Montag, 19. Juli 2021

Die Abschlussrede

 

 


Überall beginnen die Sommerferien, und viele Kinder werden aus der Schule entlassen. Als ich Lehrer war, wurde ich einmal von einer Klasse zur ihrer Abschlußfete eingeladen. Aus meinem Schultagebuch:

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Heute ist Abschlußfete der 9. Klasse, zu  der ich eingeladen bin. Ein Picknickplatz im Wald. Es sind außer mir nur noch zwei Kollegen da, die anderen wollten nicht. Viel Reden, viel Kontakt, viel "einfach so".

Nach drei Stunden, als alle im Kreis sitzen, fängt Mani an und liest seine Abschlußrede vor, mit vielen Kommentaren und Zurufen. Sie ist nicht für Eltern oder Lehrer gemacht, sondern für seine Leute. Was ich höre, geht mir sehr nahe: Er sagt das, was ich über die Situation der Kinder in der Schule herausgefunden habe. Was aber nur verschwindend wenige von den Erwachsenen, die in der Schule arbeiten, als die Realität der Kinder bemerken. Für die anderen ist eine solche Aussage nur "dummes Kindergerede".

Ich spüre, dass das, was so leicht dahergesagt wird, wirklich ihre Erfahrung ist, ihre Wahrheit eben. Sie gehen alle mit der Rede leicht um. Aber es wird deutlich, worum es geht. Um tiefes Verletztsein. Umd um Betrogensein um die Jahre, die sie in der Schule verbringen mussten. Die Rede ist die Wahrheit der Kinder.

Mani verbrennt seine Rede im Lagerfeuer. Ich bitte ihn dann, sie noch einmal für mich aufzuschreiben. Er tut es gern, und die anderen helfen ihm dabei. Als ich von Veröffentlichung rede und ihn frage, ob er einverstanden sei, ist das für ihn in Ordnung. Aber ich merke auch, dass ihn das gar nicht mehr so interessiert. Es ist doch alles so klar. Und: Sie stehen vor Neuem ...


            Die Abschlußrede

            Freunde, es ist geschafft.
            Neun lange Jahre sind vorbei.
            Mein herzlichstes Beileid möchte
            ich allerdings all denen wünschen, die
            noch länger in den sogenannten Schulen
            gefoltert werden.
            Die letzten neun Jahre waren die schlimmsten
            in unserem Leben.
            Und werden es wohl auch bleiben.
            Die Pauker haben uns dermaßen geschafft,
            dass manche einer sie gern vor ein Kriegsgericht
            stellen möchte.
            Ich bin auch dafür, dass die Schulen, die Gebäude
            des Schreckens -
            Schule, das Wort, das bei Kindern wie ein Brechmittel
            wirkt -
            abgeschafft werden.
            Aber nein, die Schulen werden noch von Staat
            unterstützt.
            Doch freut Euch, die Ihr es geschafft habt.
            In Zukunft dürft Ihr mit Euren Bossen über Lohn-
            erhöhungen und seine Tochter streiten.
            Freut Euch, es wird eine herrliche Zeit.
            Vergesst all das Böse, was Euch in der Schule geschah.
            Haltet die Ohren steif.
            Tschüs!