Samstag, 16. September 2017

Wahlrecht für Kinder I: Die Forderung




















Das Wahlrecht ist ein fundamentales Recht. Es ist nicht erforderlich, Kindern zunächst andere Rechte einzuräumen, bevor man ihnen das Wahlrecht zubilligt. Das Wahlrecht für Kinder ist aus dem Stand heraus realisierbar. Wurde in einer Revolution je gefragt, welche Rechte man erst haben muss, bevor man den König stürzt? Die umgekehrte Reihenfolge ist richtig: Wenn das Wahlrecht da ist, d.h. wenn die politische Macht gegeben ist, werden weitere Diskriminierungen fallen.


»Wenn Du jemandem gestattest,
Dir Dein Wahlrecht zu nehmen,
so bist Du kein freier Mensch,
sondern ein Sklave.

Selbst im Namen der höchsten
Ideale der Brüderlichkeit
oder anderer Werte
kann Dir niemand
das Recht nehmen,
zu wählen, zu entscheiden,
etwas zu schaffen.

Das heißt,
frei
diejenigen zu wählen,
die über Dein Schicksal
regieren werden.«



Europarat
Du bist ein Mensch – Botschaft an die Jugend Europas
1978

 ***

Das Grundgesetz ist zu ändern. In Artikel 38 Absatz 2 heißt es: »Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.«

Dieser Artikel soll geändert werden. Es wird definitiv festgestellt: »Wahlberechtigt und wählbar sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene; eine Einschränkung des Wahlrechts und der Wählbarkeit aufgrund des Alters gibt es nicht.«

Der Absatz 2 des Artikels 38 könnte auch ersatzlos gestrichen werden. Doch es ist sinnvoll, die Gleichberechtigung des jungen Mitbürgers unübersehbar und unzweideutig in das Grundgesetz einzufügen. An dieser Stelle und an anderen, wo es hingehört.

Demokratie ist nicht begrenzbar. Man kann nicht zu recht demokratische Rechte in Anspruch nehmen – als Mann, als Weißer, als Erwachsener – und sie dann anderen – Frauen, Schwarzen, Kindern – vorenthalten. Das ist der Kerngedanke, wie er in der demokratischen Tradition enthalten ist, und wie er auch im Grundgesetz stehen sollte.

Die Unfähigkeit zum Frieden hat ihre Wurzel auch in der Kindheitserfahrung, gegen die absolute Macht der Erwachsenen kein Recht setzen zu können, in einer Diktatur der Erwachsenen zu leben. Wenn erst mit achtzehn Jahren Demokratie erlebt wird, hat sich die Ohnmachtserfahrung der Rechtlosigkeit längst festgesetzt. Und dass sich Ohnmacht nicht mit Recht, sondern nur mit Gegenunterdrückung aufheben lässt. Die Forderung nach dem Wahlrecht und der Wählbarkeit für Kinder ist Verpflichtung jeder Demokratie der heutigen Zeit.


Fortsetzung folgt.