Montag, 5. Juni 2023

Handytime

 

 

Vor acht Jahren war ich mit den Handys meiner Kinder schwer beschäftigt. Wieviel lasse ich zu? Wann wird es mir zu viel? Was geht, was geht nicht? Bei einem Besuch bei Freunden in Polen hatte ich dann mein Aha-Erlebnis. 

Diese Woche war ich mit meinem Sohn wieder einmal bei den Freunden. Ich erinnere mich, klar und deutlich sehe ich die kleine Szene vor mir. Diese Szene - eingefangen in einem Post 2017:


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Wie viel Handy, Smartphon und Co. darf in Kinderhänden sein? 1, 2, 3 Stunden am Tag? 24 Stunden? Ich habe gelernt, dazugelernt. Am besten finde heute ich die Allezeit-Position: die und auch meine Kinder geben ihrem Handysein Raum, sie bestimmen selbst über ihre Handyzeit. Allezeit. Wenn mir unbehaglich ist, sag ich das. Wenn ich es nicht mehr sehen kann, sag ich das. Was dann passiert? Mal sehen, je nachdem wie alles so spielt. Dann wird es ausgeschaltet, oder auch nicht. Dann fühl ich mich missachtet oder auch nicht. Dann geht das Abendland unter oder auch nicht. Dann hau ich auf den Putz oder auch nicht. Situation, flexibel, wenn die Sonne scheint ist es anders als wenn es regnet. 

Statt Brandenburger Tor: Handy. Statt Amsel: Handy. Statt Stadt-Land-Fluss: Handy. Geht ja gar nicht! Aber wenn sie so leben? Anders: Sie leben so. Sind in ihrer Welt unterwegs. Das Tor, die Amsel, das Spiel: kommen nicht zur rechten Zeit. Jetzt kommt's: Wer bestimmt, wann rechte Zeit ist? Mein Ding? Hallo, wer bin ich denn! Die Kinder leben ihr Leben. Ich freu mich, dass sie da sind. Muss mehr sein? Mehr muss nicht sein. 

Osterbesuch. Anna ist 16, voll im Handywahn. Mittagessen. Gäste - wir - sind da. Alle sitzen am Tisch, es ist festlich. Anna: nicht da. Ihre Eltern: Voll entspannt. Absolut kein Thema, die Nicht-Anna. Wir beginnen. Anna kommt. Mit Handy. Setzt sich hin, Handytime. Drei Löffel Suppe, nebenbei. Hauptmahlzeit: Handy. Und jetzt, so fantastisch, so magisch, so alle Bedenken niederreißend, so herzanrührend: sie schmiegt ihren Kopf an den Arm ihres Vaters, er hält sie, er isst weiter, er unterhält sich weiter. Mehr Harmonie geht nicht. Nach drei weiteren Löffeln geht sie wieder. Es ist so ... gut einfach. 

"Es ist ihre Welt. Ihr Leben. Wir sehen ein bisschen in ihre Zukunft, 2030, 2040. Wir sind dabei. Sie gestaltet ihr Leben." Ihr Vater liebt sie, sie fühlt sich bei ihm wohl, er fühlt sich bei ihr wohl. Diese Familie hat absolut kein Handyproblem. "Macht sie auch noch mal was anderes?" frage ich. Brandenburger Tor, Amsel, Stadt-Land-Fluss. Meine Dunkelwelt reißt an mir. Ihr Vater erzählt mir, was sie alles macht: Tor, Amsel, Spiel. Sie ist kein Alien. Sie ist Anna. Ein ganz normales Kind.  

 

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Und Anna heute? Ist weltoffen, hat ihr Abitur gemacht und studiert. Ein ganz normales Kind.