Samstag, 11. Februar 2017
Erziehungstraumatisierte Welt
Ich war diese Woche babysittermäßig unterwegs und komm erst
jetzt wieder zum Blog. Na ja, sollte schneller gehen, aber so ist's
halt. Und mit dem Kleinen, ein Jahr alt, war es einfach magisch.
In diesem Post denke ich weiter über die Erziehung nach und
komme zum Schluss, dass wir in einer erziehungstraumatisierten
Welt leben. Was aber nicht das letzte Wort sein muss! Ich arbeite
dran...
*
Es geschieht beim Erziehen also etwas Äußeres: Das sichtbare
Miteinanderumgehen (das durchaus nett, partnerschaftlich und
freundlich aussehen - aussehen - kann). Und etwas Inneres:
Der unsichtbare erzieherische Anspruch des Erwachsenen er-
reicht das Kind und sagt ihm, dass es nicht nur folgen, sondern
auch einsehen, bejahen soll, was der Erwachsene von ihm will.
Dass es so, wie es ist - wie es nun mal gerade ist - nicht sein
darf und sich nicht so lieben darf!
Diese innere Komponente der Erziehung kommt auf ver-
schiedenen Wegen beim Kind an. Im Tonfall, in der Mimik
und Gestik, in der ganzen Art dieses Erwachsenen. Die
innere Haltung "Ich bin für das Kind verantwortlich und ich
weiß, was für das Kind gut ist" ist nicht an die Sprache
gebunden. Doch sie ist deswegen nicht weniger wirksam.
Vor allem aber ist sie seelisch viel schädlicher als die offene
und erwachsenen-eigennützige reine Herrschaftsausübung:
Sie greift das innere System des Kindes an, sie zersetzt seine
Ich-Auffassung, sie beschädigt seine eigene, in sich gespürte
und tief verwurzelte Identität, seine Selbstliebe.
"Mach Hausaufgaben" mit Erziehungsanspruch lässt das Kind
spüren: "Was fällt Dir ein, jemand zu sein, der keine Hausauf-
gaben machen will? So etwas gehört sich nicht. So jemand darfst
Du nicht sein. So jemand darfst Du nicht einmal sein wollen!"
Entweder wird reine Herrschaft ausgeübt: "Du machst jetzt
die Hausaufgaben, basta!" Oder es wird erzogen: "Du machst
jetzt die Hausaufgaben, bitte!" Reine Herrschaft ist eindeutig
und steht fur sich. Erziehung hingegen ist eine vielschichtige
Zumutung ohne Ende:
"Hausaufgaben sind wichtig. Du verstehst dann besser, was
Du durchgenommen hast. Wenn Du sie fertig hast, wirst Du
stolz sein. Du willst doch eine gute Arbeit schreiben. Du
wehrst Dich nur, weil es unbequem ist. Es gibt nichts um-
sonst. Sei nicht so bockig. Du musst ja doch nachgeben. Ich
meine es nur gut mit Dir. Ich verstehe Dich ja, aber was sein
muss, muss sein. Sieh es doch ein."
Dem Kind zeigen, wie wichtig Hausaufgaben sind. Bewusst
machen, dass Unlust keine Grundlage für sinnvolles Handeln
ist. Auf das Erfolgserlebnis (gut) gemachter Hausaufgaben
hinarbeiten: Genugtuung, Stolz, Selbstüberwindung, Sich-
im-Griff-Haben, Kompetenz erwerben, dem Unterricht
gewachsen sein, vor dem Lehrer gut bestehen können, vom
Lehrer als Vorbild hingestellt werden. Das Inakzeptable nicht
gemachter Hausaufgaben aufzeigen. Die Entwicklung einer
positiven Einstellung zu Schule und Hausaufgaben fördern.
Und tausend Dinge mehr.
Wenn ein Kind im Falle von eindeutiger und reiner Herr-
schaftsausübung nachgibt und tut, was von ihm verlangt
wird, kann es seine Selbstachtung behalten und innerlich
die Person bleiben, die es sein will. "Der mit seiner Angst
vor dem Pauker. Wenn es nach mir ginge, bräuchte ich
keine Hausaufgaben zu machen. Natürlich bin ich im
Recht, auch wenn ich jetzt schreibe, weil der mich zwingt."
Gegen Erziehung anzukommen ist viel schwerer. Die
Kinder müssen dann so stark und stabil sein, dass sie den
komplexen und undurchsichtigen psychischen Angriff
des "gutmeinenden" Erwachsenen zurückweisen können
.
Doch welches Kind kann das? Die Kinder brauchen die
Zuwendung und Liebe ihrer erziehenden Erwachsenen -
und so geschieht Schreckliches: Die Kinder werden in
ihrem Ich-Verständnis gestört und sie werden von sich
selbst entfremdet. Letztlich werden sie seelisch krank und
deswegen auch sozial gefährlich. Und da (fast) alle heuti-
gen Menschen erzogen wurden bzw. erzogen werden,
ergibt sich die erschreckende Erkenntnis, dass wir in einer
erziehungstraumatisierten Welt leben.