Samstag, 3. März 2018

Kinderforschung: Die Absicht











     
In unregelmäßigen Abständen poste ich Texte aus meiner Dissertation, meiner "Kinderforschung". 

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Vorspann 2018 

Müssen Kinder erzogen werden? Werden Menschen erst durch Erziehung zu Menschen? Das ausdrückliche Ja  auf diese Fragen, mehr noch: das Wundern darüber, dass derartige Fragen überhaupt gestellt werden - nicht rhetorisch, sondern ernsthaft -

Nein: Kinder sind Menschen von Anfang an, richtige (was immer das ist), und die Idee, dass sie erst durch Erziehung zu Menschen würden, ist eine von den Millionen Ideen, die es über Gott und die Welt und den Menschen gibt, mehr nicht, und vor allem: nicht meine. Mit dieser grundlegenden anthropologischen Festlegung ist der Unterschied von Erziehung und Päd­agogik einerseits und meiner erziehungsfreien und postpädagogischen Po­sition andererseits auf den Punkt gebracht. Hierüber habe ich seit vielen Jahren Texte veröffentlicht, meine Position ist unter der Überschrift "Amication" ("F reundschaft mit Kindern", "Unterstützen statt erziehen"bekannt.

Wenn man Kinder nicht erzieht (im Sinne von postpädago-gisch, Amication, also in einer konstruktiven Abwendung vom Menschen-Formungs-Auftrag der pädagogischen Tradition), so heißt das ja nicht, dass die Kinder sich in Luft auflösen: Sie sind weiterhin da, vor mir - was soll jetzt gesche­hen? Die Beziehung beginnt mit dem Nachdenken über Kinder, mit der er­sten Begegnung, den ersten Blicken, den ersten Worten, den ersten Hand­lungen. Was geschieht jetzt, in der postpädagogischen Situation und Kom­munikation? Und wie geht es weiter?

Wer bin ich? Wer bist du? Dies sind die Fragen der Postmoderne in der Kommunikation. Es geht nicht mehr um das "Beste" (f ür Kinder), denn es gibt nicht mehr Gut und Böse, Richtig und Falsch in einem objektiven Sinn, wie dies für die Moderne selbstverständliche Parameter sind.

Beziehungen im Sinne der Postmoderne - das war mein geistiges Zuhause, in meiner Kindheit, Jugendzeit, Studienzeit. Es war die Wirklichkeit meiner Seite der Kommunikation, meine Wahrnehmung der Welt, so wie dies vor 40, 50 Jahren für viele Zeitgenossen umbrach. 

Kin­der: Das waren Wesen eines anderen Sterns. Wie Außerirdische. Fremd, aber souverän, selbstverständlich souverän. Kinder als formungsbedürftige Noch-Nicht-Menschen - das wäre kultureller Imperialismus gewesen. Unrecht, wie in Afrika oder bei den Indianern. Natürlich, das hatten die Erwachsenen meiner Kindheit mit mir, mit uns Kindern, versucht, unwür­dig, abenteuerlich unrea-listisch. Nein: Kinder waren Wesen eigener Art, und ihnen zu begegnen war eine Ehre, und es war RESPEKT vor ihrer Würde und Souveränität angesagt.

Wie immer sie sich auch verhalten würden - "unbeholfen", "umständlich", "unfertig", "hilflos" -: Würde ich mich über einen Außerirdischen stel­len? Lustig wäre es schon, gelegentlich, aber bei allem Lachen: Niemals ginge das Gefühl für die Würde des anderen verloren, die kompro-misslose Botschaft des Kindes war:  "Ich bin ein  Mensch, ein souveränes Geschöpf des Universums, maße Dir nicht an, mich zu einem fertigen Lebewesen machen zu wollen. Nimm Beziehung auf von Gleich zu Gleich, von Person zu Person." Genau das tat ich. Erst als Lehrerstudent, dann ein Jahr als Lehrer. Und dann zwei Jahre als Forscher. Ich führte eine empirische Feldstudie mit Kindern im Alter von drei bis siebzehn Jahren durch, um heraus-zufinden: Was ist die eigene Art junger Menschen? Was sieht man, wenn man postpädagogisch daherkommt? Was gibt es für Größen (Determinanten) in mir, um eine postpädagogische Kommunikation mit Kindern gelingen zu lassen?