Dienstag, 7. Februar 2017
Herrschaft und Erziehung
"Die pädagogische Mission" habe ich den vorigen Post genannt.
Ich bleibe noch eine Weile in der Theorie, bei der Sicht über
die Dinge. Heute geht es um den Unterschied von Herrschaft
und Erziehung. Und im nächsten Post führe ich meine Über-
legungen fort und komme bei der Erkenntnis an, dass wir in einer
erziehungstraumatisierten Welt leben. Das ist schon düster,
aber die Verletzungen, die durch jegliche Erziehung entstehen,
will ich auch immer wieder mal aufzeigen. Was möglich ist,
wenn man jenseits der Erziehung miteinander umgeht - ja,
darüber schreibe ich auch lieber, und das kommt dann auch
wieder dran. Aber ich liebe eben auch Klarheit und Wahrheit.
Wenn dabei Schlimmes ans Licht kommt - kein Vorwurf, nur
Bewußtmachen, Wissen, und mit Kraft die Alternative suchen.
*
Herrschaft: Ich setze mich dem anderen gegenüber durch.
Ich bin derjenige, nach dessen Willen gehandelt wird. Wie ich
will, so geschieht es. "Tu, was ich sage." Ich gebe eine Anord-
nung und setze durch, dass sie befolgt wird. Beim Herrschen
ist es nicht erforderlich, zusätzlich die innere Haltung zu
haben, meine Anordnung sei für den anderen das Beste.
Beim Herrschen reicht es völlig aus, wenn ich - ohne viel
über den anderen nachzudenken - will, dass dies und das
geschieht. Egal, ob zu meinem oder eines anderen Besten.
Meistens wird es beim Herrschen so sein, dass das gemacht
wird, was für mich selbst gut ist, was meinen Wünschen und
Vorstellungen entspricht.
Wenn ich sage "Mach Hausaufgaben", so kann dahinterstecken:
"Weil ich keinen Ärger mit dem Lehrer haben will." Die
Anordnung erfolgt zu meinem eigenen Vorteil, es findet
keine Erziehung statt. Es kann aber auch dahinterstecken:
"Weil das gut für Dich und Deinen Schulerfolg ist" - dann
ist es Erziehung, und die eingesetzte Herrschaft (den Druck,
der aus dieser kurz gehaltenen Anweisung kommt) übe ich
zum "Besten" des Kindes aus.
Wozu ist es gut, sich diesen Unterschied klarzumachen? Ist
es für die Kinder nicht gleich, ob reine Herrschaft (zum
Besten des Erwachsenen) oder ob Herrschaft durch Erzie-
hen (zum angeblich Besten des Kindes) ausgeübt wird? Ist
Herrschaft nicht gleich Herrschaft?
Ich sehe den Unterschied darin, dass etwas Unterschiedliches
vom Erwachsenen ausgesendet wird und dass auch etwas
Unterschiedliches beim Kind ankommt. Das Kind spürt
entweder - beim reinen Herrschen -, dass der Erwachsene
sich für sein eigenes Erwachsenen-Wohlbefinden auf Ko-
sten des Kindes einsetzt. Dass er unterdrückt, um eigene
Ziele zu verfolgen. Dabei lässt er das innere System des
Kindes unangetastet - die Ich-Auffassung des Kindes, sein
Selbstwertgefühl, seine eigene Art, sich zu verstehen. Er
verlangt "nur", dass getan wird, was er will. Das ist dann zwar
schlimm genug - aber er mischt sich nicht noch obendrein in
die inneren Angelegenheiten dieses anderen souveränen Men-
schen - des Kindes - ein.
Oder das Kind spürt - beim Erziehen -, dass da vom Erwach-
senen außer dem Anordnen noch etwas anderes mitgeschickt
wird: "Ich habe recht" - "Sieh das ein" - "So, wie Du Dich
verstehst, darfst Du gar nicht sein" - "Ändere Dich" - "Werde
ein besserer Mensch" - "Es ist zu Deinem Besten". Beim
Erziehen schwingt eine besondere innere Haltung des Erwach-
senen mit, seine pädagogische Mission, sein "Ich bin für das
Kind verantwortlich und ich weiß, was für das Kind gut ist".
Dem Kind wird deutlich, dass es nicht nur tun soll, was der
Erwachsene verlangt. Sondern dass er dies auch als das Beste
für das Kind einstuft und dass er - darüber hinaus - will, dass
das Kind diese seine Erwachsenensicht teilen und als für sich
selbst richtig bewerten soll.
Es geschieht beim Erziehen also etwas Äußeres: Das sichtbare
Miteinanderumgehen (das durchaus nett, partnerschaftlich und
freundlich aussehen - aussehen - kann). Und etwas Inneres:
Der unsichtbare erzieherische Anspruch des Erwachsenen er-
reicht das Kind und sagt ihm, dass es nicht nur folgen, sondern
auch einsehen, bejahen soll, was der Erwachsene von ihm will.
Dass es so, wie es ist - wie es nun mal gerade ist - nicht sein
darf und sich nicht so lieben darf!
Fortsetzung folgt.