Montag, 12. Juli 2021

Die Krocketkugel

 

 

Nach der Beeerdigung der Urgroßmutter sind wir zusammen im ihrem Haus mit großem Garten. Die Erwachsenen in Gesprächen und Erinnerungen bei Kaffee und Kuchen, die Kinder spielen Krocket auf der Wiese unter den Apfelbäumen. Das Krocketspiel ist uralt, schon wir Kinder haben damit gespielt.

Auf einmal kommt Miriam (8) zur Kaffeerunde. "Schaut mal, die Kugel ist kaputt gegangen, genau in der Mitte durch. Ich hab wohl zu fest draufgeschlagen". Fröhlich hält sie die beiden Hälften der gelben Krocketkugel hoch. Nach einer kurzen erstaunten Schweigesekunde gehen die Gespräche weiter. Aber ich höre doch noch den einen Satz aus dem Erwachsenenstrom, der an Miriam gerichtet ist:

"Da wollte die Urgroßmutter wohl nicht, dass Du mit ihrer gelben Lieblingskugel spielst."   

Miriam erstarrt, sagt nichts und läuft zurück zum Spiel auf der Wiese.

Echt jetzt, das geht doch wohl gar nicht! Auch ich bin erstarrt. Was soll denn so ein Satz mit dem Kind machen? Locker dahergesagt, scherzhaft gemeint, aber ohne Scherzton gesagt, ernsthaft, einfach absurd. Was gräbt sich da in die Seele und in das Gedächtnis ein? Ich bin angefasst, sage erst nichts und mache dann Miriams Mutter darauf aufmerksam, dass da etwas gewaltig aus dem Ruder gelaufen ist. Später sehe ich, dass sie mit Miriam darüber spricht.

Ich will aber sofort gegensteuern. Das Spiel ist bald zu Ende, ich hole Miriam: "Komm, wie reparieren die Kugel." Ich habe Holzleim geholt. Miriam streicht auf die eine Hälfte vorsichtig die weiße Heilsalbe, sie drückt die Hälften aufeinander, ich wickle Klebestreifen drumrum. "Morgen ist die Kugel wieder okay", sage ich. Miriam strahlt. "Das hab ich ja nicht extra gemacht", sagt sie. "Klar doch, natürlich nicht", sage ich. 

Und ich sage noch etwas: "Weiß Du, die Kugel ist uralt, das hätte mir genauso passieren können. Und der Satz vorhin, dass Urgroßmutter nicht will, dass Du damit spielst, war Banane. Sie freut sich bestimmt, dass Du ihre Kugel hattest und dass wir sie repariert haben." Miriam sieht mich von innen an, blickt erleichtert und trollt sich. Und ich wünsche, dass die weiße Salbe auch die Schramme in ihrer Seele heilt.