Dienstag, 27. März 2018

Mein Weg zur Amication: Leboyer-Geburt










Auf den Vorträgen werde ich oft gefragt, wie ich zur Amication
gekommen bin. Ich sage dann, dass ich die amicative Sicht auf
die Kinder nicht irgendwie gelernt habe, sondern dass es vielmehr
so gewesen ist, dass mich diese Sicht im Laufe meines Großwer-
dens nicht verlassen hat (um sie dann später wieder zu erlernen).
Als ich im Zuge der Lehrerausbildung auf die pädagogische Sicht-
weise des Kindes stieß und mich in sie als selbstverständlich im
Umgang mit Kindern einzuschwingen hatte - da hat das bei mir
nicht funktioniert. Ich war für pädagogisches Denken einfach
nicht zu haben.

Wieso nicht? Ich denke, dass dies aus meiner Biographie kommt.
Es gab viele Ereignisse in meinem Kinderleben, die mich auf
dem Pfad der amicativen Tugend hielten, beschützten, unter-
stützten. So dass ich gar nicht erst in pädagogische Strukturen
wanderte, nicht von ihnen eingefangen werden konnte. "Die"
Pädagogik biss sich an mir die Zähne aus, ich war nicht über-
nehmbar.

Welche Ereignisse gab es? Woran erinnere ich mich? Welchen
Wert und welches Gewicht messe ich ihnen zu?

Mir ist schon etliches eingefallen, was da eine Rolle gespielt
hat oder haben könnte. Ereignisse, die andere Kinder auch er-
lebten. Die aber in der Häufung/Kombination/Kontinuität
bei mir dazu geführt haben, dass ich mit dem pädagogischen
Denken und Paradigma (Homo educandus) nicht warm werden
konnte. Mehr noch: die dazu geführt haben, dass ich auszog,
meine nichtpädagogische Position, die Amication, der allgegen-
wärtigen und so allmächtigen Pädagogik entgegenzuhalten wie
das Kreuz dem Vampier. Wobei diese meine Wehrhaftigkeit
nicht  pädagogisch korrumpiert ist: Ich habe nicht mehr recht
in all diesen Dingen als pädagogische Menschen, ich bin "nur"
von meiner Sicht überzeugt. Behalte das aber nicht für mich,
sondern erzähl davon, mach gelegentlich Krawall und freu
mich, wenn ich anderen helfen kann, sich vom pädagogischen
Dämon (sorry) zu befreien. Der ja durchaus ein Engel sein kann,
was weiß denn ich. Nur dass ich das alles nicht mag, das auch
sage und aktiv dagegen vorgehe. Böser Fehler? Tja, mal sehen,
was im Buch des Lebens dann so stehen wird.

Ab und zu will ich über die amicativen Stützen  meiner Kind-
heit etwas schreiben. Ich leg gleich mal los.

*

Leboyer-Geburt

Die Leboyer-Geburt: Die Babys entscheiden selbst, wann sie
mit der Luftatmung beginnen. Das entscheiden nicht Arzt oder
Hebamme, indem sie die Nabelschnur zudrücken und das Baby
so zum ersten Luftholen veranlassen. Das aber war Standard,
völlig selbstverständlich und Pflicht. Leboyers Buch erschien
1975 und war damals revolutionär in der Geburtskunde. Heute
gehört eine Leboyer-Geburt mit eigenverantwortlichem Beginn
der Luftatmung der Babys zu den Möglichkeiten für Mütter (und
ihre Babys) völlig selbstverständlich dazu, wenn sie es denn so
wollen. Damals aber wahrlich nicht.

Ich bin im Nachkriegsdurcheinander geboren, 1947. Als es
soweit war, gab es nicht rechtzeitig ein Auto oder einen Kran-
kenwagen, um in ein Hospital zu kommen. Der umständlich
organisierte Transportwagen einer Betriebsfeuerwehr kam so
spät, dass die Wehen schon in vollem Gange waren und meine
Mutter die Fahrt ablehnte. "Das Kind kommt jetzt und hier!".
So war es, und da außer meiner überforderten Tante und dem
verschreckten Fahrer niemand dabei war, gab es kein traditio-
nelles Zudrücken der Nabelschnur als Impuls für mein erst-
maliges Luftholen.

Die Nabelschnur wurde also nicht angefasst. Meine Mutter lag
auf der Pritsche des Wagens, sie zog mich auf ihren Bauch und
ließ die Nabelschnur in Ruhe weiterpulsieren. Und ich? Nun, ich
regelte das mit dem Luftholen selbst, so auf den Weg geschickt
wie jedes Neugeborene. Die pulsierende Nabelschnur mit ihrem
Sauerstoff gab mir Sicherheit, ich holte Schlückchen um Schlück-
chen Luft, langsam, damit die Entfaltung meiner Lungen nicht
weh tat. (Was aber Schicksal meiner Altersgenossen war, die zum
plötzlichen Luftholen durch die gutgemeinte "Hilfe" der Großen
gezwungen wurden). Slowly please! Der erste Atemzug gehörte
mir! Und das "selbstverantwortlich von Anfang an" war meine
gelebte Realität.

Für meine Mutter war das alles kein Problem, sie hatte diese
Atmungsregelung in Regie der Neugeborenen auf dem Gutshof
ihrer Eltern bei zig Tierbabys als völlige Selbstverständlichkeit
erlebt, ich war ihr zweites Kind und da gab es für Mutter und
Baby in dieser Frage eben "no problem".

Also: ein erster - und zwar grundlegender - Pluspunkt in Sachen
Souveränität, "ich gehöre mir", "ich weiß selbst am besten, was
für mich gut ist", "ich brauche keinen Vormund (auch keinen
gutmeinenden Arzt, er mich 'zu meinem Besten' zum Luftatmen
anhält)". Unterstützung: ja, gerne - Erziehung: nein, danke. Die
pädagogische Welt griff an mir vorbei.
 
Weitere amicative Stützerlebnisse sollten folgen.