 17. Mai 2018
Ärger und schönes Wetter
Ich bin beim Babysitten. Ich hole Bilderbücher zum Anschauen.
Als ich ein Tierbuch aufblätter, schiebt es der Zweijährige weg.
Vorher hat er genickt, als ich Bücheransehen vorschlug. Er
schiebt das Buch zweimal weg, dreimal, viermal. Ärger, in mir?
Das Rad eines Neunjährigen ist platt und muss repariert werden.
"Ich will fahren" - klar. "Hilfst Du?" "Ja." Er hilft auch mit. Fünf
Minuten. Dann hat er keine Lust mehr. Ich soll allein weiter-
machen. Ärger, in mir?
Ich besuch einen Freund. Wir quatschen. Auf einmal nimmt er
sein Handy und tippt drauflos. Meine letzte Frage - hat er nicht
mitbekommen. Ärger, in mir?
Heute habe ich drei Situationen erlebt, bei denen auf einmal
Ärger in der Luft lag. Es ist etwas abgemacht (Buch anschauen,
Rad reparieren, Quatschen), aber das, worauf man sich einstellt,
sich einläßt, sich drauf freut, wird gekippt. Wie geht es mir mit
solchen Geschichten?
Klar gibt es Gründe, Zusagen nicht einzuhalten und Pläne zu
ändern. In diesen drei Geschichten hat das aber eine besondere
Qualität: Ich bin in die Änderung nicht eingebunden, sie wird
mir vorgesetzt. Ich komm mir als Spielfigur im Spiel des
anderen vor, hin- und hergeschoben. Respektlos, würdelos.
Ärger steht vor der Tür. Klar kann ich das thematisieren, klar
kann ich mich wehren. Die Bücher wegräumen, das Rad Rad
sein lassen, nach Hause gehen. Mach ich auch, wenn ich mich
würdelos behandelt fühle.
Ich kann aber auch anders. Also: ohne Ärger, ohne Würde-
kratzer. Ich kann auch gelassen, so wie ich Ärger kann. Kommt
ganz drauf an, wie ich drauf bin. Gelassen: Ich weiß ja, dass
jeder in seiner Welt unterwegs ist. Die ich nicht verstehen
muss. Die ich aber gelten lassen kann/könnte/will. Kein
Buch lesen - ja mei. Keine Reparaturhilfe mehr - ja mei.
Keine Antwort, das Handy wird mir bevorzugt - ja mei.
Ich bin eigentlich immer angefaßt, wenn ich hängen gelassen
werde. Wenig Prozent oder viel Prozent. Aber Null gibt es nicht.
Ich ziehe mich zurück und lass dem anderen seinen Kram. Ich
kanns auch thematisieren, muss aber nicht sein. Bei dieser
Handygeschichte bin ich längst im Humor: dieser Freund,
wie viele andere, können gar nicht mehr anders. Irgendwie
eine Zeitkrankheit. Ich hab mich schon beim Mittagessen mit
meiner Mutter beim SMS-Schreiben ertappt und das dann
schleunigst bleiben lassen. Geht ja gar nicht!
Wenn mir etwas widerfährt, was ja gar nicht geht, was der
andere aber so nicht mitkriegt: was soll ich davon halten?
Will ich mit solchen Menschen zu tun haben? Soll ich mich
äußern? Beschweren? Poltern oder den rechten Ton treffen?
Einen Kurs in "Wie äußere ich verständnisvoll und effektiv
mein Unbehagen" buchen?
Ich bin mir oft sicher, dass die anderen genau wissen, was
los ist. Vordrängeln an der Kasse, Vorfahrt nehmen, Weg-
gekicktwerden beim Gespräch. Sie wollen sich nicht - ja
was? Benehmen? Achtungsvoll sein? Mich ernst nehmen?
Ein weites Feld. Und ich habe keine Lust, da herumzu-
stochern und ein Fass aufzumachen, das mir dann um die
Ohren fliegt.
Ärger - in mir? Bei einem Zweijährigen? Bei einem Neun-
jährigen? Bei einem Vertrauten? Heute ging es für mich
ohne Ärger aus. Klar, bei dem schönen Wetter...