Mit
welchen Ohren bin ich unterwegs? Kann ich die amicative Welt halten
im pädagogischem Getöse? Das gelingt ja nicht immer, aber oft eben
doch.
Wir
sind zu Besuch, es gibt hier den üblichen gutmeinenden pädagogischen
Ton. Jetzt ist es spät geworden, die Kinder sollen endlich ins Bett
gehen. Ich sage „ab ins Bett“, merke aber, dass das
so
nicht klappt. Merke, dass ich noch Zeit geben kann, wäre aber auch
zufrieden, wenn sie endlich abziehen. Kilian (10) hat's gehört, aber
er liest ungerührt sein Buch weiter. Es wird angespannt. Schließlich
wird er vom Gastgeber verärgert aus dem Wohnzimmer geschickt:
„...und dann gehst Du endlich ins Bett.“ Ich kommentiere das
nicht, aber mir ist unwohl. Die Töne, mit denen er „gebeten“
wird, tun nicht gut. Mir nicht, und ihm auch nicht, wie ich sehe. Er
stürzt aus dem Zimmer, flüchtet auf die Treppe, ganz nach oben,
liest dort weiter. Ich gehe in den Flur und sehe ihn sitzen und
lesen. Bett ist das nicht.
Aber
ich habe gehört. Diese Töne. Diese Töne, die das „Durchsetzen“
begleiten. Gar nicht gut, nicht für meine Ohren, nicht für mein
Herz. Aber die Treppe ist nicht das Bett! Und?
Es geht jetzt nicht um die Treppe oder das Bett, sondern um Würde.
Um Kilians Würde. Und um die Verletzung, die diese Töne (weniger
die Worte, die waren „angemessen“) verursacht haben. „Dann
lies, ich bin im Schlafzimmer und bringe Corbinian (8) ins Bett.“
Mir ist klar, dass ihm klar ist, was Sache ist. Kilian ist 10, er
kennt die Uhr und die Lage. Nur: ich will diese Töne nicht in unser
beider Welt. „Sieh das ein / Ich habe recht / Du bist ungezogen /
Wie kannst Du nur“ - nein. Dann warte ich lieber, es geht ja auch
nicht um wirklich Wichtiges. Vielleicht um eine Viertelstunde. Aber
er war nicht mehr willkommen in diesen „zusätzlichen“ 15
Minuten.
Ich mag das nicht, jemandem, den
Kindern, Kilian das „Willkommen“ zu entziehen. Obwohl ich das ja
auch immer wieder mache. Aber ich mag das eben nicht, überhaupt
nicht, und auch jetzt nicht. „Dann lies halt da oben“ - ich lass
ihn wissen, dass er willkommen ist und willkommen bleibt. Ob er nun
kommt oder nicht. Schutz eben. Es ist, wie es immer ist, wenn ich die
Ohren so geöffnet habe. Wenn ich mich in den Klang meiner Harmonie
fallen lasse und mich dort halten kann. Wenn ich dem schrillen
Mißklang der pädagogischen Begleitmusik des „Durchsetzens“
keinen Raum gebe. Meine Haltung läßt das aufgewühlte
Kind rasch zur Ruhe kommen. Kilian trudelt nach ein paar Minuten ins
Schlafzimmer. „Na, da bist Du ja“. „Ja, Papa“.