Montag, 5. Juli 2021

Das Wiederfinden der psychosozialen Macht

 

 

Die Erkenntnis, dass die Verantwortung für das, was sich psychisch in einem Menschen ereignet, bei diesem selbst liegt, bedeutet neben vielem anderen auch, dass niemandwirklich psychisch gezwungen werden kann, zu nichts. Wie man die Welt und ihre Erscheinungen deutet, bewertet und gewichtet, ist einzig die Sache des einzelnen. Ob ein Freiheitskämpfer dem Exekutionskommando entgegenruft "Es lebe die Revolution!" oder ob er apathisch und demoralisiert auf das Ende wartet - das ist seine Sache, seine Verantwortung für sich.

Eine Kultur, die Herrschaft zur Grundlage hat, muss den Menschen diese gesellschaftlich hochwirksame Potenz nehmen. Denn nur der ist beherrschbar, der dem Beherrschtwerden auch zustimmt, der sich auch unterwerfen will. Es gibt immer gute Gründe, lieber seinen Nacken zu beugen als sich den Kopf abschlagen zu lassen - aber ein jeder hat tatsächlich die Wahl zu leben oder zu sterben, jeden Augenblick. Es ist immer die Frage, wo man für sich den größeren Vorteil erkennt. Hierüber trifft man selbst die Entscheidung, niemand sonst.

Es ist leicht, Menschen zu beherrschen, die das Gefühl für ihre Selbstverantwortung verloren haben, die daran gewöhnt sind, andere für ihr Schicksal verantwortlich zu machen: die Eltern, die Gesellschaft, die Verhältnisse. Das Wiederfınden der Selbstverantwortung bedeutet im gesellschaftlichen Bereich das Wiederfinden der psychosozialen Macht des einzelnen. Es ist dies eine Macht, die durch nichts wirklich ausgehebelt werden kann und die jedem, der herrschen will, seine Grenze zeigt.