Montag, 10. Juli 2023

Ärger? Ja mei!

 


 

Ich bin beim Babysitten. Ich hole Bilderbücher zum Anschauen. Als ich ein Tierbuch aufblättere, schiebt es der Zweijährige weg. Vorher hat er genickt, als ich Bücheransehen vorschlug. Er schiebt das Buch zweimal weg, dreimal, viermal. Ärger, in mir?

Das Rad eines Neunjährigen ist platt und muss repariert werden. "Ich will fahren" - klar. "Hilfst Du?" "Ja." Er hilft auch mit. Fünf Minuten. Dann hat er keine Lust mehr. Ich soll allein weitermachen. Ärger, in mir?

Ich besuche einen Freund. Wir quatschen. Auf einmal nimmt er sein Handy und tippt drauflos. Meine letzte Frage - hat er nicht mitbekommen. Ärger, in mir?

Heute habe ich drei Situationen erlebt, bei denen auf einmal Ärger in der Luft lag. Es ist etwas abgemacht (Buch anschauen, Rad reparieren, Quatschen), aber das, worauf man sich einstellt, sich einlässt, sich drauf freut, wird gekippt. Wie geht es mir mit
solchen Geschichten?

Klar gibt es Gründe, Zusagen nicht einzuhalten und Pläne zu ändern. In diesen drei Geschichten hat das aber eine besondere Qualität: Ich bin in die Änderung nicht eingebunden, sie wird mir vorgesetzt. Ich komm mir als Spielfigur im Spiel des
anderen vor, hin- und hergeschoben. Respektlos, würdelos.

Ärger steht vor der Tür. Klar kann ich das thematisieren, klar kann ich mich wehren. Die Bücher wegräumen, das Rad Rad sein lassen, nach Hause gehen. Mach ich auch, wenn ich mich würdelos behandelt fühle.

Ich kann aber auch anders. Also: ohne Ärger, ohne Würdekratzer. Ich kann auch gelassen, so wie ich Ärger kann. Kommt ganz drauf an, wie ich drauf bin. Gelassen: Ich weiß ja, dass jeder in seiner Welt unterwegs ist. Die ich nicht verstehen muss. Die ich aber gelten lassen kann. Kein Buch lesen - ja mei. Keine Reparaturhilfe mehr - ja mei. Keine Antwort, das Handy wird mir bevorzugt - ja mei.

Ich bin eigentlich immer angefasst, wenn ich hängen gelassen werde. Wenig Prozent oder viel Prozent. Aber Null gibt es nicht. Ich ziehe mich zurück und lass dem anderen seinen Kram. Ich kann es auch thematisieren, muss aber nicht sein. Bei dieser Handygeschichte bin ich längst im Humor: dieser Freund, wie viele andere, können gar nicht mehr anders. Irgendwie eine Zeitkrankheit.

Wenn mir etwas widerfährt, was ja gar nicht geht, was der andere aber so nicht mitkriegt: was soll ich davon halten? Will ich mit solchen Menschen zu tun haben? Soll ich mich äußern? Beschweren? Poltern oder den rechten Ton treffen? Einen Kurs in "Wie äußere ich verständnisvoll und effektiv mein Unbehagen" buchen?

Ich bin mir oft sicher, dass die anderen genau wissen, was los ist. Vordrängeln an der Kasse, Vorfahrt nehmen, Weggekicktwerden beim Gespräch. Sie wollen sich nicht – ja was? Benehmen? Achtungsvoll sein? Mich ernst nehmen? Ein weites Feld. Und ich habe keine Lust, da herumzustochern und ein Fass aufzumachen, das mir dann um die
Ohren fliegt.

Ärger - in mir? Bei einem Zweijährigen? Bei einem Neunjährigen? Bei einem Vertrauten? Heute ging es für mich ohne Ärger aus. Klar, bei dem schönen Wetter...