Samstag, 30. Dezember 2017

Vom Nichteinmischen





















Eine Mutter erzählt mir: "Mein Sohn (8) war allein unterwegs und
hatte Krach mit einem Erwachsenen, einem Freund der Familie.
Was hätte ich tun sollen?"

Die Kinder geraten immer wieder mal in unangenehme oder auch
gefährliche Situationen. So etwas bricht über sie herein, oder sie
haben ihren Anteil daran. In diesem Fall hatte der Sohn den Freund
der Familie durch sein Verhalten verärgert, er wurde schließlich
angefaucht. Und kam empört zu seiner Mutter.

Wenn die Kinder mit anderen unterwegs sind, ist das schön, aber
auch voller Risiken. Das Balancieren über das Brückengeländer
ist voll prickelndem Reiz, aber auch voll Risiko. Wenn der Junge
dabei ins Wasser fällt, helfen Eltern ihm heraus, keine Frage.
Aber hier? Soll sie zu dem Freund hingehen und die Wogen
glätten? Oder kann das Kind allein herauskommen, wenn es
in so ein Beziehungsgewässer gefallen ist?

Falsch machen geht nicht. Die Mutter kann intervenieren oder
die Sache bei ihrem Sohn lassen. Es kommt wie immer darauf
an, was man will. Sie erzählte, dass sie gespürt hat, das Ganze
ihrem Kind zu überlassen. Er war angefasst und kam zu ihr.
Beschwerde. Ein Eingreifen lag in der Luft. Aber sie hat es eben
anders gemacht.

Sie hat das Herauskommen aus dem Wasser ihm überlassen. War
eigentlich seine Sache. Einmischen fühlte sich drängend, aber in
Untergrund übergriffig an. "Es gehört ihm und er schafft das schon."
Und so kam es auch. Ihr Sohn kam wieder runter, und nach einer
Weile ging er zu dem Erwachsenen zurück "um das mit ihm zu
besprechen".

Fand ich beeindruckend. Von der Mutter: nicht hinstürzen,
sondern erst mal schauen, was wirklich Sache ist. Bei ihr
und ihren Mutterhelfegefühlen und bei ihm und seinem "Kann
ich selbst hinkriegen". Das feine Hinhören fand ich beein-
druckend. Das Zuwarten. Das Offenhalten einer Tür. Es wäre
nichts dabei gewesen, sofort zu intervenieren - wenn ihr Ge-
fühl so ist. Aber sie hat eben den anderen Weg genommen.

Ich habe dann überlegt, dass wir Eltern oft, ganz oft, ich sage:
viel zu oft anspringen, wenn die Kinder mit einem Beschwer
daherkommen. Dann verpassen wir, dass die Beschwernisse
der Kinder eben auch ihnen gehören. Ich bin dann schon da-
bei und in Hab-Acht-Position. Aber ich muss meinem Kind
sein Beschwer nicht sofort, rasch, auf der Stelle aus der Hand
nehmen (auf dass es ihm besser gehen möge). Ich kann in ge-
wissen Respekt vor dem Beschwer sein - dem kaputten Knie,
dem Wasserfall, dem Anfauchen. Ich meine, es sind Gescheh-
nisse aus der Welt meines Kindes. Sie gehören ihm. Ich nehm
da nichts fort, ziehe sie nicht rüber in meinen Bereich, ich
vereinnahme sie nicht. Weiter: Ich vereinnahme mein Kind
nicht. Wiewohl die Gelegenheit günstig ist und der Reiz groß.

Wieviel achtungsvolle Distanz haben wir unseren Kindern
und ihrer Welt gegenüber? Kann man da sensibel sein? Lässt
sich erkennen, was mein und was dein ist? Wieviel Verstrik-
kung ist gesponnen, wieviel lässt sich überhaupt bemerken?
(Was ja auch unter Liebenden/Partnern/Freunden ein großes
Thema ist.)

Ich habe das Gefühl, dass die Mutter eine gute Botschaft
gesendet gat. "Ok, ich hör Dir zu und ich bin da." Sie hat
noch nicht einmal mitgesendet "Brauchst Du mich?" Sie hat
einfach nur schwingen lassen, dass sie da ist, dass er nicht
allein ist, dass er sich auf sie verlassen kann. Was ihm offen-
sichtlich gereicht hat. Was ihn nicht weggekippt hat aus seiner
Späre, verlockt hat, den schlappmachenden Süßeweg in ihre
Arme zu nehmen. Den alle Kinder kennen, gut kennen. Der
oftundoft nötig aber eben auch so süchtevoll ist.

Der Junge konnte bei sich und seiner Power bleiben. Er trug
sich nach einer Verschnaufzeit zurück ins Getümmel. In die
Welt der Beziehungen, ins wilde Leben.