Montag, 25. Februar 2019

Verantwortungsvater







Nach dem Vortrag erzählte mir ein Mann, Mitte fünfzig: "Mein Sohn ist jetzt dreißig, er hat mir neulich Vorhaltungen gemacht wegen unserer Scheidung. Damals war er sieben. Ich wäre meiner Verantwortung ihm gegenüber nicht gerecht geworden und hätte mich auch der Mama gegenüber verantwortungslos verhalten. Was denken Sie darüber?"

So eine Frage geht voll rein in die gesamte Verantwortungsthematik der Amication, und entsprechend springe ich drauf an. Kann jemand einem anderen sagen, wie der seine Verantwortung sehen und wahrnehmen soll? Berechtigt sagen, so dass man die Aussage ernst nimmt und sich damit beschäftigt? Sagen kann man viel, und eine solche Aussage über die Sicht und Realisierung meiner Verantwortung kann ich aufnehmen und drauf eingehen. Ich kann sie aber auch als anmaßend und übergrifftig ablehnen. So habe ich das hier gesehen. Niemand ist befugt, sich zum Verantwortungs-Überwacher eines anderen aufzuschwingen. Auch nicht ein Kind gegenüber den Eltern, auch nicht dieser Sohn gegenüber seinen Vater.

Wir gehören nicht anderen, auch nicht Eltern den Kindern. Ebenso gehört unsere Verantwortung nicht anderen. Andere sind davon betroffen, wie wir unsere Verantwortung sehen und wie wir sie leben. Aber sie haben uns nicht zu sagen, wie wir das zu denken und zu tun haben. Es ist schon klar, dass dieser Sohn unter der Entscheidung seines Vaters, sich von seiner Frau zu trennen, gelitten hat. Da steckt die ganze Dramatik der Scheidungskinder drin. Aber lässt sich zu recht aus dem Scheidungsleid der Kinder ein Handlungsmuss der Eltern herleiten?

Nein, klares Nein. Wenn Paare auseinandergehen hat dies tausend Gründe, Abgründe, Vorder- und Hintergründe. Und die Eltern werden das Leid ihrer Kinder viel, wenig oder gar nicht berücksichtigen. Gibt es dabei eine sittliche/moralische/ethische Forderung der Kinder an die Eltern? Das "Du sollst bei mir bleiben" des Kindes ist gewichtiger als der (getrennte) Weg, den Eltern gehen wollen? Wer steht über wem? Da ein jeder sich selbst gehört, kann man die Aussage des anderen, der Kinder hören - aber sie zu bewerten obliegt jedem selbst. Von daher kommt das "Ich bin nicht für Dich verantwortlich".

Wieviel Willkür und Nichtachtung den Kindern gegenüber liegt in einer Trennung? Ist eine solches Denken (das diese Frage und ähnliche hervorbringt) nicht die eigentliche Willkür und Nichtachtung, und zwar den sich trennenden Eltern gegenüber? Das sehe ich so. Menschen gehen ihren Weg durchs Leben, durch ihr Leben. Dies hat rechts und links Leid und Freud zu Folge. Und darüber, speziell über das Leid, hat jemand zu befinden? Zu befinden mit einem Verhaltensanspruch? "Hättest Du aber tun müssen"? Ist nicht von meiner Welt. Ist ohne Frieden. Ist ohne Liebe. Ist ohne Heilung. Ist von der dunklen Art.

Der Vater war verwirrt von dem Vorwurf seines Sohns. Wir haben länger miteinander gesprochen. Klar weiß er um das Leid seines Trennungskindes. Und das hätte er wirklich gern mit einem Zauber von seinem Sohn ferngehalten, ihn davor bewahrt. Aber dieser Verantwortungs-Vorwurf, dieser Verantwortungslosigkeits-Vorwurf: "Wie soll ich damit umgehen? Was soll ich meinem Sohn sagen? Ich stehe zu meiner damaligen Entscheidung, die Trennung war unser Weg. Das war meine Verantwortung. Mir, meiner Frau und meinem Sohn gegenüber. Um Schlimmeres zu verhindern. Aber das kann ich meinem Sohn nicht vermitteln. Er ist so im Vorwurf und Leid, da komm ich nicht durch. Ich war nicht verantwortungslos."

Ich habe ihm gesagt, natürlich, dass er nichts falsch gemacht hat. Dass es zuerst um sein - sein - Leben und seinen - seinen -Lebensweg geht. Und dass wir dafür die Verantwortung tragen. Wobei wir den anderen, auch unseren Kindern und unserem Partner, so viel Raum in uns und auf unserem Weg geben, wie wir können. Und dass da auch dazu gehört, Ansprüche, die wir als übergriffig erleben, zurückzuweisen. Um uns gesund zu halten. Um uns nicht einreden zu lassen, wir wären Unholde und Monster (gewesen). Das "Ich liebe mich so wie ich bin" gilt auch hier, auch in der Rückschau auf Leid, das andere durch uns erlebt haben. "Sie waren damals ein liebevoller und verantwortungsvoller Vater, so wie Sie es auch heute sind und bis ans Lebensende sein werden." Ich habe ihm das gesagt, überzeugt. Er ist mit diesem Frieden gegangen.